Nord Stream 2: Kommt jetzt der Abschaltmechanismus?

Das Rohrverlegeschiff „Akademik Tscherski“ hat am Donnerstag den Seehafen Wismar verlassen, wo es mit Technik ausgerüstet worden war. Im Raum Kaliningrad wird es Tests durchführen, bevor es zum Pipelinebau in der dänischen Wirtschaftszone eingesetzt wird.

Das Rohrverlegeschiff „Akademik Tscherski“ hat am Donnerstag den Seehafen Wismar verlassen, wo es mit Technik ausgerüstet worden war. Im Raum Kaliningrad wird es Tests durchführen, bevor es zum Pipelinebau in der dänischen Wirtschaftszone eingesetzt wird.

Bornholm. Die letzten Meter sind oft die schwersten. Die Kraft lässt nach, der Läufer ist schon ausgepowert. Aber: Er hat auch das Ziel schon vor Augen. So in etwa lässt sich die Situation der Erbauer der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 beschreiben, die einmal Erdgas vom russischen Ust-Luga nach Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern befördern soll.

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Ende 2019 war das 8-Milliarden-Euro-Projekt schon auf der Zielgeraden. „Die Pipeline ist zu 94 Prozent fertiggestellt und vollständig finanziert“, sagt Steffen Ebert, Sprecher der Bau- und Betreibergesellschaft Nord Stream 2 AG mit Sitz in Zug in der Schweiz. Aber dann kamen die Amerikaner und zogen die Notbremse.

Verzögerungen durch Sanktionen

Mit Sanktionsdrohungen übten die USA massiven Druck auf die am Bau beteiligten europäischen Firmen aus mit dem Ergebnis, dass mindestens 18 von ihnen ihr Engagement einstellten. Der Verlust eines Caterers, der die Sandwichpakete für die Arbeiter auf hoher See bereitstellt, lässt sich verkraften. Aber wenn gleich die Verlegeschiffe verschwinden, die die Stahlrohre auf den Grund der Ostsee bringen, ist das ein Schlag ins Kontor. So geschehen Ende 2019, als die schweizerisch-niederländische Allseas-Gruppe ihre Arbeiten einstellte. Mit zwei hochmodernen Spezialschiffen schaffte Allseas bis zu zehn Kilometer pro Tag, die jetzt im Einsatz befindliche russische „Fortuna“ schafft einige 100 Meter. Den USA ist es nicht gelungen, den Pipelinebau zu stoppen, aber sie haben eine massive Verzögerung bewirkt. Und so steht es in den Sternen, ob und wann das Projekt fertig wird, obwohl nur noch 150 an der über 2000 Kilometer langen Gesamtstrecke fehlen.

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In Sorge um die Ukraine

Die USA begründen ihre Sanktionen damit, dass sich Europa abhängig von Russland macht und dann erpressbar ist. Andererseits wollen sie auch die Ukraine stützen, die fürchtet, künftig keine Transitgebühren mehr kassieren zu können, wenn die Russen ihre Erdgaslieferungen über die bestehende Landpipeline drosseln oder gar ganz einstellen. Zudem wollen die USA ihr unter fragwürdigen Umweltbedingungen gewonnenes Frackinggas in Europa verkaufen, das etwa 25 Prozent teurer ist als russisches Erdgas.

Rechtlich auf sicherem Grund

Doch den Sanktionsbefürwortern in Europa und Übersee gehen womöglich bald die Argumente aus, denn rechtlich liegt die Pipeline auf sicherem Grund. „Die Bauarbeiten basieren auf rechtsverbindlichen Bau- und Betriebsgenehmigungen von vier EU-Ländern und Russland“, heißt bei der Nord Stream 2 AG, einer Tochter des russischen Gazprom-Konzerns. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) sagte gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Die Bundesregierung hat die Ostsee-Pipeline immer befürwortet. Ihr Bau ist rechtsstaatlich genehmigt. Niemand, der sich an ihrem Bau beteiligt, tut etwas Rechtswidriges.“ Dies scheint ein springender Punkt und wohl auch der Grund zu sein, weshalb in Thinktanks immer neue Varianten durchgespielt werden, wie man den Pipelinestreit in die Länge ziehen kann, um Zeit zu gewinnen.

Jüngstes Produkt dieser Überlegungen ist ein offenbar in Washington erdachter Abschaltmechanismus. Dahinter steckt die Idee, dass Deutschland den Hahn zudreht, wenn es zu einem erneuten Konflikt zwischen Russland und der prowestlichen Ukraine kommt. Das hieße, die Pipeline wird fertig gebaut und die Bundesregierung behielte einen Erdgas-Importstopp als politischen Hebel. Abgesehen davon, wie das in einem transeuropäischen Leitungsnetz mit Lieferverträgen und Abnahmeverpflichtungen technisch umgesetzt werden soll, bleibt die Frage nach dem politischen Willen in Deutschland.

