Putins doppeltes Spiel verwirrt den Westen
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Die Corona-Chroniken.
© Quelle: RND
Hannover. Luftbrücken in Zeiten der Not bleiben im Gedächtnis der Völker – die Deutschen können ein Lied davon singen.
In Italien will sich jetzt eine – in dieser Rolle noch neue und etwas ungelenke – Großmacht positiv einbrennen ins kollektive Bewusstsein: Russland.
15 Militärtransportmaschinen, dirigiert vom Moskauer Verteidigungsminister Sergei Shoigu, lieferten mittlerweile tonnenweise medizinisches Gerät nach Italien. Damit wurde nicht nur technisch und logistisch einiges bewegt, sondern auch in der Gefühlswelt des beschenkten Volkes. Der italienische Popsänger Pupo postete auf Facebook eine am heimischen Klavier con emozione gesungene russische Ballade und verabschiedete sich gerührt mit den Worten: “Ich liebe dich, Russland. Danke.”
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Liebesgrüße aus Moskau: "From Russia with love", lautet eine Aufschrift auf den Militärmaschinen, die Hilfsguter nach Italien brachten.
Die Russen hätten es dabei bewenden lassen sollen. Denn nun hatten sie ihren Treffer schon gelandet: Moskau erschien auf einmal eher als Retter in der Not als EU oder USA.
Doch das russische Staatsfernsehen konnte es mal wieder nicht lassen. Es stellte die Geschichte für Moskau noch viel triumphaler dar, als sie ohnehin schon war. Da sah man begeisterte Italiener russische Flaggen schwenken, und man hörte, wie in italienischen Straßen aus privaten Häusern die russische Nationalhymne erklingt. “So viele Zeichen von Dankbarkeit für Russland”, trommelte der Moderator, “sollten den USA und den Europäern eine Lehre sein.”
Das waren dann am Ende doch ein paar Propaganda-Umdrehungen zu viel. Inzwischen erscheint dadurch die russische Hilfsaktion in einem etwas fahlen Licht. Viele Italiener, die anfangs noch begeistert waren von den Russen, ziehen mittlerweile die Stirn kraus.
“Eine Mischung aus Wahrheit und Fabrikation”
- Der größte Teil der gelieferten Güter, berichtete die Zeitung La Stampa, passte nicht zu den tatsächlichen Anforderungen. So wurde anstelle der dringend benötigten Beatmungsgeräte unter anderem ein Feldlabor zur chemischen und biologischen Sterilisation geliefert – Equipment wie für einen Krieg mit ABC-Waffen.
- Dass aus den Flugzeugen 100 russische Soldaten ausstiegen, die als Experten für biologische und chemische Kriegsführung vorgestellt wurden, wurde in Italien unter der Hand ebenfalls nicht als ideal empfunden. Italienische Mediziner hätten sich lieber Kollegen gewünscht. Und in italienischen Militärkreisen verfolgte man das Vorrücken der Russen ins Katastrophengebiet schon aus bündnispolitischen Gründen mit Argwohn: Italien ist Teil der Nato.
- Inzwischen gibt es auch Zweifel an diversen Details der vom russischen Fernsehen gezeigten Dankbarkeitsgesten. Ein Mann etwa, der eine EU-Flagge mit einer russischen Flagge ersetzte, soll ein Geschäftsmann mit engen Beziehungen nach Russland sein. Zudem wurde offenbar die Hymne, die aus einem Straßenzug erklang, von einer in Italien lebenden und mit einem Italiener verheirateten Russin abgespielt.
“Was wir hier erleben, ist eine Mischung aus Wahrheit und Fabrikation”, sagt Ilya Shepelin, Experte für russische Propaganda in einem Gespräch mit der staatsunabhängigen Internetplattform Moscow Times. “Es sind, je nachdem, wie man es betrachtet, hybride Lügen – oder hybride Wahrheiten.”
Wird die Viruskrise zur Sicherheitskrise?
Was nun? Russlands Präsident Wladimir Putin scheint entschlossen zu sein, die westliche Welt weiterhin durch die neue Großzügigkeit der Großmacht Russland beeindrucken zu wollen. Eine Iljuschin, das größte russische Transportflugzeug, landete am Donnerstag in New York und brachte, diesmal exakt zu den Anforderungen passend, Schutzkleidung und Beatmungsgeräte. Die USA und Russland teilten sich die Kosten.
Zeitgleich allerdings kamen in Brüssel die Vertreter der Nato-Staaten zusammen und wunderten sich über Putins doppeltes Spiel: Während der russische Präsident den Nato-Staaten in der Viruskrise die Hand zu reichen scheint, testet er gleichzeitig in immer aggressiverer Weise die militärische Abwehrbereitschaft des Westens: Gleich mehrfach flogen Ende März russische Langstreckenbomber ohne Eigensignal über den Atlantik, ähnliche Vorfälle gab es über der Ostsee. In der Nordsee hielten sich mehrere Tage lang gleich sieben Schiffe der russischen Kriegsmarine gleichzeitig auf. Aus der Viruskrise dürfe keine Sicherheitskrise werden, warnte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Am Ende geht es Putin offenbar vor allem darum, insgesamt als mächtig wahrgenommen zu werden: als Führer einer intakten Weltmacht in einer Zeit, in der EU und USA auf chaotische Zustände zusteuern könnten.
Russische Oppositionelle glauben, der Präsident solle gerade jetzt lieber nicht versuchen, das große weltpolitische Rad zu drehen. Putin müsse sich dringend aufs Inland konzentrieren. Zwar gibt es in Russland bislang nur wenige offiziell registrierte Infizierte. Doch die Zahlen steigen – und insbesondere in Moskau greift zunehmend Beklommenheit um sich: Die innere Unsicherheit der Menschen wird dadurch verstärkt, dass viele ihrer Obrigkeit nicht trauen. Viele Russen fürchten einen raschen Kollaps ihres Gesundheitswesens, das eine optimale Versorgung nur den reichen Oligarchen garantiert.
Navalny nennt Putins Verhalten “monströs”
Hat Putin einen Fehler gemacht, indem er in dieser prekären Lage medizinisches Gerät aus Russland ins Ausland liefern lässt? Droht die seit Jahren immer hektischer betriebene Moskauer Propagandamaschinerie jetzt endgültig zu überhitzen?
Alexei Navalny, Russlands prominentester Oppositioneller, scheint für sich und seine Bürgerbewegung eine neue Chance zu sehen. Am Donnerstag attackierte er den Präsidenten mit einer Wucht, wie sie lange nicht mehr spürbar war. Während russische Ärzte und Schwestern nicht wüssten, wo sie medizinische Masken bekommen könnten, verkaufe Putin aus Propagandagründen das Material den Amerikanern. “Das ist monströs”, schrieb Navalny auf Twitter. “Putin ist verrückt.”
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Im Kreml jedoch heißt es, man habe einen klaren Plan. “Kritik dieser Art gibt es immer in solchen Fällen”, hieß es in einer kühlen Stellungnahme von Putins Sprecher Dimitri Peskov. Viel wichtiger war den Kommunikationsstrategen eine andere Botschaft Putins – eine, die nun in der Tat ans eigene Land gerichtet war. Putin erklärte am Donnerstag den kompletten April zu einem “Monat des bezahlten Urlaubs.”
Unbeirrt arbeitet Putin an all seinen Zielen gleichzeitig: den Westen verwirren, den Westen nerven – und das eigene Volk ruhig halten. Der Kampf der Systeme hört nicht auf in der Viruskrise. Er geht in eine neue Runde.