Polen attackiert den Rechtsstaat – und die EU sieht dabei zu
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Der französische Präsident Emmanuel Macron (von rechts nach links) spricht mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), während Kommissionschefin Ursula von der Leyen mit Mateusz Morawiecki, Ministerpräsident von Polen, beim EU-Gipfel spricht.
© Quelle: John Thys/Pool AFP/AP/dpa
Brüssel. Der wahrscheinlich letzte EU-Gipfel von Bundeskanzlerin Angela Merkel ging aus wie viele dieser Treffen in den letzten Jahren. Die Staats- und Regierungschefs der 27 Staaten verließen Brüssel im Streit über Grundsätzliches. Die Attacke auf die Rechtsstaatlichkeit in Polen, das Problem der rasant steigenden Energiepreise, der vom belarussischen Machthaber betriebene Menschenhandel – alles bleibt ungelöst, alles bleibt gefährlich.
Und das trotz aller Schlichtungsbemühungen Merkels. Vielleicht aber auch wegen der „Kompromissmaschine“ Merkel, wie der luxemburgische Regierungschef Xavier Bettel die Amtskollegin aus Berlin am Freitag nannte.
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Die Energiepreise werden nicht sofort sinken, nur weil die EU es will. Auch Lukaschenko wird den Menschenschmuggel nicht sofort aufgeben, nur weil die EU das fordert. Aber ein EU‑internes Problem hätte angegangen werden müssen.
Doch die EU‑Staaten haben es nicht vermocht, den gefährlichen Brand auszutreten, den die polnische Regierung mit ihren bizarren Vorstellungen zur Rechtsstaatlichkeit verursacht hat.
Merkel könnte Feuer noch anfachen
Das liegt auch an Merkels Wortwahl in Brüssel. Sie könnte das Feuer noch anfachen. Die Kanzlerin liegt falsch, wenn sie sagt, dass der Kern des Streits mit Polen eine unterschiedliche Vorstellung von der Zukunft der EU sei. Soll sie zu einem immer engeren Bündnis werden, wie es in der Gründungsakte heißt? Oder sollen die Nationalstaaten mehr Kompetenzen haben?
Natürlich kann man trefflich über diese grundsätzlichen Fragen streiten. Es lässt sich auch darüber streiten, ob es so einfach ist, wie die EU‑Kommission und das EU‑Parlament sagen: EU‑Recht bricht nationales Recht. Punkt. Ende der Debatte. So einfach ist es nicht.
Doch diese Fragen stellen sich derzeit nicht. Sie dürfen also auch nicht mit dem akuten Rechtsstaatsproblem in Polen vermischt werden. Momentan geht es einzig und allein um Folgendes: Die Regierung in Warschau will den Rechtsstaat im eigenen Land abschaffen, aber zugleich EU‑Mitglied bleiben, ohne sich an die Regeln und Werte des Klubs zu halten. Damit ist eindeutig eine rote Linie überschritten.
Polens Regierung sieht EU als Geldautomat
Brüssel soll den Geldbeutel aufmachen und sich ansonsten still verhalten. Die polnische Regierung sieht es so: Die EU ist ein Geldautomat, aus dem man sich schamlos bedienen darf. So sieht es auch die ungarische Regierung. So werden es, wenn nicht bald etwas geschieht, auch andere Regierungen in der EU sehen. Der Orban-Buddy Janez Jansa in Slowenien steht schon in den Startlöchern.
Sie wissen, dass sie nicht aus der EU hinausgeschmissen werden können, weil das per EU‑Vertrag gar nicht möglich ist. Und sie wollen die EU auch nicht verlassen, weil ihnen Milliarden entgehen könnten. Also treiben sie die Provokationen auf die Spitze.
Die sogenannten Justizreformen in Polen sind ein schwerer Schlag gegen die gemeinsame Rechtsordnung in der EU. Sie ist das Fundament der EU. Sie schafft Rechtssicherheit und Vertrauen in die EU. Wer das – wie die polnische Regierung – infrage stellt, der untergräbt dieses Fundament.
Rechtsstaatlichkeit ist nicht verhandelbar und darf es auch niemals werden. Es wäre besser gewesen, wenn Merkel darauf laut und deutlich verwiesen hätte. Merkels Ansatz, es mit viel Geduld und noch mehr Kompromissen zu versuchen, ist krachend gescheitert.
Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hat Merkels Worte als Steilvorlage verstanden. Beim Gipfel hat er keinerlei Einsicht gezeigt und wieder davon gesprochen, dass sein Land von der EU erpresst werde. Ungarns Regierungschef Viktor Orban, der sich die Justiz in seinem Land ebenfalls untertan machen will, applaudierte und setzte noch eins drauf. Gegen Polen laufe eine Hexenjagd, sagte er.
Das ist Unfug. Niemand will, dass Polen oder Ungarn die EU verlassen. Aber dass die Staats- und Regierungschefs der EU einfach zusehen, wie Polen die europäische Rechtsgemeinschaft in Lebensgefahr bringt, das geht eben auch nicht.
Die EU muss endlich klare Kante zeigen. Wer sich an der Rechtsstaatlichkeit vergeht, darf kein Geld mehr aus Brüssel bekommen.