Kurz vor Parteikongress in China: Corona vermiest die Stimmung
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Nur eine Woche vor dem historischen 20. Parteikongress in Peking droht die Corona-Lage in China wieder außer Kontrolle zu geraten.
© Quelle: Li He/Xinhua/AP/dpa
Peking. Wohl selbst George Orwell hätte sich das nicht ausdenken können: Als die Lokalregierung von Ürümqi am Wochenende zur Pressekonferenz rief, präsentierte man stolz einen Ratschlag an die Abertausenden Touristen und Touristinnen, die während der jüngsten Ferien unverhofft in der abgeriegelten Provinzhauptstadt von Xinjiang gestrandet sind. Da die reisenden Gäste aufgrund des Corona-Lockdowns vorerst ohnehin nicht in ihre Heimat zurück können, sollen sie doch am besten in Xinjiang nach Arbeit suchen. Die gesamte Region ist derzeit schließlich vollkommen isoliert, sämtliche Zugverbindungen sind gekappt.
Was von den Propagandamedien als wirtschaftlich smarte Maßnahme publiziert wurde, ließ selbst den stoisch erprobten Chinesinnen und Chinesen den Kragen platzen: „Die Wahrheit ist, dass wir unser Hotelzimmer, das wir weiterhin selbst bezahlen müssen, nicht einmal verlassen dürfen“, beschwert sich ein User auf der Onlineplattform Weibo. Ein anderer meint: „Wer zum Teufel hat sich nur diesen Plan ausgedacht?“.
Ohne Frage: Nur eine Woche vor dem historischen 20. Parteikongress in Peking droht die Corona-Lage in China wieder außer Kontrolle zu geraten. Die täglichen Infektionszahlen liegen nach den nationalen Feiertagen von Anfang Oktober auf dem höchsten Niveau seit über drei Monaten. Zwar sind sie im internationalen Vergleich mit etwas über tausend Fällen pro geradezu verschwindend gering. Doch da die Volksrepublik weiterhin an seiner Null-Covid-Strategie festhält, schickt bereits jede einzelne Infektion Zehntausende Menschen in Zwangsquarantäne.
Corona-Situation eskaliert in rasender Geschwindigkeit
Insbesondere in Shanghai ist die Lage erneut am Kippen. Der zweimonatige Lockdown vom Frühjahr droht sich nun zu wiederholen. Derzeit sind es zwar bislang nur einzelne Viertel, die von den Gesundheitsmitarbeitenden mit grünen Gittern umzäunt werden. Doch die Corona-Situation eskaliert in rasender Geschwindigkeit.
„Egal, wie sehr du rennst, es gibt kein Verstecken.“
Peter Lee,
Bewohner von Shanghai
Peter Lee hat dies am eigenen Leib erfahren. Der Brite erfuhr kürzlich während der Mittagspause, dass seine Wohnanlage in einen 48-stündigen Lockdown versetzt werde. Da er sich gerade in einem Restaurant befand, entschied sich der Expat kurzerhand, für zwei Nächte in ein benachbartes Hotel zu ziehen, um der Zwangsquarantäne zu entgehen. Doch wie Lee auf seinem Twitter-Account schildert, ist nur wenige Stunden später auch das Hotel nach einem positiven Corona-Fall abgeriegelt worden. Nun sitzt er dort für ganze sieben Tage fest. Der Brite nimmt es mit Humor: „Egal, wie sehr du rennst, es gibt kein Verstecken.“
Doch viele der immer strengeren Corona-Maßnahmen entfernen sich auf geradezu absurde Weise von jeder wissenschaftlicher Grundlage. In Shanghai und Peking lassen sich beispielsweise seit einigen Wochen „temporäre Quarantäneecken“ im öffentlichen Raum beobachten. Dabei handelt es sich etwa um kleine Ein-Personen-Zelte, in welche Passanten in U-Bahn-Stationen oder an Straßenkreuzungen kurzerhand festgesetzt werden, wenn sie keinen „grünen Gesundheitscode“ auf ihrem Smartphone vorweisen können. Dort müssen die Leute dann entweder auf ihren negativen PCR-Test warten – oder den Quarantänebus nehmen, der sie in zentralisierte Isolationslager bringt.
Sieben Tage Heimquarantäne
Das Ohnmachtsgefühl, dass das eigene Leben von einem abstrakten Tech-Algorithmus bestimmt wird, ist Außenstehenden zunehmend schwer zu erklären. Doch in China kann sich ein jeder mit der Angst identifizieren, dass auf dem digitalen Gesundheitszertifikat plötzlich ein sogenannter „pop up“ auftaucht. Das bedeutet im Klartext: Man wurde als möglicher Kontakt eines Corona-Infizierten identifiziert.
Mit einem „pop up“ ist jede Person vollkommen vom öffentlichen Leben abgeschnitten, kann nicht einmal mehr den Supermarkt um die Ecke besuchen. Nur das örtliche Nachbarschaftskomitee entscheidet dann, wie weiter vorgegangen wird: In fast allen Fällen gehen die auf Nummer sicher – und ordnen sieben Tage Heimquarantäne an.
Russlands Präsident Putin und Chinas Präsident Xi treffen sich in Usbekistan
Trotz der internationalen Empörung und der verhängten Wirtschaftssanktionen gibt Xi Jinping dem russischen Präsidenten weiter politische Rückendeckung
© Quelle: Reuters
Auf der Onlineplattform Weibo haben sich die kritischen Diskussionen über den scheinbar willkürlichen Gesundheitscode derart gehäuft, dass die Zensoren sämtliche Diskussionen löschen und selbst Suchanfragen darüber mittlerweile ins Leere laufen. Doch dies ist nur einer von vielen Hinweisen, dass immer mehr Chinesen angesichts der drastischen Corona-Maßnahmen mit ihrer Geduld am Ende sind.
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