Newsletter „Hauptstadt-Radar“

Bock auf Arbeitskampf

Streik im öffentlichen Dienst – hier in Oldenburg in Niedersachsen.

Streik im öffentlichen Dienst – hier in Oldenburg in Niedersachsen.

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Liebe Leserin, lieber Leser,

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uns steht ein heißer Frühling mit einem harten Arbeitskampf bevor: ausfallende Flüge, darniederliegender Nahverkehr, geschlossene Kitas, verschobene Operationen, überfüllte Mülltonnen, liegen bleibende Briefe. Einen Vorgeschmack hat die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi schon in den vergangenen Wochen geliefert. Es geht um den öffentlichen Dienst und die Post und um eine Forderung von 10,5 Prozent Lohnerhöhung oder mindestens 500 Euro monatlich mehr. Das ist saftig. Und Verdi lässt gerade schon mit Warnstreiks die Muskeln spielen, wie schon lange nicht mehr.

Vielen Bürgerinnen und Bürgern macht das Sorge. Während meiner morgendlichen S-Bahn-Fahrt aus dem Berliner Speckgürtel ins Regierungsviertel seufzte in dieser Woche eine Frau neben mir, ob man sich nicht ohne Streik einigen könne? Am Ende gebe es ja doch immer einen Kompromiss. Wofür diese Rituale?

Ein heißer Frühling mit einem harten Arbeitskampf steht bevor: Hier demonstrieren Kita-Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen.

Ein heißer Frühling mit einem harten Arbeitskampf steht bevor: Hier demonstrieren Kita-Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen.

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Als seien die Verdi-Drohungen nicht genug, springt auch die Eisenbahnergewerkschaft EVG auf den – das Wortspiel sei erlaubt – rollenden Zug. Die Eisenbahner fordern 12 Prozent mehr – mindestens 650 Euro mehr pro Monat. Nun droht, dass die Beschäftigten im öffentlichen Dienst und das Bahnpersonal Ende März gemeinsam in den Ausstand treten.

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Es scheint in diesem Frühjahr um mehr als nur um Rituale zu gehen. Die Tonlage zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern ist bereits schrill und man hat den Eindruck, dass nicht nur eine harte Tarifrunde ausgefochten wird in Zeiten der Inflation, in der die Lohnerhöhungen die Teuerungsraten nicht ausgleichen können.

Der Hauptgeschäftsführer der Arbeitgebervereinigung BDA, Steffen Kampeter, war schon zu seinen Zeiten als CDU-Bundestagsabgeordneter dafür bekannt, dass er gut und deftig austeilen kann. Als Ende Februar eine Reihe deutscher Flughäfen durch Warnstreiks lahmgelegt war, forderte er gegenüber dem RND eine Gesetzesverschärfung des Streikrechts und ließ die Gewerkschaften wissen: „Dieser Ausstand macht einmal mehr deutlich: Unser Arbeitskampfrecht wird zunehmend unberechenbar.“ Wenig später mahnte er die über die Viertagewoche debattierende Republik: „Wir brauchen mehr Bock auf Arbeit.“

Konnte schon als CDU-Abgeordneter heftig austeilen: Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).

Konnte schon als CDU-Abgeordneter heftig austeilen: Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).

Am anderen Ende der Fahnenstange geben die Sozialkassen quasi im Wochenrhythmus Statistiken raus, wonach immer mehr Berufstätige erschöpft seien und wegen Burn-out ausfielen oder Rehamaßnahmen zur Stabilisierung der Psyche benötigten. Die Debatte um die Arbeit der Zukunft läuft gerade sehr unversöhnlich und sehr grundsätzlich, was die Entschlossenheit für einen Arbeitskampf durchaus noch einmal befördern könnte.

