Greift die Türkei bald zur Atombombe? Gabriel warnt Berlin und die EU

„Die aktuelle Krise kann auch eine Chance sein“: Sigmar Gabriel, früherer Außenminister und Vizekanzler.

„Die aktuelle Krise kann auch eine Chance sein“: Sigmar Gabriel, früherer Außenminister und Vizekanzler.

Herr Gabriel, wie soll Deutschland, wie soll die EU auf die Krise in der Türkei reagieren?

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Die Menschen in der Türkei brauchen jetzt dringend ein ganz klares Signal: Deutschland und Europa werden nicht mitmachen bei der von Donald Trump betriebenen wirtschaftlichen Destabilisierung ihres Landes. Die USA tun jetzt etwas, was man nach meiner Meinung unter Nato-Partnern nicht tun darf: Sie wenden Sanktionen an und versuchen, ein ohnehin wirtschaftlich angeschlagenes Land über die Klippe zu schieben.

Trump bekommt in den USA für solche Machtdemonstrationen Applaus.

Mag sein. Aber dem kurzfristigen Beifall folgt langfristiger geopolitischer Schaden. Die USA sind weit weg. Wir in Europa aber bezahlen den Preis, wenn die Türkei ins Wanken gerät. Denn als Folge drohen uns wirtschaftliche Turbulenzen und ein Anstieg des Zuwanderungs- und Flüchtlingsdrucks aus der Türkei. Drittens wächst die Gefahr einer Abspaltung der Türkei von der Nato. Ich weiß, dass dieser dritte Punkt vielen Menschen eher fern ist, aber ich glaube, er ist sogar der wichtigste.

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„Die Westbindung der Türkei ist eine Sicherheitsgarantie“

Jetzt will Katar der Türkei mit 15 Milliarden Dollar zu Hilfe kommen.

Das beruhigt mich kein bisschen, es ist im Gegenteil ein weiteres Zeichen für das Abdriften Ankaras in eine ungewisse Richtung. Die Türkei kauft bereits russische Raketenabwehrsysteme, schon das war ein Alarmzeichen. Man muss mal weiterdenken: Was wird eine sich von der Nato immer weiter lösende Türkei tun?

Sich atomar bewaffnen?

Ich fürchte tatsächlich, früher oder später werden in der Türkei nationalistische Kräfte – ebenso wie im Iran und Nordkorea – nach der Atombombe greifen, um sich unangreifbar zu machen. Die Westbindung der Türkei durch ihre Nato-Mitgliedschaft ist für uns Europäer und Deutsche eine Sicherheitsgarantie, die wir nicht leichtfertig aufgeben sollten. Wir müssen also schon im eigenen Interesse alles tun, um die Türkei im Westen zu halten. Das haben übrigens vor Trump auch alle US-Präsidenten so gesehen. Deshalb wurde die Türkei nie aus der Nato geworfen, auch nicht in Zeiten der Militärdiktatur.

„Wir müssen lernen, unsere eignen Interessen zu vertreten“

Jetzt sprechen Sie aber viel von Geopolitik und wenig von den Menschenrechten in der Türkei.

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Mir ist dieser Widerspruch bewusst. Und ich gebe zu, dass er nicht so einfach aufzulösen ist. Wir müssen immer beides im Blick haben: Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in der Türkei – aber eben auch unser eigenes sicherheitspolitisches Interesse. Zurzeit widersprechen sich diese beiden Ziele, keine Frage. Aber eine Abwendung von der Türkei führt ja auch nicht zu einer stärkeren Demokratisierung der Türkei, im Gegenteil. Und zugleich erhöht es unser sicherheitspolitisches Risiko. In Deutschland pflegen wir oft unseren moralischen Rigorismus und vergessen darüber unsere eigenen geopolitischen Interessen. Das konnten wir uns leisten, solange die USA der Garant unserer Sicherheit waren. Das ist aber immer weniger der Fall. Und deshalb müssen wir lernen, unsere eigenen Interessen auch zu vertreten. Sonst ersticken wir eines Tages an unserem Rigorismus.

Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan kommt im September zum Staatsbesuch nach Berlin. Kritiker sagen, der Mann habe keine Begrüßung mit militärischen Ehren und kein Staatsbankett verdient.

Wenn wir nur noch die Staaten respektvoll behandeln, die unsere Vorstellungen von Demokratie teilen, sind wir bald ziemlich einsam und einflusslos auf der Welt. Erdogan besucht uns als Repräsentant seines Landes. So, wie wir ihn behandeln, behandeln wir die Türkei. Das hat nichts mit der Frage zu tun, ob wir seine Regierungspolitik kritisch sehen oder nicht. Das muss man in den Gesprächen offen klären. Wir Deutschen haben ein Interesse an einem guten Verhältnis zur Türkei. Und die aktuelle Krise kann auch eine Chance sein. Deutsche und Europäer sind bereit, der Türkei zu helfen, wenn die Türkei sich auch ihrerseits bewegt. Am Ende dieser Diskussion könnte die Erkenntnis stehen: Es gibt für die Türkei eigentlich nur einen wirklich verlässlichen Partner, und das sind die Europäer. Die Mehrheit der Menschen in der Türkei sieht das bereits so – und würde übrigens unsre Hilfsbereitschaft in der Stunde der Not nicht vergessen.

Von Matthias Koch/RND

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