Das Jahr des Artenschutzes

Retten wir jetzt endlich die Natur?

Zwei Feldhasen laufen über ein Feld.

Als Mitte Dezember das Riesenaquarium in Berlin zerbarst, sprach seltsamerweise zunächst niemand von den Fischen. Und wenn doch, dann fanden sich in den Nachrichten kuriose Formulierungen wie diese: „Die Fische waren nicht mehr im Wasser.“

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Erst Tage später stellte sich heraus, dass kaum mehr als ein paar Karpfen und die Tiere in den Zuchtbassins im Keller überlebt hatten. In Plastikeimern wurden sie von Feuerwehrleuten weggetragen. Der Großteil der rund 1500 Aquariumsbewohner starb. Niemand fragte danach, was das überhaupt soll, Fische in einem gigantischen Glaszylinder inmitten eines Hotelfoyers im Kreis schwimmen zu lassen.

Ein toter Fisch liegt neben einem Gully vor dem Hotel Radisson Blue, in dem das riesige Aquarium, der Aquadom des Sea Life, geplatzt ist.

Ein toter Fisch liegt neben einem Gully vor dem Hotel Radisson Blue, in dem das riesige Aquarium, der Aquadom des Sea Life, geplatzt ist.

Die Tragödie veranschaulicht unsere Beziehung zu unserer Lebenswelt: Dort Mitgeschöpfe hinter Plexiglas, hier wir Menschen davor. Als existierten die Lebenswelten unabhängig voneinander. Als gäbe es das eine oder das andere.

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Dass das nicht funktioniert, zeigen uns die Korallenriffe im Pazifik, in denen auch einige der Fischarten aus dem Berliner Aquarium zu Hause sind: „Ich bin das erste Mal mit 19 Jahren am Great Barrier Reef geschwommen. Es war alles voller Farben“, sagte der 46-jährige „Avatar“-Hauptdarsteller Sam Worthington. „Kürzlich war ich wieder am Riff, und es ist alles voller grauer Stellen“, so der australische Schauspieler. Sein Film über den Kampf gegen die Ausbeutung eines fernen Mondes durch die Menschen findet in diesen Tagen ein globales Milliardenpublikum.

Der Ozean wird mit den zunehmenden Hitzeschüben nicht mehr fertig. Die Klimaerwärmung führt zur Korallenbleiche. Und doch leben wir immer noch in der Überzeugung, dass der Mensch die Natur dirigieren und beherrschen kann.

Noch immer brennen wir artenreichen Regenwald ab, verwandeln ihn in Viehweiden und Sojafelder. Ist die Erde ausgelaugt, fackeln wir die nächsten Quadratkilometer Urwald ab.

Der mit knapper Mehrheit gewählte brasilianische Präsident Lula da Silva will die Abholzung am Amazonas auf null bringen. Da Silva hat die mächtige Agrarlobby zum Gegner. Aber er weiß, worauf er sich einlässt: In seiner ersten Amtszeit verringerte er die Vernichtung des Regenwaldes um zumindest 80 Prozent.

Besteht vielleicht gerade jetzt Grund zur Hoffnung auf einen nachhaltigen Umgang mit der Natur, da der Weltnaturgipfel in Montreal mit einem „historischen Moment“ zu Ende ging? Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten nach schier endlosen Verhandlungsnächten Tränen der Erleichterung in den Augen. Hatten Sie den Kipppunkt zum Besseren erlebt, ausgerechnet in jenem Jahr, in dem allenthalben gewarnt wird vor jenen Momenten in der Natur, an denen die Entwicklung zum immer Schlimmeren unumkehrbar wird?

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Dank ans Sternendach

Die Konferenz setzte einen fulminanten Schlusspunkt, anders als die enttäuschende Weltklimakonferenz in Ägypten nur wenige Wochen zuvor. Die internationale Staatengemeinschaft rang sich durch, bis 2030 mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen unter Schutz zu stellen. Für den Artenschutz sollen aus den reicheren Ländern Milliarden US-Dollar an die ärmeren fließen. So steht es jedenfalls auf dem Papier.

