Lübcke-Prozess: Die rätselhafte Rolle des Markus H.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/MNCETADRIJGMJOKV5VAYS7OGIM.jpeg)
Markus H., Mitangeklagter wegen Beihilfe zum Mord, steht neben seinem Anwalt Björn Clemens im Gerichtssaal.
© Quelle: Thomas Lohnes/Getty Images Europ
Frankfurt/Main. Es ist der 27. Juni 2019, als Marc Wenske, Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof in Kassel, dem Beschuldigten begegnet. Markus H. wird ihn noch lange beschäftigen.
Normalerweise, so schildert es der 48-Jährige im Dezember 2020 im Oberlandesgericht Frankfurt am Main, seien die Verdächtigen in diesem Moment von den Umständen eingeschüchtert: dem Flug nach Karlsruhe im Helikopter, den schwer bewaffneten, vermummten Polizisten, die ihn begleiten. Dieser Beschuldigte jedoch ist anders.
„Ich werde die Kälte und Abgeklärtheit nicht vergessen, mit der mir dieser Mann gegenübertrat“, sagt Wenske, noch immer konsterniert. Als er ihm den Haftbefehl wegen Beihilfe zum Mord vorgelesen hat, fragt dieser Mann gelassen zurück: „Nur Beihilfe zum Mord? Keine Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung?“
Dass der Haftbefehl mit Fluchtgefahr begründet wird, entlockt ihm nur die Entgegnung, das würde doch gar keinen Sinn ergeben. Der Eindruck, der sich Wenske aufdrängte: Da fühlt sich jemand maßlos überlegen. Als könne ihm die Justiz nichts anhaben.
Bis heute hat nichts diese Selbstgewissheit erschüttern können.
Ein grinsender Angeklagter
Im Saal 165c des Oberlandesgerichts wirkt Markus H. wie die Gelassenheit in Person. Entspannt sitzt der 44-Jährige da, mal in Cordjacke, mal in weißem Hemd mit Krawatte, macht sich Notizen, liest darin, plaudert mit seinen Anwälten. Ein gedrungener Körper, Glatze, scharf konturierter, kurzer Vollbart.
In seinem Gesicht liegt oft der Anflug eines Lächelns, das sich in Grinsen steigert, als ein früheres mutmaßliches Opfer des Hauptangeklagten Stephan Ernst von den Folgen seiner Verletzungen berichtet. „Er schweigt, grinst und provoziert“, so beschreibt Ernsts Verteidiger Mustafa Kaplan die Rolle von Markus H. in diesem Prozess.
Das Bemerkenswerte ist: Damit könnte H. sogar durchkommen.
Es ist ein Prozess von historischer Bedeutung, der in dieser Woche in Frankfurt am Main zu Ende geht. Um den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke einzuordnen, geht Oberstaatsanwalt Dieter Killmer bis ins Jahr 1922 zurück: Zum ersten Mal seit dem Attentat auf den damaligen Außenminister Walter Rathenau sei in einem demokratischen Deutschland ein Politiker Opfer einer rechtsextremistisch motivierten Tat geworden.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/TNPND4HZNJCR5DWCRLLT6AFLPI.jpeg)
Der ermordete Regierungspräsident von Kassel, Walter Lübcke.
© Quelle: Uwe Zucchi/dpa
Wer Walter Lübcke am späten Abend des 1. Juni 2019 auf der Terrasse seines Hauses in Wolfhagen-Istha erschossen hat, steht außerhalb jeden Zweifels: Der 47-jährige Stephan Ernst hat selbst im Gericht mehrfach geschildert, wie er sich im Schutz der Nacht und eines nahen Volksfests anschlich und Lübcke, der gerade in seinem Tablet nach Reisezielen suchte, mit einem einzigen Schuss tötete.
Aus Zorn auf dessen flüchtlingsfreundliche Haltung habe er gehandelt, sagte Ernst, nachdem er und Markus H. Lübcke auf einer äußerst hitzigen Bürgerversammlung 2015 erlebt hatten.
Da hatte der CDU-Politiker, selbst als er beleidigt und provoziert wurde, die Werte der Bundesrepublik auch mit dem Hinweis verteidigt, es sei „die Freiheit eines jeden Deutschen“, das Land zu verlassen, wenn er dessen Werte und Grundlagen nicht teilte. Lübcke wurde danach zur Zielscheibe rechten Hasses, vor allem im Netz. Stephan Ernst beschloss zu morden.
