Heiko Maas über den Brexit: “Es ist kein Abschied”
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"Es kann losgehen": Bundesaußenminister Heiko Maas sieht die EU für die anstehenden Verhandlungen mit Großbritannien gewappnet.
© Quelle: imago images/photothek
Berlin. Herr Minister, heute verlässt Großbritannien die Europäische Union. Sind Sie erleichtert, dass es nach dreieinhalb Jahren des Hinhaltens und Verhandelns nun soweit ist?
Ich bin vor allem erleichtert, dass wir ein „No-Deal“-Chaos verhindern konnten. Wir haben ein Austrittsabkommen, das viele Bereiche regelt. Am wichtigsten: Die Rechte der EU-Bürger in Großbritannien sind auf Lebenszeit gesichert, ebenso wie die Rechte der Briten in der EU. Und wir haben eine dauerhafte Regelung für die Grenze in Nordirland, die den Frieden dort sichert. Auch Großbritanniens finanzielle Verpflichtungen gegenüber der EU sind geklärt. Ab morgen schlagen wir ein neues Kapitel auf.
Premier Boris Johnson will bis zum Jahresende ein Handelsabkommen mit der EU unter Dach und Fach gebracht haben – einen Deal ohne Zölle und Quoten. Ist das realistisch?
Das werden intensive Gespräche unter hohem Zeitdruck. Aber wir akzeptieren, dass Boris Johnson eine Verlängerung der Übergangsphase ablehnt – die ja eigentlich um bis zu zwei Jahre möglich wäre. Bis Ende 2020 werden wir nicht alle Bereiche im Detail regeln können. Aber wenn der politische Wille von beiden Seiten da ist, können wir zu guten Ergebnissen kommen. Wir wollen weiterhin enge Beziehungen zu Großbritannien. Ein Deal ohne Zölle und Quoten – das klingt gut. Das ist aber nur die eine Seite der Gleichung. Die andere Seite lautet: ohne unfaire Subventionen und ohne Sozial- oder Umweltdumping.
Die EU-Kommission soll über die künftigen Beziehungen mit London verhandeln. Rechnen Sie mit Nebenverhandlungen einzelner EU-Staaten?
Das glaube ich nicht. Die EU ist in den Brexit-Verhandlungen sehr geschlossen aufgetreten. Natürlich gibt es auch unterschiedliche Interessen der EU-Staaten, aber zusammen haben wir ein übergeordnetes Ziel: Den EU-Binnenmarkt zu verteidigen und für fairen Wettbewerb mit Großbritannien zu sorgen. Für die EU wird weiterhin die Kommission die Verhandlungen führen. Der Chefunterhändler Michel Barnier und sein Team haben tolle Arbeit geleistet. Die Kommission wird schon Montag ein Mandat für die Verhandlungen vorlegen. Um das mal in der Fußballsprache zu sagen: Wir haben eine intakte Mannschaft, einen hervorragenden Trainer und einen klaren Matchplan. Es kann losgehen.
Mit Großbritannien verlässt nach Deutschland der zweitgrößte Nettozahler die EU. Müssen die Deutschen künftig mehr Geld nach Brüssel schicken?
Die deutschen EU-Beiträge werden steigen. Wir sollten uns aber nicht zu sehr auf die Nettozahler-Diskussion verlegen. Wir sind Nettozahler, aber wir sind auch Nettogewinner, weil uns die EU-Mitgliedschaft enorme Vorteile bringt. Und es geht nicht nur darum, wie viel wir zahlen, sondern vor allem wofür wir zahlen: Die EU braucht ein modernes Budget. Wir müssen gesamteuropäische Zukunftsaufgaben wie Klimaschutz, Digitalisierung, Forschung, Migrationsfragen und Außenpolitik zu Prioritäten machen. Dafür setze ich mich in den Verhandlungen für den neuen EU-Finanzrahmen ein.
Was, wenn der Brexit für die Briten ein Erfolg wird? Droht er dann in der EU Nachahmer zu finden?
Ich gönne den Briten wirtschaftlichen Erfolg – auch nach dem Brexit. Auch wir in der EU werden profitieren, wenn es der britischen Wirtschaft weiter gut geht. Aber an Nachahmer glaube ich nicht. Gerade durch die Brexit-Debatte der letzten Jahre ist die Zustimmung zur EU in allen Mitgliedsstaaten wieder deutlich gestiegen, auch in Deutschland. Vielen Menschen wurde dadurch sehr klar vor Augen geführt, welche Vorteile die EU ihnen bringt: freier Handel im größten Binnenmarkt der Welt, freies Reisen und die Möglichkeit, dort zu leben, zu arbeiten und zu studieren, wo man möchte. Ich sehe derzeit kein anderes Land, das diese Vorteile aufgeben möchte.
Welche Schlüsse sollten die deutsche und die europäische Politik aus dem Austrittswunsch so vieler Briten ziehen?
Aber natürlich müssen wir in der EU unsere Schlüsse aus dem Brexit ziehen. Eine Lehre ist, dass wir in der nationalen Politik nicht ständig mit dem Finger nach Brüssel zeigen dürfen – schließlich ist die EU letztlich die Summe ihrer Mitgliedsstaaten. Wir müssen ehrlicher und besser erklären, wie in Brüssel entschieden wird. Eine andere Lehre ist: Die EU muss sozialer werden. Viele deutsche Unternehmen verdanken ihren wirtschaftlichen Erfolg vor allem dem EU-Binnenmarkt. Davon profitieren auch die Arbeitnehmer durch höhere Löhne und die Konsumenten durch niedrigere Preise. Aber es gibt eben auch Verlierer, für die wir einen Ausgleich schaffen müssen.
Was sind Ihre Abschiedsworte an die Briten?
Es ist kein Abschied – Großbritannien wird ja nicht plötzlich wegschwimmen. Aber es ist natürlich eine Trennung. Den Briten sage ich: „Es ist schade, dass ihr geht. Lasst uns weiter Freunde bleiben und eine möglichst enge Partnerschaft vereinbaren.“ In diesem Geiste wollen wir die Verhandlungen führen.