Obama bewegt mit emotionaler Abschiedsrede

Barack Obama bei seiner Abschiedsrede in Chicago.

Barack Obama bei seiner Abschiedsrede in Chicago.

Chicago. Noch einmal diesem Staatsmann zuhören. Ein letztes Mal eine Epoche spüren, die so viel Hoffnung gab. Hier in Chicago, wo Barack Obama als Sozialarbeiter begann und beständig an seinem Aufstieg werkelte, schließt sich der Kreis: Eine stimmungsvolle Farewell-Party, die seinen Anhängern im gesamten Land die Tränen in die Augen treibt. Sie grämen sich nicht länger über vertane Chancen, ihre Sorgen gelten jetzt allein dem, was kommt.

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Wohl selten gab es die Abschiedsrede eines US-Präsidenten in einem so turbulenten Umfeld. Ganz gleich ob Demokraten oder Republikaner: Viele Amerikaner eint in diesen Tagen das seltsame Gefühl, dass am 20. Januar eine ganz andere Zeitrechnung beginnt. Und Obama, der es acht Jahre lang vorzog, lieber bedächtig als voreilig zu regieren, trägt kräftig zu diesem Eindruck bei: In aller Eile will das scheidende Staatsoberhaupt noch retten, was zu retten ist. Das Weiße Haus gibt in diesen Tagen gleich unzählige Präsidialerlasse heraus.

Obama entlässt Gefangene aus Haft

Unmittelbar vor dem Amtsende des 44. Präsidenten hagelt es Verordnungen zur Begrenzung von Ölförderanlagen, zu Schadstoffemissionen, zur Krankenversicherung und zur medizinischen Versorgung im Alter. Darüber hinaus wächst der Berg an Begnadigungsurkunden fast in Zimmerhöhe: Obama entlässt mehr als 1000 Gefangene vorzeitig aus der Haft - mehr als seine Vorgänger Truman, Eisenhower, Kennedy, Johnson, Nixon, Ford, Carter, Reagan, die beiden Bushs und Clinton zusammen.

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Sein Erbe zu sichern dient letztlich auch der rührende Abend in Chicago: Obama fordert seine Landsleute mit Nachdruck auf, sich in das politische Alltagsgeschäft einzumischen und sich nicht von den Kräfteverhältnissen im Parlament beeindrucken zu lassen. Amerikas Kurs in der Umweltpolitik, beim Umgang mit Minderheiten und illegalen Einwanderern, und nicht zuletzt im Bildungsbereich sei immer auch von der Stimmungslage der Nation abhängig.

„Obamacare“ gilt als Meilenstein

Zwischen den Zeilen schwingen allerdings auch Eingeständnisse mit: Der 55-Jährige hätte gern weitergemacht. Zu vieles ist angesichts der fehlenden Mehrheiten im Kongress liegen geblieben. Als erster schwarzer Präsident im Weißen Haus war Obama von Beginn an ein besonderer Eintrag im Geschichtsbuch sicher. Aber darüber hinaus hätte es durchaus spektakulärere Erfolge geben können.

Sicherlich: Sein konsequentes Gegensteuern inmitten der schweren Finanz- und Wirtschaftskrise zu Beginn seiner Amtszeit verdient Respekt. Auch seine Reform der Krankenversicherung gilt als Meilenstein in der US-Politik - auch wenn sie von seinem Nachfolger wieder begraben werden könnte. Aber zu seiner gemischten Bilanz zählen eben auch all die Amerikaner, die zwar einem Job nachgehen, aber mit den niedrigen Löhnen kaum ihre alltäglichen Kosten decken können. Zu den Realitäten gehören schlechte Berufsaussichten für die jüngere Generation, und wenig Hoffnung für die Älteren, in absehbarer Zeit spürbare Gehaltserhöhungen zu erhalten. Ganz zu schweigen von der Außenpolitik, die als freiwillige Selbstbegrenzung gedacht war und letztlich zu einem Machtvakuum führte, das so manche Krise erst verschärfte.

Obama verabschiedet sich von Landsleuten

An diesem Abend in Chicago stehen diese Sorgen eher abseits. Der bisherige Chef des Weißen Hauses verabschiedet sich von seinen Landsleuten, die aus ihm, so Obama, einen besseren Präsidenten gemacht hätten. Er versucht Zuversicht zu vermitteln, als er ihnen in zuruft: "Um die Demokratie zu ringen heißt, zwei Schritte nach vorn zu gehen, und manchmal auch einen Schritt zurück." Aber viele im Saal fragen sich, wie weit zurück ein möglicher Rückschritt wohl gehen könnte.

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Eine Ursache der gesellschaftlichen Spaltung sieht Obama nicht zuletzt in den sozialen Medien: Viele Menschen würden sich in ihre jeweiligen „Blasen“, in ihre abgeschlossenen Welten zurückziehen. Dieser Trend stelle eine Bedrohung für die Demokratie dar. Zunehmend würden die Menschen nur noch solche Informationen akzeptieren, ob sie wahr seien oder nicht, die zu ihren Meinungen passten: „Ohne eine Bereitschaft, neue Information zuzulassen, und zuzugestehen, dass unser Kontrahent einen berechtigten Punkt macht, und dass Wissenschaft und Vernunft von Bedeutung sind, werden wir weiter aneinander vorbeireden.“

„Four more years“

Die Schwächen der eigenen Agenda schwingen mit, als Obama auf die krasse soziale Ungleichheit in Amerika zu sprechen kommt: Zu viele Familien in den Brennpunkten von US-Städten und in ländlichen Gebieten seien zurückgelassen worden.

Obama kann sich die selbstkritischen Töne bei seiner letzten Rede als Amtsinhaber leisten. Er verlässt die Bühne in dem festen Gefühl, dass die Menschen, die ihm an diesem Abend in Chicago zuhören, ihn am liebsten weitere vier Jahre im Amt gesehen hätten. Lautstark stimmen sie einen Chor an: „Four more years! Four more years!“

Von RND/Stefan Koch

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