Kleiner Renten-Konsens nach großem Streit
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Die Koalitionäre Volker Kauder, Andrea Nahles, Alexander Dobrindt. Gregor Fischer/dpa
Berlin. Man muss schon ein außergewöhnlicher Liebhaber der deutschen Innenpolitik sein und ein Bewunderer der Sozialversicherungsmathematik außerdem, wenn man den monatelangen Streit der Großen Koalition um Rentenpakt, Berufsqualifizierung und Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags verstehen will. Um Nachkommastellen ging es in der Sache, um Zehntelprozentpunkte, doch Union und SPD haben sich beschimpft, blockiert, beharkt, bedroht – als wenn es kein Morgen mehr gebe. Dass die Koalitionäre ihren in unzähligen Krisengesprächen, Vermittlungsversuchen und Nachtsitzungen mühsam gefunden Kompromiss schließlich als großen Durchbruch feierten, sagt wenig über die Qualität der gefassten Beschlüsse aus und viel über den Zustand der Koalition.
Es ist unübersehbar: CDU, CSU und SPD trauen sich wechselseitig nichts mehr zu und vor allem nicht über den Weg. Der Absturz der traditionellen Volksparteien bei der letzten Bundestagswahl ist keineswegs überwunden, zumal die Tendenz in den Umfragen nur eine Richtung kennt – immer weiter abwärts. Auch die tiefen Wunden, die die Unionsschwestern einander im Asylstreit zugefügt haben, wirken nach. Belastbare Arbeitsbeziehungen sind in dieser Regierung bislang kaum zu erkennen, vom Alltagshandeln ist das Bündnis meilenweit entfernt.
Gelohnt hat sich der Streit um die Details der lange vereinbarten Projekte für keinen. Die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages, für den die CDU sich feiert, bringt Durchschnittsverdienern keine 20 Euro mehr pro Monat – und die sammelt der Gesundheitsminister mit höheren Pflegebeiträgen wieder ein. Unterm Strich ändert sich für die Beitragszahler also gar nichts. Das ist beim Arbeitslosengeldes I anders, wo manch Betroffener von den niedrigeren Hürden profitieren wird, auf die die SPD jetzt stolz ist. Doch insgesamt ist der Kreis der Begünstigten überschaubar. Es ist schwer vorstellbar, dass wegen derlei Detailänderungen massenhafte Wählerwanderungen stattfinden werden.
Warum also das Ganze? Weil die verunsicherten Koalitionäre den eigenen Leuten händeringend Erfolge präsentieren müssen. In allen drei Parteien gärt und rumort es. Die CSU zittert vor der Bayern-Wahl, in der SPD wächst die Ungeduld über das Führungsduo Andrea Nahles und Olaf Scholz, in der CDU findet auf offener Bühne ein Machtkampf statt, dem der treue Kanzlerinnen-Diener Volker Kauder zum Opfer fallen könnte. Da bleibt kein Platz mehr für Kompromisse.
Man fragt sich unwillkürlich, was eigentlich passiert, wenn diese Regierung mit einer echten Krise konfrontiert ist. Wenn anders als jetzt wirklich die Zukunft des Landes auf dem Spiel steht. Womöglich reißen sich Union und SPD dann zusammen. Es ist das Prinzip Hoffnung. Mehr nicht.
Von Andreas Niesmann/RND