Habeck zum Mord in Idar-Oberstein: „Der blanke Hass ist erschreckend“
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Idar-Oberstein: Ein Polizist sichert die Tankstelle, an der ein 20-jähriger Angestellter der Tankstelle von einem mit einer Pistole bewaffneten Mann erschossen wurde.
© Quelle: Christian Schulz/Foto Hosser/dpa
Berlin. Ein kaltblütiger Mord, motiviert offenbar durch die fanatische Feindschaft gegen die Maskenpflicht und andere Corona-Schutzmaßnahmen: Die grausame Tat im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein ist die bislang schwerste Gewalttat in Deutschland, die mit der Szene der Corona-Leugner, Impf- und Maskengegner zusammenzuhängen scheint. Ein 49-Jähriger erschoss einen 20-jährigen Tankstellenkassierer, nachdem dieser ihn auf die Maskenpflicht aufmerksam machte.
Schon seit dem Beginn der Corona-Demonstrationen im vergangenen Jahr warnen Expertinnen und Experten vor Gewalttaten von Maßnahmengegnern.
„Die zunehmende Radikalisierung dieser Szene ist schon lange sichtbar“, sagt Pia Lamberty dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Die Psychologin ist Geschäftsführerin des unabhängigen Centers für Monitoring, Analyse und Strategie und Expertin für Verschwörungsideologien. Nicht nur die prominenten Mitglieder der „Querdenken“-Szene radikalisierten sich, sagt Lamberty, sondern auch deren Anhänger. „Dadurch ist ein Klima entstanden, in dem Gewalt immer stärker legitimiert und befürwortet wird.“
Seit anderthalb Jahren gebe es Aufrufe zu „Tribunalen“ oder zu einer Neuauflage der Nürnberger Prozesse – diesmal mit Mitgliedern der Bundesregierung und Virologinnen und Virologen auf der Anklagebank. „Dabei geht es auch um Selbstjustiz“, erklärt Pia Lamberty. „Dass es dann zu solchen Taten kommt, ist leider nicht überraschend.“
Schon seitdem die Schutzmasken zum Teil des gesellschaftlichen Alltags geworden sind, gebe es in diesem Zusammenhang auch gewalttätige Übergriffe. Tatsächlich: Die Liste der Angriffe durch Maskengegner ist lang. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Bahn beklagen etwa vermehrte körperliche Angriffe durch Fahrgäste, die sich der Maskenpflicht verweigern.
Grünen-Parteichef Robert Habeck zeigt sich erschüttert von dem gewaltsamen Tod eines 20-jährigen Tankstellenkassierers in Idar-Oberstein. „Der Mord an einem jungen Studenten, der an einer Tankstelle einen Kunden nur darum bat, seine Maske aufzusetzen, ist erschütternd“, sagt Habeck dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
„Der blanke Hass, der hinter der Tat steht, ist erschreckend. Hier bricht sich etwas Bahn, mit schlimmen Konsequenzen – für die Betroffenen und ihre Angehörigen, aber auch für unser gesellschaftliches Zusammenleben und für unsere Demokratie.“
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz schrieb auf Twitter: „Es erschüttert mich sehr, dass jemand getötet wird, weil er sich und andere schützen wollte. Wir müssen uns als Gesellschaft dem Hass entschlossen entgegenstellen.“
Die grüne Innenpolitikerin Irene Mihalic fordert gegenüber dem RND die Sicherheitsbehörden auf, gewaltgeneigte Corona-Maßnahmengegner stärker zu überwachen: „Die radikalisierte „Querdenken“-Bewegung und die Vernetzung in andere gewaltbereite Szenen muss durch die Sicherheitsbehörden noch viel stärker in den Blick genommen werden. Seit über einem Jahr wird in der „Querdenken“-Bewegung und in anderen rechten Kreisen Hass geschürt. Dass aus genau diesen Kreisen die abscheuliche Tat in Idar-Oberstein nun bejubelt wird, zeigt, dass wir es mit einem massiven und über den Mord in Idar-Oberstein hinausgehenden Problem zu tun haben.“
In mehreren Chatgruppen und Kanälen der Szene wird die Tat nicht nur entschuldigt, sondern sogar ausdrücklich befürwortet. „Eine Zecke weniger“, kommentiert etwa ein Mitglied des Telegram-Kanals des rechtsextremen Aktivisten Sven Liebich aus Halle an der Saale die Tat.
Bei der Gewerkschaft Verdi, im Fachbereich Handel, blickt man besorgt auf Maskenverweigerer. „Wir hören von Beschäftigten, dass immer wieder Kunden laut werden, drohen oder sogar handgreiflich werden. Und dann sitzt da jemand an der Kasse und ist dem ausgeliefert“, sagt Fachbereichsleiter Orhan Akman. Er betont, es sei die Aufgabe der Unternehmen, für ordentliche Kontrollen zu sorgen. „Eine Verkäuferin hat keine Ordnungsbefugnis, sie ist weder Polizistin noch beim Sicherheitsdienst“, sagt der Gewerkschafter. „Die Unternehmen haben eine Fürsorgepflicht, sie dürfen die Beschäftigten nicht mit verunsicherten oder aggressiven Kunden alleine lassen“.