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Über einen anderen Umgang mit der Erde ließ sich auf dieser Konferenz viel lernen: Man musste nur den indigenen Vertretern unter den 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zuhören. Ein kanadischer Ureinwohner dankte den Sternen dafür, dass sie ihren Job tun und den Weg weisen. Ein Dank ans Sternendach: So etwas kam westlichen Regierungsvertretern, angereist im Jet mit komplizierter Navigationstechnik, nicht über die Lippen.

Die Indigenen machen mit 370 Millionen Menschen nur 6 Prozent der Weltbevölkerung aus. Sie leben aber in 80 Prozent jener Gebiete, die der Mensch noch nicht mit Asphalt, industrieller Landwirtschaft oder intensiver Waldnutzung überzogen hat. Sie nutzen die Natur, aber sie vernichten sie nicht – auch die Inuit in Grönland tun das nicht, die bis heute Wale, Eisbären und Robben jagen.

Verdrängt aus Schutzgebieten

Umgekehrt wird die angestammte Bevölkerung ihrerseits immer wieder aus den Schutzgebieten verdrängt. Das war schon so bei Gründung des Yellowstone-Nationalparks in den USA vor 150 Jahren, dem ersten Nationalpark weltweit. Als Saudi-Arabien sich jetzt daran machte, die futuristische Stadt „The Line“ im Wüstensand zu planen, vertrieb die Regierung zunächst einmal das dort lebende Howeitat-Volk.

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Wie weit ist die Erkenntnis wirklich vorgedrungen, dass wir auf einem endlichen Planeten mit endlichen Ressourcen leben? Auch mit immer größeren, immer schwereren, immer mehr Rohstoffe verbrauchenden E-Autos wird sich die Welt kaum retten lassen.

Die Erde aus dem Weltall, aufgenommen am 7. Dezember 1972. Dieses berühmte Foto, bekannt als The Blue Marble, wurde von den Apollo-17-Astronauten am selben Tag aufgenommen, an dem sie die Erde mit einer Saturn-V-Rakete verließen, die vom Marshall Space Flight Center der Nasa in Huntsville, Alabama, entwickelt wurde.

Die Erde aus dem Weltall, aufgenommen am 7. Dezember 1972. Dieses berühmte Foto, bekannt als The Blue Marble, wurde von den Apollo-17-Astronauten am selben Tag aufgenommen, an dem sie die Erde mit einer Saturn-V-Rakete verließen, die vom Marshall Space Flight Center der Nasa in Huntsville, Alabama, entwickelt wurde.

Es kann auch nicht darum gehen, zuerst ökonomische Rekorde anzustreben und sich dann erst um die Biosphäre zu kümmern. Nur umgekehrt funktioniert das: Ist die Natur schwer geschädigt, ist auch kein gedeihliches Wirtschaften mehr möglich. Nur eine Kreislaufwirtschaft – ein faires Geben und Nehmen – eröffne nachfolgenden Generationen die Chance aufs Überleben, sagt der Philosoph und Historiker Fabian Scheidler, Autor des Buches „Der Stoff, aus dem wir sind: Warum wir Natur und Gesellschaft neu denken müssen“.

Davon sind wir noch weit entfernt, siehe das Beispiel von Fluggesellschaften wie Lufthansa oder Condor. Sie malen in diesen Tagen die Zukunft in rosaroten Farben. Die Zahl der Passagiere scheint in neue Dimensionen vorzudringen. Immer neue Maschinen werden geordert. Die Produktion ökologischer Kraftstoffe dagegen hinkt weit hinterher.

Menschengemachte Umweltkatastrophe

Ein Dank ans Sternendach wie in Montreal dürfte auch all jenen fremd sein, die immer noch die Oder vertiefen wollen. Die menschengemachte Umweltkatastrophe im vorigen Sommer reduzierte die Fischbestände drastisch. Die polnischen Behörden wollen den Fluss dennoch weiter ausbauen.

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Bislang ist auch die Verschmutzung des Flusses durch Salzeinleitungen aus dem Bergbau nicht gestoppt worden, die das Fischsterben ausgelöst hatte. Kann es wirklich sein, dass die Verantwortlichen aus dem Anblick von Tonnen treibender Fischkadaver nichts gelernt haben?

