„NSU 2.0″-Prozess: Angeklagter beschuldigt Polizei

Der Angeklagte und mutmaßliche Verfasser der "NSU 2.0"-Drohschreiben beschuldigt die hessische Polizei, die Mails geschrieben zu haben.

Der Angeklagte und mutmaßliche Verfasser der "NSU 2.0"-Drohschreiben beschuldigt die hessische Polizei, die Mails geschrieben zu haben.

Frankfurt a.M. „Sämtliche Tatvorwürfe werden bestritten.“ Mit diesen Worten leitete der angeklagte Alexander M. den zweiten Verhandlungstag im Prozess um die „NSU 2.0″-Drohschreiben ein. Der 54-jährige Berliner in braun-olivgrüner Jacke mit neongelbem Schulteraufsatz, rotem T-Shirt und schwarzer Hose darf am Donnerstag im Landgericht Frankfurt am Main seine Sicht der Dinge äußern. „Von einer rechtsextremen Gesinnung von mir kann keine Rede sein. Bei den zahlreichen Durchsuchungen meiner Wohnung und Computer wurde nichts Entsprechendes gefunden“, behauptete M.

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Er nehme an zahlreichen Diskussionsforen im Internet teil, erzählte der Angeklagte. 2019 sei er in geschlossene Chatgruppen eingeladen worden. „Gegenstand war rechte Politik, es herrschte ein beträchtliches Aggressionspotenzial.“ Insbesondere gegen die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz sei „gehetzt“ worden. Er gehe aufgrund von „Insiderwissen“ davon aus, dass auch Polizisten am Chat teilnahmen. „Ich war Mitglied des Chatforums, habe aber keine Straftaten begangen“, betonte M.

Angeklagter: Die Polizei habe die „NSU 2.0″-Schreiben verfasst

Auch habe er nie bei der Polizei in Hessen angerufen und vertrauliche Daten erschlichen. „Wie sollte ich als Berliner an viele streng geheime Dinge der hessischen Polizei gekommen sein?“ Er verwies darauf, dass keiner der Polizisten in den betreffenden Revieren davon berichtet habe, von einem „Kollegen“ angerufen worden zu sein. Der Angeklagte sagte: „Die Polizei hat einen nützlichen Idioten ermittelt, dem man alle Schuld zuschieben kann.“

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„Die Mails sind in ihrer Diktion von politisch frustrierten Polizeibeamten verfasst worden“, behauptete der Angeklagte mit Bezug auf die Drohschreiben. Er selbst habe damit nichts zu tun. Auch die anderen Vorwürfe seien von der Polizei konstruiert worden, um von Tätern in den eigenen Reihen abzulenken. So besitze er keine illegalen Waffen, das angebliche Würgeholz sei ein selbstgebasteltes Übungsgerät zum Tritte versetzen.

Herkunft der Daten in den Drohmails sei fraglich – nicht die Täterschaft

Der angebliche Widerstand gegen Polizeibeamte sei ein Missverständnis: Er habe mit einer Gaspistole in der Hand seinem Nachbarn zu Hilfe eilen wollen, dessen Wohnungstür die Polizisten zuerst eingeschlagen hätten. Auch besitze er keine kinderpornographischen Bilder und Filme, es handele sich hier um normale Pornographie. In einem früheren Strafverfahren sei er diesbezüglich freigesprochen worden. „Es gibt keine Beweise gegen mich“, erklärte M. „Ich beantrage die Aussetzung des Verfahrens.“

Der Angeklagte trägt seine Darstellung in geordneten Sätzen vor, aber als die Anwältinnen der Nebenklägerinnen ihre Sicht der Dinge äußern, fällt er ihnen sofort ins Wort. Die Vorsitzende Richterin Corinna Distler muss M. mehrfach ermahnen. Der Angeklagte habe versucht, Lücken in der Anklage auszunutzen, sagte die Berliner Rechtsanwältin Antonia von der Behrens. Seine Täterschaft sei aber nicht offen. Offen sei die Frage, woher die vertraulichen Daten in den Drohschreiben stammen, die zuvor auf Polizeicomputern abgefragt wurden. Dazu stehe nichts in der Anklage.

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„Das Verhalten des Angeklagten spiegelt das Weltbild wider, das wir in den Schreiben gehört haben“, sagte die Anwältin der Nebenklage, Kristin Pietrzyk aus Jena, nach Ende der Verhandlung. „Der Angriff auf Frauen, die sprechfähig sind, die laut sind, die etwas zu sagen haben auf ihrem Fachgebiet, das stößt ihm auf, da hat er überhaupt gar keinen Respekt.“ Die Anwältin machte auf weiteren Ermittlungsbedarf aufmerksam: „Wir gehen davon aus, dass es absolut nicht aufgeklärt ist, in welchen Netzwerken er sich bewegt hat. Im Blick auf die Chatforen war er erstaunlich schmallippig“.

Von der Behrens bekräftigte, dass die Nebenklage überhaupt keinen Zweifel an der Täterschaft von M. habe. Aber es sei entgegen der Behauptung der Staatsanwaltschaft nicht aufgeklärt, welcher Polizist die gesperrten Adress- und Geburtsdaten von Basay-Yildiz am 2. August 2018 auf dem Ersten Frankfurter Polizeirevier abgefragt und wer kurz darauf das erste Drohschreiben verfasst hat.

In der 120 Seiten umfassenden Anklageschrift wirft die Staatsanwaltschaft M. neben 67 Fällen der Beleidigung eine ganze Reihe von Vergehen vor, unter anderem versuchte Nötigung, Bedrohung, Verbreiten von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, öffentliche Aufforderung zu Straftaten, Volksverhetzung, Besitz kinder- und jugendpornografischer Schriften, Angriff auf Polizisten sowie Verstoß gegen das Waffengesetz. Der Prozess wird am 21. Februar fortgesetzt.

RND/epd

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