Hat Gauland bei Hitler abgeschrieben?
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„Strategie aus der Nazi-Zeit“: AfD-Chef Gauland hat mit seinem FAZ-Aufsatz eine Debatte ausgelöst
© Quelle: Gregor Fischer/dpa
Berlin. Alexander Gauland ist kein neuer Hitler, noch nicht einmal ein Hitler light. Die Aufregung über den Populismus-Essay des AfD-Seniorchefs in der „FAZ“ geht zurzeit in die falsche Richtung. Gauland hatte in einem Gastbeitrag den Populismus als Gegenmittel gegen eine neue „globalisierte Klasse“ in Stellung gebracht. Zu dieser „neuen urbanen Elite“ oder eben „Klasse“, Gauland verwendet die Begriffe austauschbar, gehörten „Menschen aus der Wirtschaft, der Politik, dem Unterhaltungs- und Kulturbetrieb – und vor allem die neue Spezies der digitalen Informationsarbeiter“. Dieses Milieu lebe „in einer abgehobenen Parallelgesellschaft“ und gebe „kulturell und politisch den Takt“ vor.
Bei belesenen Beobachtern schrillten die inneren Alarmglocken. Hatten die Nazis nicht ganz ähnlich argumentiert – gegen die Juden? Natürlich hatten sie das. Auf Twitter kursierte schnell die Abschrift einer Hitler-Rede vor Siemens-Arbeitern in Berlin 1933. Der frisch ernannte Reichskanzler wetterte gegen "eine kleine, wurzellose, internationale Clique", und wen er damit meinte, wusste sein Publikum: "Die Juden!" rief es dazwischen. Der renommierte Antisemitismus-Forscher Wolfgang Benz kommentierte im "Tagesspiegel", Gaulands Text sei "ganz offensichtlich eng an den Hitlers geschmiegt". Der "FAZ"- Beitrag wirke so, "als habe sich der AfD-Chef den Redetext des Führers von 1933 auf den Schreibtisch gelegt".
Wer Parallelen sucht, der wird sie finden. Sie sind offensichtlich und erschreckend, führen aber dennoch in eine falsche Richtung. Hitler wie Gauland machen eine Front auf zwischen Eliten, „die sich überall zu Hause fühlen“ (Hitler), die „überall ähnliche Appartements, Häuser, Restaurants, Geschäfte und Privatschulen“ finden (Gauland), und dem Volk, das „ihnen nicht nachfolgen“ kann (Hitler). Das „Volk“ besteht daher aus „Menschen, die den Schutzraum Nation brauchen“, den die anderen „ für kleinbürgerliches Gefasel halten“, wie Gauland im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) sagte.
Auch Stalin hetzte gegen die Juden
Dieser Gegensatz ist alles andere als neu, und auch Hitler hat kein alleiniges Copyright darauf. Auch Stalin, dies nur am Rande, betrieb Terror gegen „wurzellose Kosmopoliten“ und meinte die Juden.
Interessanter als der Rückgriff in die 1930er Jahre sind die Parallelen, die sich heute bieten. Von wem könnte Gauland noch abgeschrieben haben? David Goodhart bietet sich an. In seinen Büchern unterteilt der britische Autor die Gesellschaft in „Anywheres“ und „Somewheres“, frei übersetzt in „Egal wo“- und „Irgendwo“-Menschen. Die „Egal wo“-Leute sind eben jene „globalistische Elite“, über die Gauland schreibt, die „Irgendwos“ sind das Gegenteil, sie sind jene, an die die Populisten sich richten.
Der frühere konservative kanadische Premier Stephen Harper hat gerade ein Buch vorgelegt über „Politik und Führung im Zeitalter der Disruption“. Die Populisten hätten in vielem Recht, schreibt Harper. Die Nöte der „Irgendwos“ zeigten tief greifende Probleme der Globalisierung auf, die Populisten sprächen diese an. Und die „Bewegung“ des früheren Trump-Beraters Stephen Bannon, der gerade die europäische Rechte vereinigen will, geht auf im Kampf „gegen das Establishment“ und „die globalistische Vision“.
Linke Populisten wie Wagenknecht spalten
Auch der frühere Staatssekretär und Zeitungs-Herausgeber Gauland verteidigt im Gespräch mit dem RND die „Anti-Establishment-Einstellung“ seiner Partei. „Sie rührt doch daher, dass die Eliten die Nation als Schutzraum nicht nur nicht mehr wollen, sondern zutiefst verabscheuen. Wir werden wegen der kulturellen Identität gewählt. Weil die Frage nach Identität mindestens so wichtig ist wie die der sozialen Gerechtigkeit.“
Neben Sahra Wagenknecht, die von Gauland bei jeder Gelegenheit gelobt wird, will auch er etwas aus der Insolvenzmasse der SPD abbekommen. Den Niedergang der Sozialdemokratie hat Gauland fest eingeplant. „Wenn die SPD sich nicht irgendwann einmal entscheidet, für wen sie Politik macht, landen die globalisierten Eliten bei den Grünen und die national heimatverbundenen Wähler landen bei uns.“ Das ist der wahre Grund, warum er den Popanz einer abgehobenen, heimatlosen Elite aufbaut, der bei näherer Betrachtung ebenso in sich zusammenfallen würde wie all die „Genderwahn“- und „Unisex-Toiletten“-Sprachballons der AfD.
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Für Hitler ging es 1933 darum, die Arbeiter in seine „Volksgemeinschaft“ zu locken. Für die globalisierte Elite der Populisten-Führer geht es heute um ein festes Wählerreservoir jenseits des harten Kerns von ideologisch überzeugten Rechten. „Wir sprechen die Massen an“, sagt Stephen Bannons Mann in Europa, der belgische Populist Mischael Modrikamen. Das funktioniert, weil die Kritik an der „Elite“ ebenso vage wie überzogen ist. Und es ist erfolgreich, weil die Linke keine Antworten findet, ihre Globalisierungskritik im Ritual steckenbleibt – und weil linke Populisten wie Sahra Wagenknecht spalten statt sammeln.
Von Jan Sternberg/RND