Debatte über Versäumnisse des Westens

Hätte Putin vor dem 24. Februar 2022 gestoppt werden können?

Diplomatie auf große Distanz: Russlands Präsident Wladimir Putin (l.) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei ihrem letzten Treffen vor Kriegsausbruch am 15. Februar 2022.

Diplomatie auf große Distanz: Russlands Präsident Wladimir Putin (l.) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei ihrem letzten Treffen vor Kriegsausbruch am 15. Februar 2022.

Die Welt vor einem Jahr Mitte Februar 2022: Vor allem aus den Vereinigten Staaten wird beinahe täglich vor einem drohenden Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine gewarnt. Im Westen empfinden einige das als „Säbelrasseln“. „Die Aggressivität, mit der die Amerikaner einen russischen Angriff herbeireden, ist fast schon beschwörend“, polterte die Linke Sahra Wagenknecht am 20. Februar in der Talkshow von Anne Will – vier Tage vor Putins Einmarsch in der Ukraine.

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Politiker wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, die damalige britische Außenministerin Liz Truss und schlussendlich auch Kanzler Olaf Scholz geben sich zwischen 8. und 15. Februar in Moskau die Klinke in die Hand, werden an endlos langen Tischen gedemütigt und versuchen vergeblich, Putin von seinen Invasionsfantasien abzubringen.

Die Frage, die die Welt bis heute beschäftigt: Wäre dieser Krieg in den Wochen vor dem 24. Februar 2022 zu verhindern gewesen? „Ja“, sagt der Politikwissenschaftler Thomas Jäger zum RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Aber nur, wenn alle Staaten Putins Bedingungen zu 100 Prozent erfüllt hätten. Als da wären die Aufgabe der ukrainischen Eigenstaatlichkeit, der Abzug fremder Truppen aus den osteuropäischen Staaten und der Rückzug der Amerikaner aus Europa. Die russische Position war zu diesem Zeitpunkt bereits felsenfest festgelegt und Putin erklärte, dass es überhaupt keinen Spielraum für Gespräche gäbe. Unterwerfung oder Krieg“, so der Politologe von der Uni Köln.

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Darüber werden wohl eines Tages Historiker das letzte Wort sprechen.

Johannes Varwick,

Politikwissenschaftler

Dass es selbst im Februar 2022 noch ein diplomatisches Fenster zur Verhinderung des Krieges gab – davon ist der streitbare Politikwissenschaftler Johannes Varwick von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, der kürzlich seine zuvor geleistete Unterschrift unter das heftig kritisierte „Friedensmanifest“ von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht zurückgezogen hat, überzeugt: „Darüber werden wohl eines Tages Historiker das letzte Wort sprechen, doch ich sehe hier tatsächlich vertane Chancen: Man war im Westen eben nicht bereit, über russische Vorstellungen einer Neuordnung Europas zu reden. Im Westen galt, es wird über das Prinzip der freien Bündniswahl nicht verhandelt. Kerninteresse Russlands war es, die Ukraine nicht in die Nato zu lassen. Wäre der Westen damals bereit gewesen, diese Zusage geschmeidig zu verpacken, hätte das vielleicht das Schlimmste verhindert.“

Internationale Ermittler: Putin hatte aktive Rolle bei Abschuss von Flug MH17
ARCHIV - 21.12.2022, Russland, Moskau: Dieses von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Sputnik via AP veröffentlichte Foto zeigt Wladimir Putin, Präsident von Russland, der per Videokonferenz an der Eröffnungszeremonie für das Gaskondensatfeld Kowykta teilnimmt. Der russische Präsident Putin spielte nach Erkenntnissen internationaler Ermittler eine aktive Rolle beim Abschuss des Passagierflugzeuges MH17 im Juli 2014 über der Ostukraine. Das geht aus abgehörten Telefongesprächen hervor, wie das Ermittlerteam am Mittwoch in Den Haag mitteilte. Foto: Mikhail Kuravlev/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Die Ermittler gaben aber an, dass die Beweise für eine strafrechtliche Verfolgung nicht ausreichten. Außerdem genieße Putin durch sein Amt Immunität.

Varwick sieht eine Verantwortung vor allem in Berlin: „Mit Berlin und Paris wäre da einiges möglich gewesen, doch Scholz und Macron hatten offensichtlich weder die Kraft noch den Willen, sich dem harten Kurs der Amerikaner, der Balten und Osteuropäer entgegenzustellen. Man erinnere sich nur an das Rumgeeier von Scholz auf der Pressekonferenz Mitte Februar in Moskau. Da hatte er Gelegenheit, die Nato-Position klar zu revidieren ...“

Varwick räumt aber ein, dass alle Diplomatie versagt hätte, „falls es von Anfang an Putins Ziel war, die Ukraine von der Landkarte zu tilgen“.

Schlüsselrolle bei den Europäern

Auch der Politologe Jäger sieht eine Schlüsselrolle bei den Europäern – nur unter komplett anderen Vorzeichen: „Man hätte Putin damals mit einer viel größeren Entschlossenheit vielleicht von seinen drei Grundirrtümern befreien können, die da waren: Die Ukraine fällt schnell, der Westen handelt uneinig, das Engagement der USA ist nicht von langer Dauer.“

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Wie wir heute wissen, kam es anders. Jäger zum RND: „Die Ukraine hat sich behauptet, wenn auch damals knapp. Die Aufgabe der EU-Staaten hätte es sein müssen, dem Kreml deutlich zu machen, dass es da eine große Einigkeit und Entschlossenheit gibt. Berlins Festhalten an Nordstream und das bestehende Tabu, Waffen in Krisengebiete zu liefern, waren da eher kontraproduktiv. Auch der Satz, den Scholz in Moskau sagte: Die diplomatischen Möglichkeiten sind bei Weitem nicht ausgeschöpft.“

Gibt es da nur ein Jota an Verhandlungsbereitschaft? Und da ist nichts ...

Christoph Heusgen,: Diplomat

Christoph Heusgen, langjähriger außen- und sicherheitspolitischer Berater der Bundesregierung, bestätigte im ZDF-Talk von Markus Lanz Anfang Februar, welch diplomatische Anstrengungen die Europäer im Vorfeld des Krieges versucht hätten – um am Ende resignierend festzustellen, dass Putin längst entschieden hatte: „Ich will nicht mehr auf diesem diplomatischen Weg gehen.“

Heusgen: „Der Bundeskanzler und der französische Präsident rufen immer mal wieder an und gucken, gibt es da nur ein Jota an Verhandlungsbereitschaft. Und da ist nichts da.“

Eine andere Entwicklung innerhalb Russlands

Für Oleksyj Semenyj, den Direktor des Institutes für Globale Transformationen in Kiew, war der Krieg zu diesem Zeitpunkt kaum noch zu verhindern, wie er in einem viel beachteten Aufsatz analysiert.

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„Die erste und wohl wichtigste Voraussetzung für die Vermeidung des Krieges wäre eine andere Entwicklung innerhalb Russlands in den letzten zwei Jahrzehnten gewesen“, schreibt er. Gemeint sei damit „ein schrittweiser Aufbau eines echten demokratischen Systems, in dem der Staat für seine Bürger da ist und ihren Wünschen und Vorschlägen Gehör schenkt; in dem die politische Führung die Einnahmen aus dem Verkauf der nationalen Ressourcen nicht in die eigenen Taschen leitet; in dem der Staat seine Bemühungen auf die Entwicklung und die Verbesserung des Lebensniveaus seiner Bürger richtet und nicht auf die Befriedigung monströser imperialistischer Ambitionen.“

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