Ein ungleiches Paar
Ernst und H., das ist in diesem Prozess ein sehr ungleiches Paar. Anders als bei H. ist Ernsts Miene meist unbewegt. Und anders als H. redet er, viel sogar. Über seinen alkoholkranken, prügelnden Vater, von dem er irgendwann den Hass auf Ausländer übernommen habe. Darüber, wie er das Schießen geübt und das Haus der Lübckes ausgekundschaftet habe.
Er hat bei der Familie um Verzeihung gebeten, er hat die Witwe Lübckes, die ihm mit ihren Söhnen im Gerichtssaal nur wenige Meter entfernt gegenübersitzt, direkt angesprochen.
Möglich, dass das taktisch war, aber dann wird es ihm wohl nicht viel nützen. Die Bundesanwaltschaft fordert für Ernst lebenslange Haft, die Feststellung besonderer Schwere der Schuld sowie Sicherungsverwahrung. Das wäre das Maximum, auch weil Ernst in Frankfurt noch eines weiteren Delikts angeklagt ist, des Messerangriffs auf einen Flüchtling 2016.
Zudem ist er vorbestraft, er hat auf einen türkischen Imam eingestochen und einen Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft verübt.
Zyklon-B-Dose auf dem Schreibtisch
Auch wenn das Gericht den Angriff Ernsts auf den Flüchtling, den er im Vorbeifahren vom Fahrrad aus angegriffen haben soll, nicht als bewiesen sehen sollte: Stephan Ernst wird mit großer Sicherheit sehr lange Zeit im Gefängnis verbringen.
Offen dagegen ist der Ausgang für Markus H., seinen mutmaßlicher Helfer. Einen Neonazi, der auf seinem Schreibtisch als Stifthalter eine leere Originaldose Zyklon B stehen hat – jenes Mittels also, mit dem in Auschwitz die Menschen vergast wurden.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/GBOIOFAT35D4HNL23WIESKP7UQ.jpeg)
Der Mitangeklagte Markus H. (M.) steht zu Beginn eines weiteren Verhandlungstermins zwischen seiner Anwältin Nicole Schneiders und seinem Anwalt Björn Clemens.
© Quelle: Thomas Lohnes/AFP POOL/dpa
Markus H. gehört seit den Neunzigerjahren zur Kasseler Neonaziszene. Auch im Umfeld der Ermittlungen zu den NSU-Morden taucht sein Name auf. Anders als Stephan Ernst haben die Ermittler H. jedoch nie etwas nachweisen können.
Zwei Kumpel rechtsaußen
Wenn man Stephan Ernst nun glaubt, dann haben sich beide 2011 wiedergetroffen, als der Zeitarbeiter H. in der Firma anfing, in der der Industriemechaniker Ernst schon arbeitete. Beide freundeten sich demnach an, fuhren zu rechtsextremen Demonstrationen. H. nahm Ernst mit in seinen Schützenverein, beide übten auch heimlich im Wald.
Beide bestärken sich in ihrem Hass auf alle, die sie für Fremde halten; beide besuchen die Bürgerversammlung, auf der Lübcke die geplante Flüchtlingsunterkunft verteidigt. H. stellt unter dem Decknamen Professor Moriarty dann auch das Video jenes Abends ins Netz, das den Hass so schüren wird.
Gemeinsam, so schildert es Ernst, hätten sie mehrmals Lübckes Haus ausgekundschaftet. Dabei haben sie 2018 offenbar Walter Lübcke und seinen Sohn Christoph getroffen, die gerade vor dessen Haus stehen. Christoph Lübcke hat diese mutmaßliche Begegnung seines Vaters mit seinem Mörder im Gericht geschildert.
Was ihm besonders in Erinnerung blieb: Das ist die Schiebermütze, hessisch „Batschkapp“, die der Kleinere der beiden trug. Markus H. trägt auch jetzt in Verhandlungspausen oft so eine Mütze. Und das ist das Grinsen dieses Mannes, das ihn an Guy-Fawkes-Masken erinnerte, das Symbol der Anonymous-Bewegung.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/WEN7CBLUIRCSTM6GCQ6MU35AZ4.jpg)
Die Familie des Opfers: Die Witwe Irmgard Braun-Lübcke mit ihren Söhnen Jan-Hendrik (links) und Christoph Lübcke (rechts) sowie dem Anwalt Holger Matt.
© Quelle: imago images/Jan Huebner
Von dort, von jenem Treffen, würde dann eine direkte Linie führen zu jenem Abend, an dem Walter Lübcke starb. Laut Ernst sind er und Markus H. am Abend des 1. Juni 2019 zu dessen Terrasse gegangen.
