Integrationsbeauftragte Widmann-Mauz: Es gibt nur ein “Wir”
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Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU).
© Quelle: imago images/photothek
Berlin. Frau Widmann-Mauz, rund 2,5 Millionen Menschen sind in Deutschland arbeitslos. Warum nicht erst sie in Arbeit bringen, ehe man Arbeitskräfte aus dem Ausland holt?
Wir müssen beides tun – und das tun wir. Wir stärken alle Potenziale hierzulande, zum Beispiel mit dem Qualifizierungschancengesetz. Aber alle Experten sagen, dass wir unseren Fachkräftemangel ohne Einwanderer nicht decken werden. Deshalb müssen wir uns als attraktives Einwanderungsland für Fachkräfte positionieren.
Es fehlt an Personal in der Pflege, auf dem Bau, in der Reinigungsbranche. Ließe sich der Arbeitskräftemangel nicht auch mit höheren Löhnen beheben?
Natürlich müssen die Arbeitsbedingungen attraktiv sein – für inländische Arbeitnehmer, aber auch für Interessenten aus dem Ausland. Schließlich wollen wir global wettbewerbsfähig bleiben. Nehmen Sie den Bereich der Pflege: Wir verbessern die Bezahlung und den Personalschlüssel. Dennoch sind wir auf zusätzliche Pflegekräfte aus dem Ausland angewiesen.
Deutschland hat eine lange Tradition bei der Anwerbung von Arbeitskräften. Was ist neu am jetzt in Kraft tretenden Fachkräfteeinwanderungsgesetz?
Damit bekennt sich Deutschland erstmals dazu, Einwanderungsland zu sein. Die erste Phase des Nationalen Aktionsplans Integration, mit der wir das Gesetz begleiten, stellt bereits vor der Einwanderung die Weichen für Integration. Damit unterstützen wir eine gesteuerte Migration und beugen illegalen Einreisen vor. Gleichzeitig gelingt Einwanderern so das Ankommen in unserer Gesellschaft besser. Der Aktionsplan geht natürlich weiter, er berücksichtigt alle Phasen der Integration. Wir wollen den Zusammenhalt in unserem Land stärken, dazu gehört auch der Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung. Vorintegration ist nur der erste Schritt.
Wer bietet diese an?
Wir müssen pragmatisch sein. Das Sprachangebot unserer weltweiten Goethe-Institute wird ausgeweitet. Zudem stellen Unternehmen auf der Suche nach Personal in Schwerpunktländern Sprach- und Qualifikationsangebote zur Verfügung. So sind Pflegeunternehmen bereits heute in den Philippinen aktiv und IT-Firmen in Indien.
Einwanderung nach Deutschland bedeutet Abwanderung anderswo – schon heute beklagen viele Regionen Osteuropas den Verlust ihrer leistungsstärksten Bevölkerungsgruppen, mithin sogar Entleerung. Verstärkt Migration nach Deutschland die Ungleichheit in Europa?
EU-Bürger können ihren Arbeitsort frei wählen. Unser Ziel muss es sein, dass damit der Wohlstand in ganz Europa steigt. Rückkehrer können dazu beitragen, die Bedingungen in ihrem Heimatland zu verbessern. Arbeitsmigration sollte immer ein dreifacher Gewinn sein: für die Fachkräfte selbst, für die Herkunftsländer und die Zielländer.
Als Integrationsbeauftragte der Bundesregierung sprechen sie viel mit Vertretern von Migrantenorganisationen. Wie wirkt sich der rassistische Anschlag von Hanau aus?
Ich habe zahlreiche Gespräche mit Angehörigen und Freunden der Opfer geführt. Die Worte der Mutter eines Getöteten hallen nach: Ihr Sohn dürfe nicht umsonst gestorben sein. Wir müssen die Dinge beim Namen nennen. Rechtsextremismus ist die derzeit größte Gefahr in unserem Land. In Hanau wurden rassistische Morde verübt. Wir müssen Rassismus erkennen, benennen und bekämpfen – auf allen Ebenen. Deutschland ist vielfältig, aber wir sind eine Einheit. Es gibt nur ein “Wir”. Und wir müssen selbstkritisch prüfen: Tun wir genug, um Rassismus zu bekämpfen?
Und, tun Sie genug?
Ich selbst habe meine Mittel für Opferberatungsstellen und mobile Beratung schon Anfang des Jahres verdreifacht. Aber das reicht nicht. Wir müssen unsere Extremismusprävention verstärken. Für die mobile Beratung fließen Fördergelder nur projektbezogen und befristet ab. So aber schafft man keine breite, nachhaltige Struktur. Opfer von Rassismus brauchen mehr Unterstützung. Dafür braucht es endlich einen Konsens innerhalb der Bundesregierung.
Was schlagen Sie noch vor?
Wir sollten eine unabhängige Anlaufstelle einrichten. Ein “Hilfetelefon Rassismus” kann kompetente, Anonymität garantierende Hilfe anbieten. Überdies brauchen wir ein deutlich besseres und umfassendes Bild der Ausbreitung von extremistischen Orientierungen. Sicherheitsbehörden sollten dazu ihre Erkenntnisse bündeln. Und wir brauchen eine Expertenkommission gegen Muslimfeindlichkeit, um diese hierzulande besser bekämpfen zu können.