Kippt das Virus bald die ersten Staatspräsidenten?
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Die Corona-Chroniken.
© Quelle: RND
Krise? Welche Krise? Der Staatschef von Weißrussland, Alexander Lukaschenko, hat sich vorgenommen, einfach nicht teilzunehmen am weltweiten Kampf gegen das Coronavirus. Das sei doch alles eine einzige “Psychose¨, höhnt Lukaschenko schon seit Tagen.
Der 65-jährige Herrscher über 9,5 Millionen Menschen zwischen Polen und Russland gilt als “der letzte Diktator Europas”. Der umrühmliche Titel scheint ihm nichts auszumachen. Im Gegenteil: Lukaschenko ist offenbar stolz darauf, nun auch noch Europas einziger Staatschef zu sein, der die Viruskrise für belanglos erklärt.
Am Wochenende setzte er noch eins drauf. In der Hauptstadt Minsk spielte er demonstrativ Eishockey, in einem Stadion, vor vollen Rängen. “Hier gibt es keinerlei Viren”, verkündete der Präsident. Er habe jedenfalls nicht bemerkt, “dass sie herumfliegen”. Und dann diktierte er den Journalisten der amtlichen Nachrichtenagentur seines Landes noch etwas zum Mitschreiben: “Sport, besonders Eissport, ist die beste Anti-Viren-Medizin.” Darüber hinaus reiche es völlig aus, sich auf traditionelle Methoden der Virusabwehr zu besinnen: Sauna, Wodka und Arbeiten auf dem Bauernhof. Wer Traktor fahre, lasse das Virus hinter sich.
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“Eissport ist die beste Anti-Viren-Medizin”; Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko (links), hier bei einer Veranstaltung am 7. Februar an der Seite des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Foto: Alexander Zemlianichenko/dpa
© Quelle: Alexander Zemlianichenko/AP POOL
Anfangs schmunzelten manche Weißrussen noch über ihren sturköpfigen Staatschef und dessen “Traktor-Therapie”. Inzwischen aber finden viele die Sache nicht mehr lustig.
Von einer “trumpistischen” Wirklichkeitsverleugnung durch Lukaschenko sprechen unabhängige Beobachter in Minsk. Lukaschenko fürchte offenkundig Panik und Hamsterkäufe mehr als alles andere.
Studenten, Eltern und Oppositionelle werden unruhig
Die jetzt bevorstehende Krise aber, sagte der weißrussische Politologe Alexander Feduta der “Washington Post”, werde der Machthaber von Minsk nicht aufhalten können. Weißrussland mit seinen bislang nur 94 offiziell registrierten Infizierten sei nur einfach “später dran”.
Die Zahl der Corona-Toten in Weißrussland liegt offiziell bei null. Und dabei soll es offenbar bleiben. Lukaschenko gab seinen Sicherheitsbehörden Weisung, unnachgiebig jeden Fall genau zu untersuchen, in dem jemand “fälschlicherweise” einen Todesfall mit einer Corona-Infektion begründe.
Die Politik der Einschüchterung jedoch scheint nicht mehr so recht zu verfangen.
- Immer mehr Weißrussen, besonders in der Zwei-Millionen-Metropole Minsk, melden ihre Kinder von der Schule ab. Das Regime hat eingelenkt und will dies nicht mehr als unentschuldigtes Fehlen ahnden.
- Studenten sammeln Unterschriften mit dem Ziel, die Schließung von Schulen und Hochschulen zu erzwingen. Dass sie noch geöffnet seien, sei “ein Verbrechen”, heißt es in den Petitionen.
- Oppositionelle in Weißrussland und im Exil sehen eine Chance gekommen, Lukaschenko zu kippen: Wenn die Infektionswelle steil ansteige und die Wirtschaft abstürze, werde Europas letzter Diktator sich nicht mehr halten können. Dann nämlich drohten Protestwellen wie bei der orangen Revolution im nahen Kiew.
Blamierte Präsidenten in Mexiko und Brasilien
Sollte Lukaschenko in einigen Wochen tatsächlich kippen, wäre er der erste Staatschef, der die Corona-Krise politisch nicht überlebt, weil er sie verharmlost hat. Zwei weitere heiße Anwärter stehen neben ihm auf der Weltbühne:
- Jair Bolsonaro, der rechtspopulistische Präsident von Brasilien, kann es nicht lassen, über die Pandemie immer neue Witze zu reißen – während das Virus sich in den Slums auszubreiten beginnt.
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Der britische “Economist” nennt ihn “BolsoNero”: Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro. Andressa Anholete/Getty Images
© Quelle: Getty Images
Vom britischen Magazin “Economist” wird Bolsonaro bereits als “BolsoNero” bezeichnet – in Anspielung auf Nero und den großen Brand von Rom. Die “Washington Post” legte ihm in einem am Montag erscheinenden Kommentar den Rücktritt nahe. Bereits Mitte März hatten Mitglieder des brasilianischen Kongresses einen Antrag auf ein Amtsenthebungsverfahren eingereicht. Zugleich wurden entsprechende Petitionen in Gang gesetzt, unterstützt von zahlreichen brasilianischen Wissenschaftlern, Künstlern und Intellektuellen. Twitter hat unterdessen von seiner Plattform zwei Videos von Bolsonaro gelöscht, in denen der brasilianische Staatschef seine Unterstützer auffordert, Vorsichtsmaßnahmen zu ignorieren und lieber die Wirtschaft am Laufen zu halten. Der Kurznachrichtendienst verwies auf eine unternehmensinterne Regelung, wonach Twitter keine Falschnachrichten zur Corona-Krise verbreite.
- Andrés Manuel López Obrador, der linkspopulistische Präsident von Mexiko, hat ebenfalls wochenlang die Warnungen der Wissenschaftler in den Wind geschlagen und anfangs sogar behauptet, das neuartige Coronavirus sei harmloser als die gewöhnliche Grippe. Umarmungen, das war ihm wichtig, sollten weiter zum Alltag gehören. Noch am 22. März legte er seinen Landsleuten nahe, doch bitte mit der ganzen Familie essen zu gehen, “das stärkt unsere Wirtschaft”. Inzwischen schlugen Mediziner in der “New York Times” Alarm: In Mexiko stünden alle Zutaten bereit, um die Corona-Krise “so schlimm wie in Italien werde zu lassen, oder sogar noch schlimmer”.
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Anfangs erklärte er das Coronavirus für harmloser als die normale Grippe: Andrés Manuel López Obrador, Präsident von Mexiko. dpa
© Quelle: El Universal/El Universal via ZU
Trotzig trat er immer wieder in Menschenmengen auf, wo er seinen Anhängern die Hand gab, sie küsste und umarmte. Erst auf Druck der Weltgesundheitsorganisation hat Mexiko seinen Kurs geändert – offenbar viel zu spät.