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Die Beschäftigten entdecken jedenfalls gerade die Gewerkschaften neu. Verdi zählte nach Angaben ihres Chefs Frank Werneke in den ersten beiden Monaten des Jahres 45.000 Neuzugänge. Das ist für diesen Zeitraum Rekord, seitdem Verdi 2001 aus fünf Einzelgewerkschaften gegründet wurde. In Zeiten, in denen die Gewerkschaften ihre Stärke mit Streiks demonstrieren, bekommen sie traditionell auch Zulauf von neuen Mitgliedern. Dennoch ist dieser Aufwuchs bemerkenswert. In den vergangenen Jahren hatte Verdi Mitglieder verloren. Nach Angaben der Gewerkschaft waren es Ende 2022 rund 1,86 Millionen Mitglieder. Im Jahr 2021 waren es noch 1,89 Millionen und 2020 lag die Zahl bei 1,94 Millionen.

Konnte sich im Januar und Februar über 45.000 neue Verdi-Mitglieder freuen: Frank Werneke, Vorsitzender der Gewerkschaft.

Konnte sich im Januar und Februar über 45.000 neue Verdi-Mitglieder freuen: Frank Werneke, Vorsitzender der Gewerkschaft.

Und die Politik? Die hält sich aus Tarifvereinbarungen traditionell hübsch raus. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) konnte es sich allerdings nicht verkneifen, die Forderung nach „mehr Bock auf Arbeit“ einmal zu kontern: „Die Menschen haben Bock auf anständige Bezahlung“, sagte er im Interview mit dem RND. Ansonsten hat die Ampelregierung in Sachen Vermittlung zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften ihre Fahne erst einmal eingerollt. Die von Kanzler Olaf Scholz mit großer Bugwelle wegen der Inflation ins Leben gerufene konzertierte Aktion, in der sich Wirtschaft, Politik und Arbeitnehmervertretungen verständigen, wurde auf Eis gelegt.

Mit einer Fortführung der konzertierten Aktion könnte sich Scholz in dieser Lage nur die Finger verbrennen. Schon die Vereinbarung, wonach Unternehmen ihren Beschäftigten im vergangenen Jahr eine steuer- und sozialversicherungsfreie Inflationsprämie von bis zu 3000 Euro zahlen konnten, hatte für Argwohn gesorgt. Eine solche Zahlung könne notwendige prozentuale Lohnerhöhungen nicht ersetzen, mahnten die Gewerkschaften. Die konzertierte Aktion im Herbst konnte der sich nun aufbauenden Streikwelle jedenfalls nicht die Wucht nehmen.

Scholz zur aktuellen Inflation: „Wir stehen vor einer historischen Herausforderung“
04.07.2022, Berlin: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gibt im Bundeskanzleramt eine Pressekonferenz nach den Gesprächen zur sogenannten konzertierten Aktion gegen die Inflation in Deutschland. Im Kanzleramt kamen Spitzenvertreter von Arbeitgebern und Gewerkschaften zusammen. Foto: Kay Nietfeld/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat die Menschen in Deutschland auf eine lange Krise mit hohen Preisen eingestimmt.

Ende März ist die dritte und letzte Verhandlungsrunde für den öffentlichen Dienst angesetzt. Verdi-Chef Werneke rechnet danach mit einer Eskalation: „Es ist aus meiner Sicht vollkommen offen, ob wir zu einem Ergebnis kommen oder ob dann der Zeitpunkt ist, wo wir über das Scheitern der Verhandlungen entscheiden müssen. Und dann werden wir als Verdi den Weg der Urabstimmung einleiten.“

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Sollte es tatsächlich Streiks auf breiter Front geben, wird es für viele Bürgerinnen und Bürger ähnlich laufen wie in der Hochphase der Pandemie: Homeoffice, weil der öffentliche Verkehr nicht läuft, mit kleinen Kindern im Hintergrund, weil die Kitas geschlossen haben. Planbare Operationen wurden damals auch verschoben, und auf Flugreisen musste man eh verzichten.

 

Bittere Wahrheit

Wir stehen uneingeschränkt an der Seite der Ukraine. Unser Besuch heute ist auch ein klares Signal, dass dieser Weg deutlich weitergeht.

