Interview zur Klimapolitik

Greenpeace-Chef Kaiser: Ein enttäuschendes Jahr für den Klimaschutz

Der Chef von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser.

Der Chef von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser.

Berlin. Herr Kaiser, lassen Sie uns eine Klimabilanz für 2022 ziehen: Das Jahr begann mit dem russischen Angriff auf die Ukraine und der Angst vor winterlichem Gasmangel und endete mit Weltklimagipfel und Naturschutzkonferenz. War es für Klima und Umwelt ein gutes oder ein schlechtes Jahr?

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Gerade, was Klima- und Naturkrise angeht, sind wir enttäuscht. Bei den UN-Konferenzen wurden eine Reihe Maßnahmen beschlossen, aber die sind bei Weitem nicht ausreichend.

Dabei haben die Probleme sich in diesem Jahr in Form von Wetterextremen bereits massiv gezeigt: unglaubliche Dürre im Norden und Osten Deutschlands, Waldbrände in der Sächsischen Schweiz und sogar im Grunewald bei Berlin – und in anderen Weltregionen Überschwemmungen von nie gekanntem Ausmaß, sei es in Italien oder Pakistan. Und insofern muss man sagen, dass die Themen zwar politisch besetzt sind, aber nicht als Krise behandelt werden.

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Wie bewerten Sie die Rolle, die Deutschland 2022 dabei gespielt hat?

Auf internationaler Ebene fehlt es Deutschland an einer schlüssigen Klimaaußenpolitik. Die Bundesregierung hatte die G7-Präsidentschaft inne – bewegte damit die USA aber nicht zur Einhaltung ihrer vertraglich zugesagten finanziellen Verpflichtungen für die Länder, die unter der Klimakrise am meisten leiden.

Beim Weltklimagipfel verweigerten die Schwellenländer im Gegenzug die Verpflichtung zum Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas. Das war ein strategisches Versagen, auch von Deutschland. Zumal auch der Vorschlag des Bundeskanzlers zur Gründung eines Klimaklubs, in dem klimafreundliche Staaten miteinander handeln, ja als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet ist.

ARCHIV - 12.07.2022, Portugal, Leiria: Ein Freiwilliger versucht mit einem Ast zu verhindern, dass ein Waldbrand auf Häuser in dem Dorf Casal da Quinta außerhalb von Leiria übergreift. Das im Sommer von Waldbränden bislang weitgehend verschonte Portugal wird nun von einer Hitzewelle und Dutzenden von Feuern heimgesucht. Foto: Joao Henriques/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Fünf Klimalügen, die wir 2023 nicht mehr glauben sollten

Ein Rückblick auf das Klimajahr 2022 – und was 2023 dringend anders werden muss.

Wirtschafts- und Klimaminister Habeck ist für eine Turboenergiewende angetreten – musste aber nach dem Kriegsausbruch Gas- und Strommangel verhindern, etwa mit Flüssiggas und Kohlekraft. War das alternativlos?

Putins Krieg gegen die Ukraine hat gezeigt, wie abhängig wir von Despoten und deren fossilen Exporten sind. Die richtige Antwort darauf sind nicht neue fossile Abhängigkeiten wie der Einkauf von Flüssiggas oder neue fossile Infrastruktur wie LNG-Terminals, sondern ein Ende der Energieverschwendung und der Turboausbau von Solar- und Windkraft – und perspektivisch von grünem Wasserstoff.

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Steuergelder nur für Sonnen- und Windkraft

Die Bundesregierung sagt, die in Rekordtempo gebauten LNG-Terminals für Flüssiggas werden später auf grünen Wasserstoff umgerüstet.

Es sind aber nicht die gleichen Technologien. Zudem wollen Investoren ihr Geld langfristig anlegen. Also sind das jetzt falsche Weichenstellungen. Auch im Ausland – etwa im Senegal – will Olaf Scholz mit deutschem Steuergeld helfen, Gasfelder zu erschließen. Das ist der falsche Weg. Öffentliche Gelder sollten ab 2023 nur noch in Sonnen- und Windkraft fließen – auch in anderen Ländern, wo es zu deren Entwicklungsmodell werden muss.

Aber wie schließen wir die Lücke, die durch den Wegfall von russischem Gas bis zum Ersatz durch erneuerbare Energie entsteht? Doch durch Atomkraft?

Nein, Atomkraft ist als Hochrisikotechnologie Teil des Problems und nicht Teil der Lösung. Sie verstopft die Stromnetze und bremst so die Nutzung der Erneuerbaren. Zudem entsteht Müll, der Tausende Jahre lang hochgiftig ist. Die Ampel darf sich da von Union und FDP nicht immer wieder ohne Not in diese Debatte treiben lassen. Und der Bundesfinanzminister sollte nicht schon wieder entsprechende Papiere schreiben, sondern die Richtlinienkompetenz des Kanzlers anerkennen.

