„Der Gipfel der Verhöhnung des Westens“

Liefert Lukaschenko den Russen bald chinesische Waffen?

Was genau planen die "alten Freunde"? Diktatoren Alexander Lukaschenko (l.) und Xi Jinping in dieser Woche in der Großen Halle des Volkes in Peking.

Was genau planen die "alten Freunde"? Diktatoren Alexander Lukaschenko (l.) und Xi Jinping in dieser Woche in der Großen Halle des Volkes in Peking.

Xi Jinping begrüßte den aus dem fernen Minsk angereisten Machthaber Alexander Lukaschenko in Peking auffallend freundlich. „Warmly“ sei man miteinander umgegangen: Diese Vokabel wählte Chinas Staatszeitung „Global Times“ in der englischen Version ihres Berichts über den harmonischen Gipfel der beiden Diktatoren.

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Nuancen dieser Art sind wichtig im straff gelenkten Peking: Sie enthalten Botschaften mit Bedeutung über den Tag hinaus.

Von einem „Treffen alter Freunde“ sprachen Xis Regierungsmedien mit Blick auf Lukaschenko. Der wiederum nannte den chinesischen Staatschef feierlich „eine kluge, weise, kreative und moderne Persönlichkeit“. Am Ende jubelten belarussische Medien, das Treffen mit Xi sei „viel länger gewesen als geplant“. Was könnte der Staatschef eines kleinen europäischen Landes mehr erwarten, wenn er zu Gast ist bei dem mächtigen Gebieter über das mit 1,4 Milliarden Menschen größte Volk der Welt?

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Ein Affront gegen die 27 Staaten der EU

Regierungen und Geheimdienste im Westen wundern sich jetzt ebenfalls. Wie ist Pekings großer Tusch für Lukaschenko zu erklären?

Wirtschaftlich ist Belarus für China ziemlich uninteressant. Es hat mit neun Millionen gerade mal halb so viele Einwohner wie Nordrhein-Westfalen. Das Pro-Kopf-Einkommen in Belarus ist im internationalen Vergleich lausig, das Land hat keinen Zugang zum Meer und außer Kalisalzen kaum Bodenschätze.

Dass Xi Jinping sich trotzdem für Belarus interessiert, hat weniger mit Ökonomie zu tun als mit Geografie. Belarus liegt exakt im Brennpunkt der bislang größten Krise des 21. Jahrhunderts. Es grenzt im Osten an Russland, im Süden an die Ukraine und im Norden und Westen an jene Nato-Staaten, die im Fall eines dritten Weltkriegs wohl als erste in die Eskalation hineingezogen würden: die baltischen Republiken und Polen. An einem solchen Ort, klarer Fall, muss China einen Fuß in der Tür haben.

Ukrainische Truppen in Bachmut unter Druck
04.03.2023, Ukraine, Bachmut: Ein gepanzerter Mannschaftstransportwagen, für den Transport einer Infanteriegruppe, fährt in Richtung Frontstellungen in der Nähe von Bachmut. Die Situation der ukrainischen Verteidiger in der umkämpften Stadt Bachmut wird nach Einschätzung britischer Geheimdienste immer prekärer. Bachmut habe sich zum ukrainischen Vorposten entwickelt, der von drei Seiten durch russische Angriffe gefährdet sei. Foto: Evgeniy Maloletka/AP +++ dpa-Bildfunk +++

Die Versorgung der Truppen wird nach Angaben aus Großbritannien immer schwieriger. So gut wie alle Zufahrtsstraßen liegen unter russischem Beschuss.

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Lukaschenko macht es Xi leicht, vor allem durch sein für einen Europäer ungewöhnlich rustikales Ja zur chinesischen Diktatur. Der Mann aus Minsk brachte es sogar fertig, am Platz des Himmlischen Friedens einen Kranz für die „Helden Chinas“ niederzulegen, gemeint sind damit nicht etwa die mutigen Studentinnen und Studenten, die 1989 einen Aufstand wagten, sondern die Truppen Maos, die Mitte des 20. Jahrhunderts für die Alleinherrschaft der Kommunistischen Partei ihr Leben gaben.

Zufrieden betonte Xi jetzt „die breite Übereinstimmung mit Lukaschenko in Fragen der Menschenrechte“. China schätze „die feste Unterstützung von Belarus für Chinas gerechtfertigte Position im Zusammenhang mit Taiwan, Xinjiang und Hongkong“. Im Klartext: Lukaschenko nervt nicht wie die anderen Europäer, er sieht die Dinge wie Peking.

Zwei strikte Gegner der Demokratie: Xi Jinping und Alexander Lukaschenko am 1. März 2023 in Peking.

