Pläne des Justizministeriums

Gefilmte Strafprozesse: die Angst der Richter vor den Kameras

Eine Angeklagte in einem Gerichtssaal.

Eine Angeklagte in einem Gerichtssaal.

Berlin. Justizminister Marco Buschmann (FDP) möchte den Richterinnen und Richtern helfen. Doch die Richterinnen und Richter wollen sich nicht helfen lassen. Eine interessante Konstellation. Ein Gesetzentwurf des Justizministers sieht die Aufzeichnung von Strafprozessen in Bild und Ton vor. Doch die Richterschaft sieht dadurch die Persönlichkeitsrechte von Zeuginnen, Zeugen und Angeklagten gefährdet, sogar die Wahrheitsfindung sei in Gefahr.

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In 600 deutschen Gerichtssälen sollen Kameras und Mikrofone eingebaut werden, damit das Prozessgeschehen audiovisuell aufgezeichnet werden kann, so der Plan von Minister Buschmann. Durch eine Software sollen die aufgezeichneten Worte sofort verschriftlicht werden, sodass bestimmte Worte gesucht und Aussagen markiert werden können. Dieses Transkript sollen Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen, Staatsanwälte, Verteidigerinnen, Verteidiger, Nebenkläger-Anwältinnen und -Anwälte am Ende jedes Verhandlungstages erhalten.

„Wenn ich das Nichtjuristen erzähle, glaubt mir das kein Mensch“

Die Aufzeichnungen sollen ein Hilfsmittel sein: für die Befragung anderer Zeuginnen und Zeugen, für die Vorbereitung der Plädoyers und natürlich beim Schreiben des Urteils. Für Rechtsmittel gegen das Urteil sollen die Aufzeichnungen nur in ganz eindeutigen Fällen genutzt werden können, etwa wenn sich beweisen lässt, dass ein Zeuge oder eine Zeugin im Urteil ganz falsch zitiert wurde. Eine Ausstrahlung von Strafprozessen im Fernsehen bleibt weiterhin verboten.

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Buschmann will diese Dokumentation der Hauptverhandlung für alle erstinstanzlichen Verfahren vor Land- und Oberlandesgerichten einführen, also für alle Verfahren mittlerer und schwerer Kriminalität. Hier geht es immerhin um die Verhängung von oft langjährigen Gefängnisstrafen. Die Bundesländer sollen bis 2030 Zeit bekommen, die entsprechende Technik anzuschaffen. Nur für Terrorprozesse an Oberlandesgerichten will Buschmann die audiovisuelle Dokumentation bereits ab 2026 einführen. Vier Jahre lang könnten die Gerichte dann Erfahrungen mit der neuen Technik sammeln. Auf die Länder kommen Investitionen in Höhe von insgesamt 15 bis 20 Millionen Euro zu.

Bisher verlassen sich alle Verfahrensbeteiligte auf ihr Gedächtnis oder eigene Notizen. Es liegt auf der Hand, dass das eine äußerst fehlerträchtige Methode ist, vor allem bei monatelangen Prozessen mit Dutzenden Prozesstagen. Es gibt zwar ein gerichtliches Protokoll, das aber nur Formalien enthält. Dort steht nur, wie lange ein Zeuge oder eine Zeugin ausgesagt hat und ob er oder sie vereidigt wurde, nicht aber, was er oder sie ausgesagt hat. „Wenn ich das Nichtjuristen erzähle, glaubt mir das kein Mensch“, sagte jüngst der ARD-Journalist Kolja Schwartz bei einer Veranstaltung im Bundesgerichtshof.

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Nur die Anwaltsverbände stehen hinter dem Justizminister

Dennoch sind alle Bundesländer und der Deutsche Richterbund gegen Buschmanns Reformpläne. Nur die Anwaltsverbände stehen hinter dem Justizminister. Sie fordern schon lange eine bessere Kontrolle der richterlichen Allmacht.

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Der Richterbund argumentiert aber natürlich nicht mit eigenen Interessen. Vielmehr könne es die Persönlichkeitsrechte der Prozessbeteiligten verletzen, wenn die Aufzeichnungen ganz oder auszugsweise im Internet landen. Es könne sogar das Aussageverhalten verzerren, wenn Zeuginnen oder Zeugen damit rechnen müssen, dass ihr Gerichtsauftritt in sozialen Netzwerken verbreitet wird. Schon die bloße Anwesenheit von Kameras im Gerichtssaal könne Zeuginnen und Zeugen hemmen und einschüchtern.

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Die Befürworterinnen und Befürworter halten solche Befürchtungen für völlig übertrieben. So werde die Aussage kindlicher Opfer im Ermittlungsverfahren schon lange aufgezeichnet, um den Kindern eine erneute Aussage vor Gericht zu ersparen. Doch noch nie seien solche Aufnahmen im Internet gelandet. Außerdem soll die Veröffentlichung derartiger Mitschnitte künftig strafrechtlich verboten sein. Die Anwesenheit von Kameras werde ohnehin schnell vergessen, so die Anwältinnen und Anwälte, schließlich brauche man hier keine großen TV-Kameras, es genügten kleine Geräte, wie etwa die Überwachungskameras im Supermarkt.

Alternative: Stenografen – alles andere als zeitgemäß

Buschmanns Gesetzentwurf nennt nur eine Alternative zur Aufzeichnung von Ton und Bild: den Einsatz von Stenografen im Gerichtssaal. Das aber wäre „nicht zeitgemäß“ und noch viel teurer, heißt es listig im Gesetzentwurf.

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Dabei bietet sich durchaus ein Kompromiss an: Wenn nur der Ton (ohne Bild) aufgenommen und transkribiert würde, wären der Widerstand und die Kosten deutlich geringer. Dann könnten zwar Mimik und Gestik von Zeuginnen, Zeugen und Angeklagten nicht erneut angesehen werden. Doch bei welchem Strafprozess gründet sich ein Urteil auf ein Erröten des Angeklagten, das ja auch Ausdruck von bloßer Aufregung sein kann.

Die linksliberale Neue Richtervereinigung plädiert jedenfalls für eine reine Tonaufzeichnung der Strafprozesse. Wichtiger sei, dass die Aufzeichnung und das Transkript sofort zur Verfügung steht. Dann könnten einem Zeugen oder einer Zeugin bereits nachmittags präzise die Widersprüche in seiner oder ihrer Aussage vom Vormittag vorgehalten werden.


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