Ist Kim Jong Un nur dick und doof?

Umgeben von jubelnden Soldaten seines Landes: Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un auf einem Foto, das die staatliche nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA verbreitet hat – und dessen Authentizität nicht überprüft werden kann.

Umgeben von jubelnden Soldaten seines Landes: Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un auf einem Foto, das die staatliche nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA verbreitet hat – und dessen Authentizität nicht überprüft werden kann.

Rings um die CIA-Zentrale in Langley herrscht Ruhe. Aus den Büros blickt man auf einen dichten Wald, dahinter fließt der Potomac Richtung Washington. Der Fluss umströmt an dieser Stelle zwei kleine, bewaldete Inseln: Ruppert Island und Sycamore Island.

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Der mächtigste Geheimdienst der Welt will, dass seine Mitarbeiter ungestört nachdenken. Nicht nur äußere Ablenkung soll ausgeschlossen werden. Auch innere Vorfestlegungen sollen die Analysten vermeiden.

In jedem CIA-Büro liegt “die Bibel”

In jedem Büro, berichtet Jung H. Pak, die hier jahrelang gearbeitet hat, finde man das Buch “Psychology of Intelligence” von Richards Heuer, ein schmales lilafarbenes Bändchen: “Das ist so etwas wie die Bibel unserer Branche.” In der Bibel warnt Heuer, der selbst 45 Jahre bei der CIA war, vor “Erwartungsmustern” aller Art. Allzu leicht werde dadurch die Interpretation von Fakten verbogen. Heuers Gegenstrategie: ruhig und unvoreingenommen bleiben – und systematisch alle Puzzleteile betrachten, auch jene, die nicht zu passen scheinen.

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Nordkorea gilt hier als “hartes Ziel”: Im CIA-Hauptquartier in Langley bei Washington poliert ein Mitarbeiter das Logo.

Nordkorea gilt hier als “hartes Ziel”: Im CIA-Hauptquartier in Langley bei Washington poliert ein Mitarbeiter das Logo.

Paks Puzzle heißt Kim Jong Un. Nordkorea, schreibt sie in ihrem Buch, das in dieser Woche auf Deutsch erschienen ist, gilt bei der CIA als “hartes Ziel”: unzugänglich und schwer zu entschlüsseln. Alle paar Tage gibt es neue Rätsel. Mal hält Kim eine seltsame Rede. Mal ist er verschwunden, sogar am Nationalfeiertag. Dann droht er wieder seinem Nachbarn, dem südkoreanischen Präsidenten, er könne dessen Residenz, das Blaue Haus in Seoul, jederzeit in ein “Flammenmeer” verwandeln.

Pak kam 2009, im ersten Obama-Jahr, zur CIA. Die promovierte Historikerin hat koreanische Eltern, sie wuchs in New York auf. In Langley arbeitete sie als Senior Analyst, später als Deputy National Intelligence Officer; manche ihrer Memos landeten als Teil der täglichen Unterrichtung des Präsidenten auf Barack Obamas Tisch.

In der Mehrdeutigkeit liegt das Alarmierende

Inzwischen arbeitet Pak bei der politischen Denkfabrik Brookings. Im US-Wahlkampf engagiert sie sich privat, wie sie diese Woche dem RedaktionsNetzwerk Deutschland sagte, für Joe Biden als außenpolitische Ratgeberin. Auch jeder neue Präsident würde bald vor einer alten Frage stehen: Was will Kim?

“Das Regime braucht eine feindselige Außenwelt”, sagt Jung H. Pak. Ihr Buch “Kim Jong Un – Eine CIA-Analystin über sein Leben, seine Ziele, seine Politik” ist in dieser Woche auf Deutsch erschienen (DuMont, 416 Seiten, 24 Euro).

“Das Regime braucht eine feindselige Außenwelt”, sagt Jung H. Pak. Ihr Buch “Kim Jong Un – Eine CIA-Analystin über sein Leben, seine Ziele, seine Politik” ist in dieser Woche auf Deutsch erschienen (DuMont, 416 Seiten, 24 Euro).

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Dass Kim “ein ehrenwerter Mann” sei, wie es Donald Trump 2018 nach einem Händeschütteln mit dem Diktator verkündete, hält Pak für Unfug. Nur daraus, dass Kim höflich mit Trump umgehe, wenn er ihn treffe, könne man überhaupt nichts schließen. Trump sei ein Opfer von “vividness bias”, einer Voreingenommenheit, die bei vielen Menschen befeuert wird vom lebendigen Eindruck des gerade Erlebten – laut CIA-Bibel gehört dies zu den Todsünden.

Wer Kim analysieren will, muss kühl bleiben und, wie Pak in ihrem Buch, vieles in den Blick nehmen: Biografisches und Strategisches.