Zwei strikte Gegner der Demokratie: Xi Jinping und Alexander Lukaschenko am 1. März 2023 in Peking.

Tatsächlich war „der alte Freund“ aus Minsk schon immer für Gewaltanwendung zur Sicherung totalitärer Herrschaft. Das gilt bei ihm bis heute, auch in eigener Sache.

Ähnlich wie die chinesische Führung im Juni 1989 ließ Lukaschenko im Sommer 2020 im eigenen Land Zehntausende Oppositionelle niederknüppeln, einsperren und foltern, um seine Macht zu sichern. Belarus bewies dabei eine haarsträubende Brutalität, wie man sie in Europa im 21. Jahrhundert nicht mehr erwartet hatte. Lukaschenkos Schergen ließen, wenn sie Gefangene schlugen, mitunter die Fenster auf Kipp: Die Schreie sollten die örtliche Bevölkerung erschrecken und sie von weiteren Demonstrationen abhalten.

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Dies alles führte dazu, dass die EU dem Diktator aus Minsk die Einreise verweigerte: Niemand in den 27 Staaten empfängt derzeit diesen Mann oder setzt sich gar mit ihm zusammen, als gewählter Staatschef wird er nicht anerkannt. Der Sanktionsbeschluss der EU wurde zuletzt am 27. Februar 2023 für ein weiteres Jahr verlängert.

Xi indessen ließ jetzt völlig ungerührt den roten Teppich für Lukaschenko ausrollen. Wollte er dem Westen eine Nase drehen? Fast sieht es nach einem Muster aus: Erst Mitte Februar hatte Xi in Peking den in der EU und in den USA ebenfalls geächteten iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi empfangen, einen Mann, der in diesen Tagen politisch Missliebige massenhaft einsperren und aufknüpfen lässt.

Auch im Fall Lukaschenko war klar: Schon der Empfang für den Herrscher aus Minsk als solcher ist ein Affront gegen die Staaten der freien Welt – ganz unabhängig davon, was bei dem Treffen besprochen wird.

Was genau wurde in Peking verabredet?

Geheimdienstler im Westen fürchten, Lukaschenko habe in den vergangenen Tagen das persönliche Treffen mit Xi und andere Begegnungen mit hochrangigen Leuten in Peking genutzt, um Dinge auszusprechen, die er nie am Telefon sagen würde. Dazu könne sehr gut die geheime Bekundung der Bereitschaft gehören, chinesische Waffen und High-Tech-Komponenten nach Minsk einfliegen zu lassen, um sie dann an russische Abnehmer weiter zu reichen.

Offiziell hieß es in Peking lediglich, Xi und Lukaschenko hätten „ein großes Paket von Dokumenten zur Zusammenarbeit“ unterzeichnet. Ausdrücklich genannt wurden die Felder „Wirtschaft und Handel, Industrie, Landwirtschaft, Zoll, Wissenschaft und Technologie, Gesundheit, Tourismus, Sport und interregionale Zusammenarbeit“.

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Doch beide Seiten sprachen auch über einen weiteren wichtigen Bereich: militärische Zusammenarbeit.

Die staatliche belarussische Nachrichtenagentur Belta half bei der Deutung der Vereinbarungen. China und Belarus planten tatsächlich eine Zusammenarbeit „in den Bereichen Verteidigung, Strafverfolgung und Sicherheit“. Dabei gehe es unter anderem um die Ausbildung von Soldaten für den „Kampf gegen Terror und gegen Farbrevolutionen“ – mit Letzterem ist der Kampf gegen Demokratiebewegungen wie die orangefarbene Revolution in der Ukraine gemeint.

Verdächtige Landungen in Minsk

Lukaschenko wünscht ganz offenkundig den Import von chinesischen Hightechsystemen aller Art, um sein Unterdrückungsregime nach innen wie nach außen schlagkräftiger zu machen. Dazu könnten Drohnen zählen, schnelle Chips, sogar der Einsatz künstlicher Intelligenz. Er selbst erwähnte dieser Tage auch sein Interesse an Biotechnologie.

Westliche Geheimdienstler sehen mit Blick auf die Peking-Minsk-Connection eine doppelte Grauzone wachsen. Erstens verschwimme der Unterschied zwischen Anti-Terror-Ausrüstung und Kriegswaffen immer mehr, zweitens könne eine Weitergabe an Interessenten in Russland schon wegen der Zollunion zwischen Belarus und Russland praktisch kaum verhindert werden.

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Fast täglich wiederholt er derzeit seine Warnungen vor chinesischen Waffenlieferungen für Russlands Krieg in der Ukraine: US-Außenminister Antony Blinken.

