Bundestagsvizepräsidentin Göring-Eckardt: Pushbacks von Flüchtlingen müssen aufhören
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Katrin Göring-Eckardt spricht im Bundestag (Archivbild).
© Quelle: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa/Archivbild
Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckhardt hat die polnisch-belarussische Grenze besucht. Bereits im vergangenen Jahr hatte Belarus dort begonnen, Flüchtlinge aus dem Mittleren Osten über die Grenzen nach Polen zu schleusen. Bei ihrem Besuch erlebte Göring-Eckhardt nun, dass sich vor Ort daran bisher wenig verändert hat. Im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) fordert sie, dass sich die Zustände ändern müssen
Frau Göring-Eckardt, Sie waren in der vorigen Woche an der polnisch-belarussischen Grenze. Der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko hat dorthin weit vor Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine Flüchtlinge bringen lassen, um so Druck auf die EU auszuüben. Wie ist die Lage heute?
Die Lage ist faktisch unverändert. Das Regime Lukaschenko übt Druck aus, die Geflüchteten kommen zum Beispiel über Minsk und Moskau. Offensichtlich werden sie zur Grenze gebracht. Dort erwarten sie ein meterhoher Zaun und Grenzposten. Es gelingt weiterhin regelmäßig, dass Geflüchtete den Zaun überwinden. Einige bitten in Polen um Asyl, der größere Teil wird zurückgeschickt, manche schaffen es auf eigene Faust, weiter zu kommen. Sie harren dann meist ohne Essen, Kleidung, medizinische Versorgung in den Wäldern nahe der Grenze aus.
Bis zuletzt hieß es stets, man könne die Grenze gar nicht besuchen, weil sie von polnischer Seite abgeriegelt werde. Wie haben Sie das erlebt?
Die deutsche Botschaft berichtete in der Tat, dass offizielle Vor-Ort-Besichtigungen bis zu meinem Besuch nicht möglich waren. Ich konnte jetzt mit der Grenzpolizei reden, war an der Grenze und habe Hilfsorganisationen besucht. Der polnische Grenzschutz umgeht das Asylrecht und meint, im Falle einer Instrumentalisierung von Asyl und Migration EU-Standards aussetzen zu können. Das wird aktuell in der EU diskutiert. Der Streit wird auf dem Rücken der Menschen in Not ausgetragen.
Kritik: „Zweiklassenpolitik“ in Polen
Wie reagieren die Polen ansonsten auf die Situation, also Regierung und Gesellschaft?
Zunächst einmal muss man anerkennen, dass die Polen weit mehr als eine Million ukrainische Geflüchtete aufgenommen und versorgt haben, sie sorgen für Aufnahme in Schule und Kindergärten und kümmern sich um Unterbringung. Gleichzeitig werden die Menschen, die aus Kriegsgebieten wie Syrien, Afghanistan oder Irak kommen, nicht in gleicher Weise unterstützt. Es gilt dort offensichtlich eine Art Zweiklassenpolitik. Faktisch gibt es nur sehr wenige Helferinnen und Helfer, weil ihnen die Hilfe erschwert wird. Die polnische PIS-Regierung übt massiv Druck auf Helfende aus.
Sie haben in einem anderen Interview von Pushbacks gesprochen. Was bedeutet das konkret?
Es geht um die Zurückweisung nach Belarus. Entgegen den Angaben der Offiziellen handelt es sich offensichtlich um Pushbacks, die in Europa verboten sind. Personen werden zurück geschickt, ohne dass ihr Einzelfall geprüft würde oder es eine medizinische Versorgung gäbe. Das ist mit europäischem Recht und unseren Werten nicht vereinbar. Zudem haben die Zurückgewiesenen keine Zusicherung, dass sie in Belarus in Sicherheit unterkommen würden. Im Gegenteil.
Zwei Millionen Geflüchtete brauchen permanente neue Heimat
Die meisten Umsiedlungen seien aus afrikanischen Ländern, dem Nahen Osten, Nordafrika und der Türkei nötig.
© Quelle: dpa
„Rechtsstaatlichkeit muss für alle Menschen gelten“
Flüchtlinge werden faktisch als „Waffe“ eingesetzt. Kann es da überhaupt eine richtige Reaktion des Westens geben? Und wenn ja: Wie sähe die aus?
An unseren europäischen Außengrenzen muss europäisches Recht gelten, verteidigt und geschützt werden. Rechtsstaatlichkeit muss für alle Menschen gelten. Es braucht Humanität und Ordnung. Das heißt: Geordnete Registrierungen, humanitäre Hilfe vor Ort und, so sagte es mir übrigens auch ein hoher Beamter des Grenzschutzes, legale Wege der Migration. Die Geflüchteten haben Anspruch auf faire Verfahren, dazu gehört eine faire Verteilung in Europa. Das ist nicht einfach, aber wir müssen alles daran setzen, dass das gelingt.