Analyse

G20 ohne Putin – eine Chance für die Welt

Der russische Präsident bleibt weg – aber die Staatschefs der USA und Chinas werden sich Mitte November in Bali zusammensetzen: Joe Biden und Xi Jinping bei einer Begegnung im Jahr 2013 in Peking. Biden war damals Vizepräsident der USA.

Der russische Präsident bleibt weg – aber die Staatschefs der USA und Chinas werden sich Mitte November in Bali zusammensetzen: Joe Biden und Xi Jinping bei einer Begegnung im Jahr 2013 in Peking. Biden war damals Vizepräsident der USA.

Wladimir Putin hat es spannend gemacht. Vielleicht, orakelte er Ende Oktober vor internationalen Journalisten, reise er Mitte November zum G20‑Gipfel nach Bali. Vielleicht aber auch nicht: „Ich denke noch darüber nach.“

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Gastgeber Indonesien hat inzwischen Klarheit geschaffen: Putin bleibt zu Hause.

Über die Gründe für seine Absage wird viel spekuliert. Fühlte sich Putin, der Heerscharen von Vorkostern und Leibwächtern beschäftigt, im Trubel eines Gipfels mit 20 Nationen in Bali nicht sicher? Fürchtete er gar, er könne in Moskau im Moment seiner physischen Abwesenheit entmachtet werden?

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Putins Fernbleiben von G20 ist jedenfalls nicht bloß irgendein Signal. Der russische Präsident hat sich soeben für jedermann sichtbar in die weltpolitische Isolierstation verabschiedet.

Kremlpropagandisten wollen dies als unwichtig abtun. Immerhin fahre der russische Außenminister nach Bali, heißt es in Moskau. Doch der muss, wenn es informell und richtig wichtig wird im Kreis der Staats- und Regierungschefs, draußen bleiben. Tatsächlich hat im großen globalen Spiel ein Zug, wie ihn Putin jetzt macht, konkrete Folgen: Beim G20‑Gipfel werden die Mächtigen nun über Putin reden statt mit ihm.

China wünscht „keine weitere Eskalation“

Genau darin aber liegt weltpolitisch eine Chance. US‑Präsident Joe Biden ist bereits fest entschlossen, die Allianz zwischen Putin und dem chinesischen Staatschef Xi Jinping zumindest teilweise zu knacken. Xi, wirtschafts­politisch in ungewöhnlichen Schwierigkeiten, könnte hellhörig werden, wenn ihm Biden ihm in Bali Handelsvorteile in Aussicht stellt und im Gegenzug mehr Druck auf den Mann in Moskau verlangt.

Eine öffentlich nie ausgesprochene Frage könnte in Bali durchaus diskret erörtert werden: Läge nicht ein Zurückdrängen russischer Übergriffigkeit und Unberechenbarkeit im Interesse einer großen Zahl von Nationen, von der Ostsee über Mittelasien bis zum Pazifik? Und würde nicht ein kooperativer, normaler Staatschef in Moskau viel besser ins 21. Jahrhundert passen als Putin mit seiner immer schlimmer werdenden Mischung aus Aggressivität und Realitätsverlust?

Für China ist und bleibt die Anfang Februar mit übertriebener Geste verkündete Allianz mit Russland eine zweischneidige Sache. Einerseits lenkt Putin mit seinem Krieg den Westen wunderbar ab vom globalen Machtstreben Chinas. Insofern ist der Russe zum nützlichen Idioten Pekings geworden. Zudem liefert Putin den Chinesen Öl und Gas zum Vorzugspreis. Andererseits aber dürfen die ökonomischen Auswirkungen der Ukraine-Krise ein gewisses Maß nicht übersteigen – denn alles, was in Richtung einer weltweiten Rezession führt, ist schlecht fürs Geschäft, auch in China.

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„Wir können uns keine weitere Eskalation leisten“: Bundeskanzler Olaf Scholz und Li Keqiang, Ministerpräsident der Volksrepublik China, am 4. November 2022 in Peking.