Lars Klingbeil

SPD-Vorsitzender

Es war ein Besuch voller Symbolik: Der SPD-Parteichef Lars Klingbeil und der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sind gemeinsam nach Kiew gereist und haben das klare Signal einer fortdauernden Unterstützung der Ukraine gesetzt. Während Klingbeil seinen Tanker SPD schon seit Monaten auf den neuen Kurs der Zeitenwende steuert, ist es Mützenich sichtbar schwergefallen, die veränderte Lage anzunehmen.

Zeit seines politischen Lebens hat der sich für Abrüstung eingesetzt. In Kiew wusste man den Besuch der beiden Spitzenvertreter der Kanzlerpartei zu schätzen. Präsident Selenskyj nahm sich Zeit für den Besuch aus Deutschland. Kristina Dunz hat die Reise begleitet und beschreibt die Lehrstunde in Kiew.

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Wie Demoskopen auf die Lage schauen

Seit der Bundestagswahl konnten Union und Grüne Stimmen hinzugewinnen. Das belegen die Umfragen seit Monaten. Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hat sich einmal genauer angeschaut, woher die Wählerschaft kommt. Der interessante Befund: Offenbar gibt es eine wandernde Mitte, die sich gerade mehr Union und Grünen zuwendet. Diese neuen potenziellen Wählerinnen und Wähler verorten sich laut Forsa deutlich mehr in der politischen Mitte als die jeweiligen Stammwähler der Parteien.

Der alte Grundsatz, wonach Wahlen in der Mitte gewonnen werden, gilt also immer noch. Während sich Union und Grüne über Zulauf freuen können, mussten SPD und Liberale seit dem Wahltag mächtig Federn lassen. Die SPD käme Stand heute auf 5,7 Prozentpunkte weniger als bei der Bundestagswahl. Bei den Liberalen ist es ein Minus von 6,5 Prozentpunkten.

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Das ist auch noch lesenswert

Unser Krisenreporter Can Merey ist gerade aus der Ostukraine nach Kiew zurückgekehrt. Was er rund um die umkämpfte Stadt Bachmut gesehen und erlebt hat, ist erschütternd. Er hat auch erfahren, warum in Tschassiw Jar westlich von Bachmut schon wieder neue Schützengräben ausgehoben werden.

Zurzeit sind viele deutsche Politikerinnen und Politiker in der Welt unterwegs. Mein Kollege Markus Decker hat den Verteidigungsminister nach Litauen begleitet, wo die Bundeswehr mit 1450 Soldatinnen und Soldaten dabei hilft, die Ostflanke der Nato zu schützen. Markus hat ein interessantes Bekenntnis des Verteidigungsministers gehört.

Im Tiefschnee in Litauen: Verteidigungsminister Boris Pistorius.

Im Tiefschnee in Litauen: Verteidigungsminister Boris Pistorius.

Die Nachrichten, die vom Volkskongress in China nach Europa durchdringen, klingen beunruhigend. Der chinesische Außenminister Qin Gang hört sich an wie Putin vor zwei Jahren. Mein Kollege Sven-Christian Schulz hat einen Experten befragt, was das zu bedeuten hat.

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Was veranlasst junge Menschen, nach einer Kinovorstellung zu randalieren und sich zu prügeln? Bundesweit ist es zu solchen Exzessen nach „Creed III“, einem Film mit Sylvester Stallone über Boxkämpfe gekommen, freigegeben ab zwölf Jahre. Unser Reporter Thorsten Fuchs ist dem Phänomen nachgegangen.

Der Dönerpreis explodiert. Mancherorts kostet der kalorienintensive Klassiker schon 8 bis 9 Euro. Der Allerweltsfladen wird damit zum Luxusgut. Diese drei Sätze stammen aus einem sehr lesenswerten Beitrag von Imre Grimm, der sich fragt, ob wir eine Fast-Food-Preisbremese brauchen. Jedenfalls scheint der Dönerpreis inzwischen eine ähnliche Rolle zu spielen wie in früheren Jahrhunderten der Brotpreis.

 

Das Autorenteam dieses Newsletters meldet sich am Samstag wieder. Dann berichtet meine Kollegin Kristina Dunz. Bis dahin!

Herzlichst

Ihre Eva Quadbeck

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