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Wadephul (CDU): kein Automatismus

Der Außenpolitiker Johann Wadephul, Vizechef der Unionsfraktion im Bundestag, sieht „zwischen einem völligen Baustopp und der unkonditionierten Fortsetzung der Bauarbeiten mehrere Handlungsoptionen“. Eine davon sei die Abschaltvorrichtung. Und zwar „für den Fall, dass Russland beispielsweise Druck auf die Ukraine durch einen Stopp des Gasdurchflusses durch die ukrainische Pipeline ausübt“, teilte Wadephul gegenüber dem RND mit. Für eine Abschaltung könne es jedoch keinen Automatismus geben. „Es kann dafür auch keine allein deutsche Entscheidung geben, sondern dafür muss eine europäische Entscheidung zugrunde liegen“, sagte Wadephul. Zudem wären rechtliche Fragen zu klären – beispielsweise mit Blick auf Regressforderungen der beteiligten Unternehmen.

Schmid (SPD): Baustopp ändert nichts

Der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Nils Schmid, blickt „mit großer Sorge auf die Politik der russischen Führung“, umschifft aber den Abschaltmechanismus und sagt: „Wer glaubt, ein Baustopp für Nord Stream 2 würde die Politik Moskaus ändern, irrt. Russland könnte das dann nicht mehr benötigte Gas als Flüssiggas auf den Weltmarkt bringen und damit seine Erlöse erzielen.“ Außerdem würde russisches Gas weiter über andere Wege nach Europa strömen. Schmid plädiert für ein „abgestimmtes transatlantisches Vorgehen“: Die USA beenden die Sanktionen und die Pipeline wird fertig gebaut. Über die Inbetriebnahme müsse dann anschließend entschieden werden. Schmid: „Bei allen Überlegungen sollten wir bedenken, dass wir auch künftig mit Moskau kooperieren müssen, etwa bei nuklearer Abrüstung und Klimaschutz.“

Sarrazin (Grüne): keine rechtliche Handhabe

Manuel Sarrazin, Sprecher für Osteuropapolitik der Grünen im Bundestag, hält nichts von einem Abschaltmechanismus. Das wäre „weiter nichts als ein Gentlemen’s Agreement ohne rechtliche Handhabe“, sagt er und fragt: „Wer schaltet denn die Pipeline ab, wenn es zu einer kritischen Situation im Konflikt mit der Ukraine kommt?“ Für ihn ist das ein weiterer Versuch, die Debatte in die Länge zu ziehen. „Die Bundeskanzlerin sollte öffentlich sagen, dass Nord Stream 2 ein schlechtes Projekt ist, das sie politisch ablehnt“, fordert Sarrazin. Das sei ein Satz, der geeignet wäre, das Projekt zu beenden, ohne dass es Rechtsfolgen hätte, meint der Grünen-Politiker und hat dabei wohl auch den dann sinkenden Aktienkurs von Gazprom vor Augen.

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Gasexperte: Vorschlag ist absurd

Der Gasmarktexperte Dr. Wolfgang Peters, der 33 Jahre in der Branche gearbeitet hat, unter anderem als CEO für RWE in Tschechien, wo er milliardenschwere Schiedsverfahren gegen Gazprom führte, hält die Idee einer Abschaltvorrichtung für ein rechtswidriges „Wolkenkuckucksheim“. Die europäische Gas Direktive sei bereits in mehr als fragwürdiger Weise geändert worden und eigentlich schon jetzt eine diskriminierende „Lex Nord Stream“. Aber selbst diese geänderte Direktive gäbe es nicht her, einzelne Importleitungen mit An- und Abschaltmechanismen zu versehen, sagt Peters, der heute mit der Gas Value Chain Company (Friedrichskoog) sein eigenes Beratungsunternehmen betreibt.

Die Forderungen nach einem Baustopp qualifiziert Peters als „typisches Beispiel für nutzlose Symbolpolitik“ ab, die am Ende den westlichen Unternehmen, die sich an der Finanzierung von Nord Stream 2 beteiligt haben, und vielen Zulieferern schadet. Zudem dürften Schadensersatzforderungen in Milliardenhöhe fällig werden.

Peters bringt einen weiteren interessanten Gedanken ein: Wenn Nord Stream 2 verhindert würde, könnte Russland den Gastransit nach Europa durch die Ukraine wieder erhöhen. Im Ergebnis wäre der größte Verlierer dann aber der Klimaschutz, denn die CO₂- und Methan-Emissionen durch das marode ukrainische Leitungssystem seien um ein Vielfaches höher als durch die moderne Ostsee-Pipeline.

„Ostsee ist sicherstes Transitland“

„Das sicherste Transitland ist die Ostsee“, befand Rainer Seele schon vor Jahren. Damals war er noch Manager bei Wingas, heute ist er Vorstandschef des österreichischen Mineralölkonzerns OMV, der Finanzierungspartner bei Nord Stream 2 ist. Die Direktanbindung der EU an die Erdgasquellen Sibiriens sei wie eine Lebensversicherung, sagte Seele 2009 auf einem Meeting. Als diese Worte fielen, war an die Maidan-Proteste in Kiew, den Umsturz in der Ukraine, die Annexion der Krim und die Inhaftierung von Kremlkritiker Alexej Nawalny noch nicht zu denken. Aber im Gasgeschäft haben diese Ereignisse inzwischen längst Spuren hinterlassen. Die Ukraine bezieht seit Jahren kein Gas mehr für den Eigenverbrauch aus Russland. Das kommt ausschließlich von Partnern aus der EU und aus Eigenproduktion.

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