Fast täglich wiederholt er derzeit seine Warnungen vor chinesischen Waffenlieferungen für Russlands Krieg in der Ukraine: US-Außenminister Antony Blinken.

Die ehemalige amerikanische Geheimdienstoffizierin Rebekah Koffler sprach in dieser Woche bereits aus, was ihre noch aktiven Kollegen bislang nur unter vorgehaltener Hand sagen: „Das Abkommen mit Lukaschenko könnte China den Weg ebnen, Waffen und Munition nach Russland zu schleusen. Die Buchautorin (“Putin‘s Playbook: Russia‘s Secret Plan to Defeat America“) warnte im US-Sender Fox, mit seinem Empfang für Lukaschenko nehme Xi gerade einen „wichtigen strategischen Schachzug“ vor.

Der Xi-Lukaschenko-Gipfel steigert die Spannung in einer ohnehin schon gefährlich knisternden Zeit. US-Außenminister Antony Blinken verlangt derzeit Tag für Tag, mit immer dramatischerem Unterton, China solle auf Waffenlieferungen für Russland unbedingt verzichten.

Will Peking Minsk als geheime Drehscheibe nutzen und den Amerikanern - im Wortsinn sogar durchaus wahrheitsgemäß - sagen, es liefere ja keine Waffen „nach Russland“? „Das wäre dann“, grummelt ein Nato-Insider, „der Gipfel der Verhöhnung des Westens“.

Lukaschenko als williger Helfer

In Lukaschenko jedenfalls hat Xi nach Meinung der belarussischen Opposition einen willigen Helfer gefunden. „Da Lukaschenko nicht als rechtmäßiger Herrscher anerkannt wird, hat er in den internationalen Beziehungen weitgehend an Boden verloren“, erklärt die im Exil lebende belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. „Deutlicher als je zuvor zeigt sich Lukaschenka inzwischen als gesichtsloser Führer, der jedem Verbündeten, den er noch hat, hinterherläuft. Erst wurde er zum Sprachrohr Putins, jetzt hat er sich völlig den außenpolitischen Interessen und Prioritäten Chinas gebeugt.“

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Ihr Kampf gegen Lukaschenko geht weiter: Swetlana Tichanowskaja, dié im Exil lebende Führerin der belarussischen Opposition, sieht den Staatschef in Minsk als willigen Helfer Pekings und Moskaus.

Ihr Kampf gegen Lukaschenko geht weiter: Swetlana Tichanowskaja, dié im Exil lebende Führerin der belarussischen Opposition, sieht den Staatschef in Minsk als willigen Helfer Pekings und Moskaus.

Dass Lukaschenko sich beeilen würde, China und Russland bei Waffenlieferungen als Zwischenhändler behilflich zu sein, steht für Tichanowskaja außer Frage. „Lukaschenko hat immer alle Forderungen Putins erfüllt und schon in der Vergangenheit einen umfassenden materiellen Beitrag zur russischen Aggression gegen die Ukraine geleistet“, sagt Tichanowskaja. „Er ist auch bereit, das belarussische Territorium weiter für die anti-ukrainischen Interessen Russlands zu missbrauchen. Sollte China beschließen, in diese Richtung zu gehen, bin ich sicher, dass Lukaschenko sowohl Putin als auch Xi zum Nachteil der belarussischen nationalen Interessen bereitwillig dienen wird.“

Tichanowskaja (40), die weltweit bekannteste belarussische Bürgerrechtlerin, wurde 2022 in Aachen mit dem Karlspreis ausgezeichnet. US-Präsident Joe Biden hat sie 2021 im Weißen Haus empfangen. Ihr Ehemann, der Videoblogger Sergej Tichanowski (43), und zahlreiche Mitstreiterinnen und Mitstreiter sitzen in Belarus in Haft. Sie alle hatten kritisiert, dass Lukaschenko trotz massiver Manipulationsvorwürfe nach der Wahl 2020 erneut zur Präsidentschaft gegriffen hatte. Tichanowski wurde zu 18 Jahren „Strafkolonie mit verschärfter Anstaltsordnung“ verurteilt.

Gegen Tichanowskaja läuft derzeit in Minsk ein Prozess - in Abwesenheit der Angeklagten. Lukaschenkos Staatsanwaltschaft forderte für sie am 28. Februar dieses Jahres 19 Jahre Haft. Tichanowskaja ist jedoch für Lukaschenkos Justiz nicht mehr greifbar. Sie lebt inzwischen, stets umgeben von Personenschützern, in Litauen.

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