Während der Corona-Pandemie schien der Homo sapiens für einen Augenblick aus seinem Hamsterrad herauszukrabbeln und sich erstaunt in der Welt umzuschauen. Eine ungewohnte Ruhe war eingekehrt, auch in den Ozeanen: Delfine schwammen plötzlich an Küsten, an denen sie schon seit Jahren nicht mehr gesichtet worden waren.

Manche gaben sich der Hoffnung hin, dass die Menschheit verändert aus der Pandemie herauskommen würde. Doch kaum war sie halbwegs besiegt, hatte das Schließen globaler Lieferketten oberste Priorität.

Die Klimakatastrophe lässt sich bei der zunehmenden Zahl von Überflutungen, Bränden und Hitzewellen nicht mehr übersehen, diejenige vom Verlust der Arten ist jedoch nach Ansicht von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nur bedingt in die Köpfe gedrungen. Beide Krisen hängen unmittelbar zusammen. Allerdings sind die Folgen des Artensterbens noch grundlegender: Ausgerottete Spezies kehren nicht wieder zurück.

Der Verlust an biologischer Vielfalt hat längst begonnen. Die Anzahl der Arten auf unserem Planeten wird auf etwa 15 Millionen geschätzt, von denen jedoch bislang nur zwei Millionen erfasst wurden. Wir verlieren viele Arten, bevor wir sie überhaupt zur Kenntnis genommen haben.

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Nach dem Living Planet Index 2022 haben wir im vergangenen halben Jahrhundert bereits 69 Prozent aller untersuchten Wirbeltierbestände ausgerottet. Auf der Internationalen Roten Liste gelten mehr als 42.000 Tier- und Pflanzenarten als bedroht. Das entspricht knapp 30 Prozent aller dort erfassten Spezies.

Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner merken das aber nur bei Spaziergängen in der ausgeräumten Feldmark. Dann wundern sie sich womöglich darüber, wieso sie keine Feldlerche mehr jubilieren hören und keinen Feldhasen mehr hoppeln sehen.

Nicht einmal die bisherigen Schutzgebiete werden effektiv geschützt, egal ob in Kenia oder Südafrika. Überall fehlt es an Personal und Ausrüstung im Kampf gegen Wilderer, Goldgräber und Brandroder. Sogar im Nationalpark Wattenmeer sind Schleppnetze zum Krabbenfang erlaubt – ganz zu schweigen von den Genehmigungen, dort fossile Brennstoffe auszubeuten.

Der World Wildlife Fund (WWF) hat seine tierischen Gewinner- und Verliererliste 2022 aufgestellt. Rentieren, Breitmaulnashörnern, Kaiserpinguinen und Stören (besonders in der Oder) geht es demnach deutlich schlechter, einigen anderen Arten aber auch besser, etwa Tigern in Asien, kommerziell gehandelten Hai- und Rochenarten oder Buckelwalen vor Australiens Küsten.

Noch ist das „größte Artensterben seit dem Ende der Dinosaurierzeit“, so der WWF, aufzuhalten. Dazu muss aber ins öffentliche Bewusstsein gelangen, dass die Zerstörung der Biodiversität auch den Menschen zum Verhängnis wird. Ohne saubere Luft und trinkbares Wasser überleben wir nicht. Purer Eigennutz sollte die Menschheit antreiben, keine Naturverklärung.

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Obwohl auch Naturverklärung reizvoll sein kann: Im Umweltmärchen „Avatar“ träumt Regisseur James Cameron von einer neuronalen Vergemeinschaftung von Mensch und Natur. Die Bewohner des Mondes Pandora können sich über Nervenfasern in ihrem Haarzopf mit anderen Lebewesen verbinden, egal ob mit Tieren oder Bäumen. Sie fühlen Leid und Glück ihrer Mitgeschöpfe.

Offenbar sehnen sich auch Kinozuschauer und Kinozuschauerinnen auf der Erde nach einer solchen Einheit. Einstweilen gibt es diese leider nur auf der Leinwand und auf Pandora.

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