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Wie sonst schließen wir die Stromlücke?

Dieser Winter hat ja gezeigt, dass große Blackouts unwahrscheinlich sind. Denn erstens haben wir als Gesellschaft bewiesen, wie viel Energie wir sparen können: Wegen der Krise wurden 20 Prozent und mehr gespart. Das zeigt, wie viel Potenzial darin steckt, Energieverschwendung auch langfristig zu beenden. Und zweitens wird ja im kommenden Winter noch mehr Ökostrom bereitstehen.

2022 wurde die Lücke auch mit Kohle geschlossen. Wird das 2023 erneut nötig?

Das darf es nicht! Wir erwarten, dass die Ampel nächstes Jahr den Kohleausstieg bis 2030 so beschließt, dass er tatsächlich zur Verminderung von CO₂-Emissionen führt – und nicht wie bei Habecks Kohledeal in Westdeutschland, der den Ausstieg vorzieht, aber den CO₂-Ausstoß nicht reduziert.

Es stimmt: Es ist eine riesige Herausforderung, die Energie stattdessen aus Sonne und Wind zu ziehen. Dazu müssen die Länder die Ausweisung von Vorranggebieten von 2027 auf 2023 vorziehen. Und die Bundesregierung muss einen aktiven Rahmen setzen, der den Ausbau nicht einfach einzelnen Akteuren und dem Markt überlässt.

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Windenergie fördern

Klingt nach Planwirtschaft.

Nein, es geht um Anreize und Steuerung. Wir haben in der Corona-Krise gesehen, wie plötzlich ein Konzern wie Volkswagen Atemmasken statt Autos produziert hat. So müssen wir öfter denken: Welche Produkte wollen wir künftig produzieren und im Land halten?

Dafür braucht es aktive Wirtschaftspolitik des Klimaschutzministers Habeck, bis hin zur Förderung von Produktionsstandorten für Windkraftanlagen, Batterietechnik und grünem Wasserstoff. Wir dürfen nicht denselben Fehler begehen wie bei der Solarwirtschaft, die hierzulande kaputtgemacht wurde und abgewandert ist. Das droht derzeit auch in der Windenergie – und muss verhindert werden.

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Eine neue Studie der Uni Köln zeigt, dass für die Windkraftziele der Ampel vom neuen Jahr an bis 2030 täglich sechs Windkraftanlagen gebaut werden müssten. Das sei nicht zu schaffen.

Mit dem momentanen Ausbautempo ist es nicht zu schaffen. Wir brauchen jetzt LNG-Terminal-Geschwindigkeit beim Ausbau von Solar- und Windkraft, besonders in Bayern und Baden-Württemberg. Olaf Scholz sollte Industrievertreter, Banken und die beiden Ministerpräsidenten zusammenbringen und mit ihnen eine Taskforce dafür einsetzen. So könnte Deutschland Gestaltungsmacht entfalten – und die deutsche Wirtschaft würde profitieren, wenn sie konsequent auf Solar, Wind und grünen Wasserstoff setzt: Es wäre das Geschäftsmodell der Zukunft.

Der Klimarat der Bundesregierung fordert vor allem mehr Klimaschutz im Verkehrssektor.

Da gibt es sogar einen Zusammenhang. Um die Planungskapazitäten der jeweiligen Behörden in Windkraftanlagen und Bahnstrecken zu lenken, bräuchten sie ein Moratorium für den Neubau von Straßen. Außerdem werden Sofortmaßnahmen nötig, die FDP-Verkehrsminister Wissing schlicht verweigert: Neuzulassungssteuer und Tempolimit könnte man zum Beispiel sofort umsetzen, um sehr schnell CO₂-Reduktionen hinzubekommen. Da muss die Ampel jetzt ran!

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Apropos FDP: Wegen der hohen Gaspreise prüft Finanzminister Lindner, die Erhöhung des CO₂-Preises 2023 erneut auszusetzen.

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Es ist verstörend, dass ausgerechnet der FDP-Bundesfinanzminister Christian Lindner diesen Marktmechanismus aushebeln will, der zum Klimaschutz beiträgt. Wenn ein Gut knapp ist, wird es teuer – was zum Sparen anregt. Für die Entlastung der Verbraucher gibt es klügere Wege: 2023 muss die Ampel dafür endlich ein „Klimageld“ einführen. Das entlastet sozial Benachteiligte bei künftigen Preissprüngen viel gezielter – und setzt bei den Reicheren Anreize, Energie zu sparen.

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