„Wir können uns keine weitere Eskalation leisten“: Bundeskanzler Olaf Scholz und Li Keqiang, Ministerpräsident der Volksrepublik China, am 4. November 2022 in Peking.

Dieser zweite Aspekt scheint mittlerweile in Peking zunehmendes Gewicht zu bekommen. Ein Satz des chinesischen Regierungschefs Li Keqiang, geäußert vor einer Woche in Peking nach Gesprächen mit Bundeskanzler Olaf Scholz, hallt nach: „Wir können uns keine weitere Eskalation leisten.“

Was spricht dagegen, aus diesem Grund­gedanken einen G20‑Konsens zu zimmern, den am Ende alle Anwesenden unterschreiben? Der Gipfel hätte dann aus der Abwesenheit Putins das Optimum herausgeholt.

Erdogan macht Ansagen am Schwarzen Meer

Auch auf anderen Ebenen geht der Trend längst dahin, an Putin vorbei Politik zu machen. Als der russische Präsident jüngst einen Ausstieg aus dem Getreidedeal verkündete und wissen ließ, er garantiere nicht mehr für die Sicherheit der Weizenschiffe, winkte der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan ab: Die Ukraine könne getrost ihre Schiffe weiter durchs Schwarze Meer fahren lassen, egal, was Russland sage.

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Kurze Zeit später ließ Putin sich herbei, den Getreidedeal doch wieder mitzutragen – die Ukraine müsse aber zusichern, keine russischen Kriegsschiffe mehr anzugreifen. So ändern sich die Zeiten: Zu Beginn des Krieges wollte Putin Kiew binnen drei Tagen erobern, jetzt erbittet er sich von der Ukraine Sicherheits­garantien für seine Schwarzmeerflotte.

Lange genug hat Putin mit seinem brutalen Überfall auf die Ukraine den Rest der Welt sprachlos gemacht. Vieles spricht dafür, ihm jetzt mit mehr Geschlossenheit und mehr Selbstbewusstsein zu begegnen.

China und Indien sprechen jeweils für mehr als eine Milliarde Menschen. USA, EU und die demokratischen Staaten des Pazifiks bringen zusammen eine ähnliche Zahl auf die Waage – und die größte Wirtschaftskraft auf dem Globus. Schon ein begrenztes handelspolitisches Zusammenwirken dieser drei Blöcke könnte ausreichen, Moskau auf einen neuen Kurs zu bugsieren.

Russland ist isoliert wie noch nie

Russlands politischer Rückhalt in der Welt tendiert mittlerweile gegen null. Dass das Land isoliert ist wie noch nie, zeigte die Abstimmung in der UN‑Vollversammlung zu Putins jüngsten Annexionen in der Ukraine. 143 Staaten der Welt stufen Moskaus Vorgehen als Bruch des Völkerrechts ein. Nur vier Staaten neben Russland selbst sehen es anders: Belarus, Nordkorea, Syrien und Nicaragua.

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Die allermeisten Regierungen der Welt empfinden Putins Krieg als grotesk, als völlig aus der Zeit gefallen. Sie waren angesichts gigantischer Herausforderungen – Klimaschutz, Globalisierung, Digitalisierung – gerade dabei, höchst rational ihre ökonomischen, ökologischen und sozialpolitischen Interessen zu sortieren. Viele Staatschefs, auch in der arabischen Welt oder in Afrika, ahnen inzwischen, dass ein Krieg in Europa mit Flüchtlingswellen und neuem Elend für Millionen so ziemlich alle Schritte zu jener weltweiten Kooperation behindert, die jetzt eigentlich fällig wäre.

Es ist eine ebenso überfällige Erkenntnis, die sich jetzt rund um die Erde in den Korridoren der Macht herumspricht. Man kann sie auf eine simple Formel bringen: Putin stört.

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