Keine Tränen um Angela Merkel – so blickt Griechenland auf die Ära der scheidenden Kanzlerin
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/RTHVKRRAA5CMFPOODOMMPYFPZY.jpg)
Merkel in ihrem Dienstwagen: Griechenland blickt mehrheitlich negativ auf die Ära Merkel zurück.
© Quelle: imago images/Chris Emil Janßen
Athen. Als Angela Merkel jetzt in einer Diskussion nach den schwersten Momenten ihrer Kanzlerschaft gefragt wurde, erinnerte sie an die griechische Schuldenkrise. Sie habe damals den Menschen in Griechenland „so viel zugemutet“, sagte Merkel. In griechischen Medien wurde diese Reminiszenz überwiegend mit Ironie kolportiert. „Eine Entschuldigung ist das ja nicht“, stellte der Moderator des Fernsehsenders Skai fest.
Angela Merkel und die Griechen: Eine schwierigere Beziehung kann man sich kaum vorstellen. Die meisten Menschen in Griechenland weinen der scheidenden Kanzlerin keine Träne nach. Sie sehen in ihr die treibende Kraft des „deutschen Spardiktats“ während der Staatsschuldenkrise. 2010 schnürten EU und Internationaler Währungsfonds das erste Hilfspaket für Griechenland. Es enthielt harte Auflagen. „Es muss wehtun“, habe Merkel ihm seinerzeit erklärt, erinnert sich der damalige griechische Premierminister Giorgos Papandreou.
Griechische Boulevardblätter bildeten die deutsche Kanzlerin in Fotomontagen als SS-Soldatin ab. Eine große Athener Zeitung zeigte in einer Karikatur Merkel als Zirkusdompteuse, die mit knallender Peitsche griechische Rentner zum Sprung durch einen brennenden Reifen antrieb.
Gefährliche und böse Merkel
Der radikallinke Oppositionspolitiker und spätere Ministerpräsident Alexis Tsipras warf Merkel damals vor, sie wolle in Griechenland einen „sozialen Holocaust“ anrichten. Er dämonisierte die Kanzlerin als „gefährlichste Politikerin Europas“. Demonstranten errichteten auf dem Athener Syntagmaplatz einen Galgen, an dem eine Merkel-Puppe baumelte. „Ich wurde als die böse Frau dargestellt, das war schwer“, erinnerte sich Merkel jetzt.
Die deutsche Kanzlerin war damals die mit großem Abstand unbeliebteste ausländische Politikerin in Griechenland. Auf dem Höhepunkt der Krise äußerten in einer Umfrage 85 Prozent der Menschen eine negative Meinung über Merkel.
Inzwischen hat sich das Bild ein wenig aufgehellt. Viele Griechen und Griechinnen wissen heute, dass es damals Merkel war, die Griechenland im Euro hielt – gegen die Grexit-Pläne ihres Finanzministers Wolfgang Schäuble. Auch für ihre Flüchtlingspolitik bekommt Merkel in Griechenland nachträglich Anerkennung. Hätte sie im Sommer 2015 nicht die Grenzen offen gehalten, wäre Griechenland im Chaos versunken.
Die Kehrseite der deutschen Flüchtlingspolitik ist aus griechischer Sicht das, was viele als „Anbiederung“ Merkels an den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan sehen. Die Kanzlerin lasse Erdogan aus Angst vor einer neuen Flüchtlingskrise „übertriebenen Beistand“ zukommen, kritisiert Angelos Athanasopoulos, Politikchef der Zeitung „To Vima“. Auch im Streit um die Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer erwecke Merkel den Eindruck, dass sie „mehr um die Sympathien der Türkei wirbt“, als die Rechte des EU-Mitglieds Griechenland zu unterstützen.
Sicher ist: Kein anderer ausländischer Politiker hat den Weg Griechenlands im vergangenen Jahrzehnt so stark beeinflusst wie Merkel. Über Schicksalsfragen des Landes, wie den Grexit oder die Staatspleite, wurde in den Jahren der Schuldenkrise eher im Berliner Kanzleramt entschieden als in Athen.
Auch in Zukunft werden viele Griechen mit zwiespältigen Gefühlen auf Deutschland blicken, egal wer Merkels Nachfolge antritt. Als Urlauber sind die Deutschen gern gesehene Gäste, zumal sie auch in der Pandemie dem Land die Treue hielten. Politisch aber fühlen sich die meisten Griechen von Deutschland unverstanden.