„So, Zeit zum Auswandern!“, habe H. zu Lübcke gesagt. „Für einen wie dich gehe ich jeden Tag arbeiten“, so Stephan Ernst. Dann habe Lübcke aufstehen wollen. Ernst sagt, er habe ihn auf seinen Stuhl zurückgedrückt. Und geschossen.
War es so? „Sagen Sie uns die Wahrheit!“, appelliert Irmgard Braun-Lübcke, die Witwe, an Stephan Ernst und sieht ihm dabei in die Augen. Ja, sagt Ernst, dies sei die Wahrheit. Es tue ihm leid.
Verschiedene Versionen der Tat
Wenn Markus H. jedoch diesen Mord auf diese Weise mitgeplant hat und mit auf der Terrasse war, dann wäre es womöglich nicht nur Beihilfe. Er wäre Mittäter. „Mehr Mittäterschaft geht nicht“, sagt Ernsts Anwalt Mustafa Kaplan. Für H. entscheidet sich daran, ob auch er für viele Jahre ins Gefängnis muss.
Aber kann man Stephan Ernst glauben?
Das Problem ist nicht nur, dass der seine Aussagen gerne dem anpasste, was die Ermittler ohnehin gerade wussten. Sondern vor allem, dass er verschiedene Versionen dessen schilderte, was genau auf der Terrasse passiert ist. Erst nahm Ernst alle Schuld allein auf sich. Dann, in einem spektakulären Schwenk, bezichtigte er Markus H., geschossen zu haben.
Die eigenwilligen Ex-Anwälte
Spätestens hier kommen dann Ernsts ehemalige Anwälte ins Spiel, die ihre anwaltliche Rolle äußerst eigenwillig interpretierten, allen voran der Dresdner Frank Hannig, ein Jurist mit Pegida-Bezügen und eigenem Youtube-Kanal, der dort zuletzt mit Videos mit Titeln wie „Corona-Bußgeld! So wehre ich mich richtig“ auffiel.
Sein Anwalt habe sich dieses zweite Geständnis ausgedacht, behauptet Ernst. Um Markus H. „aus der Reserve“ zu locken. Mittlerweile ermittelt die Justiz deshalb gegen den Ex-Verteidiger.
Ernst hat die letzte Version seines Geständnisses seit August mehrfach wiederholt. Die Bundesanwaltschaft hält es deshalb im Kern für glaubwürdig und fordert für Markus H. eine Strafe von neun Jahren und acht Monaten wegen Beihilfe zum Mord.
Das Gericht hingegen hat H. am 1. Oktober aus der Untersuchungshaft entlassen, weil es nach Ernsts Volten keinen dringenden Tatverdacht mehr sah.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/TJUMHS6EFFH5JJWCX6CILTWTDE.jpeg)
Der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel.
© Quelle: Thomas Lohnes/Getty Images Europ
Und die Familie des Opfers? Woche für Woche haben sich Irmgard Braun-Lübcke und die beiden Söhne als Nebenkläger in diesen Verhandlungssaal gesetzt, mehr als ein halbes Jahr lang. Haben dem mutmaßlichen Mörder ihres Mannes und Vaters in die Augen gesehen. Haben das Grinsen seines mutmaßlichen Helfers irgendwie ertragen. Haben sich wieder und wieder schildern lassen, wie ihr Mann und Vater starb.
Das alles sei für die Familie enorm belastend gewesen, sagt Dirk Metz, der Sprecher der Familie. Dennoch seien die Witwe und ihre Söhne überzeugt, dass es richtig war, sich dieser Situation auszusetzen – weil sie so für die Werte, die Walter Lübcke wichtig waren, einstehen konnten. Und weil die den Blick auf die Opfer gelenkt hätten.
Die Familie glaubt dem Mörder
Glauben Sie Stephan Ernst? Ja, sagt Metz: „Die Familie ist sicher, dass Irmgard Braun-Lübcke ihn mit ihrem Appell erreicht hat.“ Und dass er jetzt alles so geschildert habe, wie es gewesen ist. Dass sie in diesem Prozess die Wahrheit über den Tod ihres Mannes und Vaters erfahren haben.
Der Anwalt der Familie hat deshalb beantragt, Markus H. wegen Mittäterschaft am Mord an Walter Lübcke zu verurteilen.
An diesem Dienstag will die Verteidigung von Markus H. ihr Plädoyer halten. Am Donnerstag wird das Gericht urteilen, wer für den Mord an Walter Lübcke wie hart bestraft wird.