„Nukleare Aufrüstung gibt es jetzt schon“

Russland hat neue Marschflugkörper entwickelt. Die USA haben daraufhin den INF-Abrüstungsvertrag gekündigt.

Russland hat neue Marschflugkörper entwickelt. Die USA haben daraufhin den INF-Abrüstungsvertrag gekündigt.

Am Mittwoch und Donnerstag tagen die Verteidigungsminister der Nato-Mitgliedsstaaten in Brüssel. Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) wird sich aller Voraussicht nach von den Amerikanern wieder einmal anhören müssen, dass Deutschland nicht genug Geld für die gemeinsame Verteidigung aufbringt.

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Wichtigeres Thema aber ist die nukleare Abrüstung. Das drohende Ende des INF-Vertrags ist brandgefährlich, sagt der Abrüstungsexperte Oliver Meier im Interview. Der 54 Jahre alte Wissenschaftler arbeitet bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

Herr Meier, zum ersten Mal nach der Suspendierung des INF-Abrüstungsvertrags treffen sich nun die Verteidigungsminister der Nato-Staaten in Brüssel. Was können sie tun, um den Vertrag zu retten?

Die Chancen, den Vertrag zu retten, stehen nicht gut. Denn weder die USA noch Russland lassen den politischen Willen dazu erkennen. Beide Seiten müssten sich einverstanden erklären, dass Fachleute klären, ob der Vertrag gebrochen wurde und wie mögliche Verstöße überprüfbar korrigiert werden können. Ein gewisses Maß an Gegenseitigkeit dürfte dabei unabdingbar sein. Da die russischen Vorwürfe des Vertragsbruchs durch die US haltlos sind, sollten gegenseitige Inspektionen für die Nato kein Problem sein.

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Gibt es denn Anzeichen, dass sich beide Seiten in den kommenden sechs Monaten bewegen könnten, damit dieser Vertrag nicht Anfang August einfach ausläuft?

Bisher gibt es keine Anzeichen dafür. Russland hat sich zwar prinzipiell zu einem Dialog bereit erklärt. Aber es lässt sich nicht sagen, wie ernst es Moskau damit meint. Und die USA wollen auch reden, verlangen aber als Vorleistung die Vernichtung der russischen Raketen.

Was sollte also die Nato tun?

Die Nato hätte wenig zu verlieren, aber möglicherweise viel zu gewinnen, wenn sie austesten würde, wie ernsthaft die russischen Gesprächsangebote sind. Es sind ja noch ein paar Monate Zeit, die man nicht ungenutzt verstreichen lassen sollte.

Wird es denn wieder, ähnlich wie in den 80-er Jahren, zur Stationierung von Atomraketen in Europa kommen, um die Bedrohung aus Russland zu kontern.

Im Moment betonen die USA, dass allenfalls eine Stationierung neuer konventioneller Mittelstreckenraketen vorgesehen ist. Es gebe keine Pläne, Nuklearwaffen zu stationieren. Das ist zumindest die offizielle Darstellung.

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Haben Sie Zweifel daran?

Zur Wahrheit gehört auch, dass solche Marschflugkörper sowohl mit konventionellen als auch atomaren Sprengköpfen bestückt werden können. Außerdem haben die USA bereits mit der Entwicklung einer neuen, seegestützten Atomrakete begonnen. Auch dies soll Russland dazu bewegen, sich wieder an den INF-Vertrag zu halten. Eine gewisse nukleare Aufrüstung gibt es also jetzt schon.

Reicht das, um die Geschlossenheit der europäischen Nato-Staaten zu bewahren? Immerhin haben die baltischen Länder und Polen wegen ihrer geografischen Nähe zu Russland mehr Angst als etwa die Menschen in Mitteleuropa.

Im Moment betonen alle in der Nato, dass man geschlossen reagieren will. Allerdings gibt es da je nach Land ein unterschiedliches Verständnis davon, was das genau heißen soll.

Das Problem am INF-Vertrag ist, dass sich nur Russland und die USA daran halten mussten, China aber zum Beispiel nicht. Wie hoch sind die Chancen, dass es zu einem Nachfolgevertrag kommt, an dem sich auch andere Atomwaffen-Staaten beteiligen?

Die Chancen dafür stehen im Moment eher schlecht. Sie würden höher sein, wenn man den INF-Vertrag erhalten und erweitern würde. Das liegt daran, dass die USA und Russland zusammen über mehr als 90 Prozent aller Atomwaffen verfügen. Die kleineren Atomwaffen-Staaten, und dazu gehört China, argumentieren, dass sie nur bereit wären, in einen multilateralen Vertrag einzusteigen, wenn die USA und Russland weiter abrüsten. Genau das Gegenteil geschieht aber derzeit. Von Selbstbeschränkung ist nicht viel zu sehen. Wenn man also einen der letzten bestehenden Abrüstungsverträge aufkündigt, dann erhöht das nicht die Chancen, dass sich andere Staaten einem neuen Kontrollsystem anschließen.

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Lage ist gefährlicher als in den 60-er Jahren

Was heißt das Ende des INF-Vertrages für den New-Start-Vertrag, in dem sich Russland und die USA im Jahr 2010 zum Abbau strategischer Nuklearwaffen verpflichtet haben. Dabei geht es um Atomraketen mit einer Reichweite von mehr als 5500 Kilometern?

Der Vertrag läuft im Februar 2021 aus, kann aber wieder verlängert werden. Sollte der INF-Vertrag tatsächlich scheitern, dann wäre New Start der letzte verbliebene Abrüstungsvertrag, den es überhaupt noch gibt. Ich sehe die Gefahr, dass es dann zu Versuchen kommen wird, Raketen mit größerer Reichweite als Mittelstreckenwaffen zu deklarieren. Solche Systeme wären nach einem Ende des INF-Abkommens ja quasi erlaubt. Die Folge wären gegenseitige Beschuldigungen, den New-Start-Vertrag zu unterlaufen.

Oliver Meier

Oliver Meier

Also ein Rückschritt in die 60er Jahre?

Absolut, aber viel gefährlicher. Es gibt heute sehr viel mehr Atommächte. Es gibt heute politische Führungen, die wenig bis gar kein Verständnis für die Gefahren haben, die von Atomwaffen ausgehen. Und wir haben eine technologische Entwicklung, die es in den 60er und 70er Jahren noch nicht gab. Die gegenseitigen Verwundbarkeiten, etwa von Frühwarnsystemen, sind heute größer als damals. Wenn New Start auch noch scheitern sollte, dann hätten wir gar keine nuklearen Abrüstungsverträge mehr auf der Welt.

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Von Damir Fras/RND

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