Obama, Blair und Trudeau – Die gefallenen Hoffnungsträger
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Ex-US-Präsident Barack Obama.
© Quelle: AP
Washington. Tony Blair kann es noch. Oder ist einfach genug Zeit vergangen – und er kann es wieder?
Wenn sich der britische Politikpensionär in diesen Tagen einer jungen Zuhörerschaft stellt, ist er der Elder Statesman im besten Sinne: Der einstige Premier steigt erneut in den Ring, um sich gegen den Brexit zu stemmen. Er, der bei seinem Rücktritt 2007 so sehr für die Teilnahme am Irak-Krieg gescholten und als „Bushs Pudel“ verspottet wurde, gilt wieder als seriöse Stimme, die Großbritannien vor dem Schlimmsten bewahren will.
Diese Achterbahnfahrt in der öffentlichen Wahrnehmung ist nicht ungewöhnlich für Politiker, die als große Hoffnungsträger gestartet sind und irgendwann ihr Publikum enttäuscht haben – sei es wegen konkreter Fehler, sei es wegen überzogener Erwartungen.
Blair, das ist heute fast vergessen, startete Mitte der Neunzigerjahre als Erneuerer, der mit „New Labour“ Kapital und Arbeit versöhnen wollte. Begeistert spendeten seine Landsleute ihm Beifall, als er ihnen entgegenrief: „Ich bin nicht in die Politik gegangen, um die Labour-Partei zu ändern. Ich ging in die Politik, um das Land zu ändern.“
In Erinnerung geblieben sind statt der inneren Reformen die Bilder von den Schlachtfeldern im Irak. Heute aber zählt für viele wieder mehr Blairs Engagement für ein zukunftszugewandtes Großbritannien in der EU – das in der Gegenwart größer denn je ist.
Bürde der hochfliegenden Erwartungen erlebte auch Barack Obama
In die Riege der jungen Supertalente, die in schwere Turbulenzen geraten sind, zählt wohl auch Justin Trudeau. Der kanadische Ministerpräsident, der für ein modernes, vielfältiges Nordamerika wirbt, wird vom benachbarten Regierungschef Donald Trump als politisches Leichtgewicht verunglimpft. Die geradezu erdrückende wirtschaftliche Übermacht der USA lässt dem Kanadier kaum eine andere Wahl, als sich auf die Neuverhandlung der nordamerikanischen Freihandelszone Nafta einzulassen – eine Demütigung, die ihm der politische Gegner zu Hause nicht verzeiht, sondern sie genüsslich als Trudeaus eigene Schwäche auslegt. Der Ausgang des Kräftemessens ist offen. Trudeaus politisches Schicksal damit auch.
Wie schwer die Bürde ist, mit hochfliegenden Erwartungen zu starten, erlebte nicht zuletzt Barack Obama. Als der damalige Senator im Sommer 2008 in Berlin die Bühne an der Berliner Siegessäule betrat, flogen ihm die Herzen zu. 200.000 Menschen wollten möglichst nahe an diesem jungen Mann sein, von dem so viel Zuversicht ausging.
Absturz folgte zwei Jahre nach dem Höhenflug
Die Begeisterung, die damals in Berlin zu spüren war, wurde sicherlich nicht in ganz Amerika geteilt. Aber auch in seiner Heimat faszinierte der erste schwarze Präsidentschaftskandidat mit seinem rhetorischen Talent parteiübergreifend die Wähler. Viele sehnten sich nach einem Ausweg aus den Kriegen in Afghanistan und im Irak, nach Beruhigung der Finanzmärkte, nach Überwindung der tiefen Gräben, die Amerika im Inneren spalten.
Dem Höhenflug folgte bereits nach zwei Jahren der Absturz, als die Republikaner Obama in den Nahkampf zwangen und sich als Saubermänner der Fiskalpolitik präsentierten. Heute, unter einem republikanischen Präsidenten, wollen sie vom Null-Schulden-Kurs nichts mehr wissen. Aber damals schien er probates Mittel, um dem Reformer das Regieren zu erschweren. Die Blockadepolitik der Republikaner ließ Obama kaum eine andere Wahl, als mit Exekutivdekreten zu arbeiten, statt tragfähige Kompromisse auszuhandeln. Obama haftete fortan das Etikett „nicht durchsetzungsfähig“ an.
Bewusstsein für Obamas schwierige Ausgangslage wächst
Heute erscheint der 44. Präsident jedoch wieder in ganz anderem Licht. Es wächst vor allem das Bewusstsein für seine schwierige Ausgangslage: Obama hatte die Aufräumarbeiten nach der verheerenden Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 zu leisten. Seine Reformprogramme mussten zunächst abspecken, als Investmentbanken wie Lehman Brothers und Bear Stearns zusammenbrachen, General Motors und Chrysler in Konkurs gingen. Als Obama im Februar 2009 den „American Recovery and Reinvestment Act“ auflegte, stockte so manchem angesichts der Summen der Atem. Doch der Regierung gelang inmitten des rasanten Absturzes die Schubumkehr – und zum Ende von Obamas Amtszeit erlebten die USA ein bemerkenswertes Comeback.
Obamas Botschaft gewinnt in Trump-Ära neues Gewicht
Sicher: Die Wunden der Krise sind bis heute sichtbar. Tausende Amerikaner verloren ihre Rentenansprüche, ihre Ersparnisse, ihre Krankenversicherung, ihre Häuser. Doch im zweiten Jahr mit Donald Trump blicken auch einstige Kritiker mit einem milderen Blick zurück auf die acht Jahre, in denen Amerika mit Augenmaß geführt wurde: „Obamas Wahl war historisch, da die Auseinandersetzungen zwischen den Ethnien endlich als gelöst galten“, sagt Devin Stewart. Der leitende Politikwissenschaftler am New Yorker Carnegie Council verweist auf Entscheidungen, die erst langsam ihre volle Wirkung entfalten. Trotz aller Kritik im Detail gelte die Reform des Gesundheitswesens als historischer Meilenstein, die verschärfte Finanzaufsicht erweise sich als ein Segen, der Umgang mit gleichgeschlechtlichen Partnerschaften entspanne sich, und viele Afroamerikaner würden sich seit der Obama-Zeit wie von einem Alpdruck befreit fühlen.
Gerade in der Trump-Ära gewinnt die zentrale Botschaft Obamas neues Gewicht: Der amerikanische Traum steht allen Menschen in diesem Land offen. Er sollte es zumindest.
Von Stefan Koch/RND