Die USA haben Kim schon einiges im Gegenzug geboten für den Fall, dass er nur ja endlich auf seine Atombomben verzichtet. Doch das Ergebnis war immer gleich: Der Mann klammert sich an seine nuklearen Waffen. Er lässt sogar beständig neue bauen – auch nach dem “historischen” Treffen mit Trump.

“Ein ehrenwerter Mann”? Trump – hier bei seinem Treffen mit Kim am 11. Juni 2019 – ist nach Ansicht von Buchautorin Pak ein Opfer von “vividness bias”, einer Voreingenommenheit, die bei vielen Menschen befeuert wird vom lebendigen Eindruck des gerade Erlebten.

“Ein ehrenwerter Mann”? Trump – hier bei seinem Treffen mit Kim am 11. Juni 2019 – ist nach Ansicht von Buchautorin Pak ein Opfer von “vividness bias”, einer Voreingenommenheit, die bei vielen Menschen befeuert wird vom lebendigen Eindruck des gerade Erlebten.

Warum macht er das? Ist Kim das Riesenbaby, als das ihn einst das Magazin “New Yorker” auf einer Titelseite zeigte? Will er mit seinen Spielsachen nur trotzig seinen Status aufrechterhalten? Ein Diktator, der einfach nur dick und doof ist – das wäre zwar bitter für die ihm Unterworfenen, aber weltpolitisch halb so schlimm. Steckt bei Kim nicht sehr viel mehr dahinter? Pak tastet sich vorsichtig vor zu mehreren möglichen Deutungen – und gerade in dieser Ambiguität liegt das Alarmierende.

Was, höhnten schon viele, soll es dem Mann in Pjöngjang wohl nutzen, wenn er die eine oder andere Langstreckenrakete nach Kalifornien abfeuern kann? Einen Atomkrieg gegen die USA werde er doch nicht gewinnen. Oft tippen sich Leute im Westen auch an die Stirn angesichts der absurd hohen Zahl von mehr als einer Million Soldaten, die Nordkorea in Friedenszeiten unter Waffen hat. Kein weiteres Land der Welt ist derartig militarisiert. Würde Deutschland einen so hohen Anteil der Bevölkerung in Uniformen stecken, müsste die Bundeswehr von derzeit 184.000 Soldaten auf 3,6 Millionen anwachsen.

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Man kann das alles belächeln und für verrückt erklären.

Würde Washington San Francisco für Seoul opfern?

Doch möglich ist eben auch, dass Kim eines Tages die Puzzleteile zu einem frappierend monströsen Gesamtbild zusammenschiebt: Was, wenn seine riesige Armee plötzlich nach Süden marschiert, um eine gewaltsame Wiedervereinigung zu bewirken? Und wenn Kim parallel den USA damit droht, dass er im Fall ihres Eingreifens Atomraketen auf ihr Territorium abschießt? Würde Washington dann San Francisco für Seoul opfern? Es entstünde ein Szenario mit Weltkriegspotenzial.

Pak allerdings mahnt, man dürfe Fähigkeiten nicht mit Absichten gleichsetzen. Will Kim vielleicht nur alles in der Schwebe halten? Zu den wenigen Gewissheiten gehört für die Autorin, dass das Regime eine feindselige Außenwelt braucht. Nur so könne Kim die haarsträubende Militarisierung und die ökonomischen Probleme seines Landes rechtfertigen – und den Mythos aufrechterhalten, der Diktator sichere dessen gute Zukunft. Friedenslösungen wären nach dieser Logik Gift für Kims Herrschaft. Zündeleien indes werden zum Way of Life. Im Schlusskapitel schreibt Pak: “Kims Rückkehr zu provokativen Aktionen ist nur eine Frage der Zeit.”

Ein klares Zeichen für Dissens: Im Juni ließ Nordkorea ein für 9 Millionen US-Dollar renoviertes innerkoreanisches Verbindungsbüro sprengen. Es sollte dem Dialog mit Südkorea dienen.

Ein klares Zeichen für Dissens: Im Juni ließ Nordkorea ein für 9 Millionen US-Dollar renoviertes innerkoreanisches Verbindungsbüro sprengen. Es sollte dem Dialog mit Südkorea dienen.

Noch während das Buch gedruckt wurde, Mitte Juni, gab es in der entmilitarisierten Zone zwischen Nord- und Südkorea einen Knall, Rauch stieg auf. Soeben hatte Nordkorea ein Verbindungsbüro an der Grenze zu Südkorea in die Luft gesprengt. Das Gebäude war im Jahr 2018 für 9 Millionen US-Dollar eingerichtet worden. Es sollte dazu dienen, das Verhältnis beider Länder zu verbessern.

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Es stand Kim im Weg.

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