Frühere Ministerin rechnet ab

„Gabriel mangelt es an traditionellen Umgangsformen“

Renate Jürgens-Pieper (SPD), Kultusministerin von 1998 bis 2003.

Renate Jürgens-Pieper (SPD), Kultusministerin von 1998 bis 2003.

Hannover. Wenn Niedersachsens einstige Kultusministerin Renate Jürgens-Pieper an ihren damaligen Chef in der Staatskanzlei in Hannover denkt, den heutigen Außenminister Sigmar Gabriel, dann fühlt sie sich wie im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Dessen egozentrische Hauptfigur ist in einer Zeitschleife gefangen und durchläuft immer wieder denselben Tag.

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Fünf Ministerjahre in Hannover

Sozialdemokratin Jürgens-Pieper war von 1998 bis 2003 Kultusministerin in Hannover und erlebte nach dem Amtsantritt von Ministerpräsident Gabriel Ende 1999 mehrfach, wie er ohne Absprache in ihre Schulpolitik hineingrätschte. „Das Muster hieß: Ich kann es besser. Ich will im Rampenlicht stehen. Ich will die Schlagzeile des nächsten Tages bestimmen“, schreibt Jürgens-Pieper in ihrer kürzlich vorgelegten Autobiographie „Anmerkungen mit grüner Tinte“.

„Der Mann aus Goslar hat ein eigenes Kapitel gekriegt“, sagte am Mittwoch etwas süffisant der CDU-Politiker Bernd Busemann, einer der Nachfolger von Jürgens-Pieper im Kultusressort. Sie habe „nicht so ein übliches Politikerbuch geschrieben“, lobte Busemann am Mittwoch im Landtag in Hannover. Jürgens-Pieper hatte Busemann gebeten, ihr Buch vorzustellen. „Sie hat sich geöffnet und Einblicke zugelassen, die Politiker üblicherweise nicht zulassen.“

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Genosse Gabriel beeindruckte sie damals zwar durch „schnellen Intellekt“ und „ganz außerordentliche rhetorische Fähigkeiten“. Aber bis heute hält sie ihn für „unberechenbar“. Ihm mangele es „an wichtigen traditionellen Umgangsformen in erschreckender Weise“. Er zeige „Schroffheit und aggressives Verhalten“, er misstraue Fachpolitikern und sehe sie als „ewige Bedenkenträger, die es mit ‚frischen Ideen‘ zu überwinden gilt“. Beim Umsetzen der Ideen verliere er aber das Interesse und stelle dann bald die nächste Idee vor – ein ewiger Kreislauf wie beim „Murmeltier“-Film.

Zwiegespalten bei Schröder

Etwas zwiespältiger fällt das Urteil der 66-Jährigen über Gerhard Schröder aus. Er war Gabriels Vorvorgänger als Ministerpräsident und stieg 1998 zum Kanzler auf. Jürgens-Pieper ließ sich von Schröders Ausstrahlung, Vitalität und Ausdauer faszinieren - ein „Ausnahmepolitiker“, wie sie findet. Doch mit der Einführung von Hartz IV, den Steuergeschenken für die Großindustrie und der fast grenzenlosen Ausweitung des Niedriglohnsektors habe er die SPD-Grundwerte in Frage gestellt.

Ganz anders Jens Böhrnsen, „mein Lieblingsregierungschef“. Der Bremer Bürgermeister hatte Jürgens-Pieper 2007 als Bildungssenatorin angeheuert. Auch im Tagesgeschäft habe er sich fast immer an SPD-Grundwerten orientiert und nie andere Menschen gedemütigt, schreibt die Pensionärin, die 2012 im Streit um die Höhe des Bremer Bildungsetats zurücktrat.

Am Mittwoch sagte sie in Hannover, ihr Buch solle eine Mischung aus Biografie und Sachbuch sein. Es gebe zu wenig landesgeschichtliche Bücher aus der Politik. Über die Politikgeschichte der Neunzigerjahre in Hannover gibt es nun eines.  Sie habe versucht, „ohne Zorn“ zu schreiben, sagte Jürgens-Pieper gestern.

Von Eckhard Stengel und Karl Doeleke

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