Ost-West-Differenzen: Die Dominanz Westdeutscher in den Funktionseliten
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Die Einheit ins Licht gerückt: Das illuminierte Brandenburger Tor im Thema der Wiedervereinigung.
© Quelle: imago images/Christian Spicker
Berlin. Auch wenn die Vereinigung nun 30 Jahre zurückliegt, sind sich die Experten doch einig: Zentrale Ost-West-Unterschiede bestehen fort. So liegt die durchschnittliche Wirtschaftskraft Ostdeutschlands (ohne Berlin) laut Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit bei knapp 73 Prozent des gesamtdeutschen Durchschnitts. Selbst das stärkste Ostland ist ökonomisch nicht so stark wie das schwächste Westland.
Daraus leiten sich andere Unterschiede ab. Die Einkommen, die Vermögen, die Steuerkraft – all das ist geringer und schlägt auf die demografische Entwicklung durch. Die Jungen, zumal in den ländlichen Regionen Ostdeutschlands, ziehen vielfach gen Westen – und lassen Ältere zurück.
Die großen Konzerne sitzen im Westen Deutschlands
Auch in einem weiteren Punkt herrscht Einigkeit: dass sich dies nicht so schnell ändern wird. Das wiederum hängt in erster Linie mit der Tatsache zusammen, dass die großen Konzerne ihren Sitz fast durchweg in Westdeutschland haben und dort Gewerbesteuer zahlen.
Es gibt jedoch eine Ost-West-Differenz, an der sich etwas ändern ließe: Das ist die Dominanz der Westdeutschen in den Funktionseliten. So stellte der Sozialwissenschaftler Raj Kollmorgen von der Hochschule Zittau/Görlitz erst im Frühjahr fest, dass nur zwei bis drei Prozent der Topelite 2016 aus den neuen Ländern stammten – bei einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von etwa 17 Prozent.
Im Ergebnis seien die Ostdeutschen selbst in den Eliten Ostdeutschlands in der Minderheit, sagt er. Nach 1989 wurden die SED-nahen Führungskräfte aus ihren Positionen verdrängt. Ihnen folgten überwiegend Westdeutsche, weil sie politisch unbelastet und fähig waren, das neue System zu implantieren. Oft tun diese Eliten seither, wozu Eliten stets neigen: Sie ziehen ihresgleichen nach.
In der Fläche wird die Dominanz der Westdeutschen in den Eliten immer noch als kultureller Kolonialismus erlebt.
Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung
Der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, der Ostdeutsche Thomas Krüger mit Dienstsitz Bonn, sagte einmal: “Auch wenn es auf den ersten Blick mit Angela Merkel als Kanzlerin und dem ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck anders aussieht: In der Fläche wird die Dominanz der Westdeutschen in den Eliten immer noch als kultureller Kolonialismus erlebt. Und das ist ein Problem, ja.”
Er fuhr fort: “Als adaptierter Rheinländer würde ich den Westdeutschen raten: Man muss och mal jönne könne. Als Ostdeutscher plädiere ich für das bedingungslose Aushandeln dieses Konflikts frei nach dem bekannten Agitprop-Spruch: Von den Westdeutschen lernen heißt siegen lernen.”
Eine gesetzlich festgelegte Ostquote kommt für ihn als Gegenmittel nicht in Betracht. Sie würde schon daran scheitern, dass sich oft gar nicht mehr sicher sagen lässt, wer Ost- und wer Westdeutscher ist. Soll der Geburtsort ausschlaggebend sein – oder wer wie lange wo gelebt hat? Juristische Auseinandersetzungen wären programmiert. Aber bei mehreren Bewerbern und gleicher Eignung im Zweifel Ostdeutsche zu bevorzugen, dazu raten mittlerweile viele.
Das indes setzt Einsatz voraus – so wie Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) ihn zuletzt gezeigt hat. Er machte sich im Bundesrat dafür stark, dass Jes Möller erster ostdeutscher Richter am Bundesverfassungsgericht wird.
Nein, der Ostmann Möller wurde es am Ende nicht. Dafür wurde es mit Ines Härtel eine Ostfrau. Ohne Woidkes leidenschaftliches Engagement wäre in Karlsruhe aber zum 40. Mal seit 1990 ein Westdeutscher zum Zuge gekommen.