Niedersachsen drückt sich vorm Aufräumen
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Große Pläne: Hildesheim will mit dem Kreis Peine im Herbst 2016 fusionieren.
© Quelle: dpa
Hannover. Niedersachsen steht für zwei Extreme in der Bundesrepublik. Die Region Hannover ist mit rund einer Million Einwohnern der größte deutsche Landkreis, ein mächtiger, wirtschaftlich starker Ballungsraum. Am Ende der Skala steht der Kreis Lüchow-Dannenberg, mit gerade mal knapp 50.000 Einwohnern der kleinste Landkreis der Republik. Wenn die Verwaltungschefs der beiden Kreise bei den monatlichen Sitzungen im Landtag auftreten, Regionspräsident Hauke Jagau (SPD) aus Hannover und Landrat Jürgen Schulz (parteilos) aus Lüchow, dann stehen sie sich auf Augenhöhe gegenüber. Aber kann man die beiden wirklich als gleichrangig bezeichnen? Die Region Hannover mit ihren 2400 Mitarbeitern kann erheblich mehr leisten als die kleine Kreisverwaltung in Lüchow-Dannenberg mit rund 290 Beschäftigten.
Das Problem wird sich in den nächsten Jahren verschärfen. In den ländlichen Regionen schrumpft die Einwohnerzahl, die Jungen ziehen fort, die Älteren bleiben zurück. Das betrifft Lüchow-Dannenberg ebenso wie das Weserbergland, den Harz oder Teile der Nordseeküste. In den Zentren aber, rund um Hannover, Hamburg und Bremen, wird sich die Einwohnerzahl vermutlich halten – oder sogar wachsen. So bleibt die Prognose düster: Das Gefälle zwischen boomenden und schwächelnden Gegenden in Niedersachsen wird wohl eher wachsen als schrumpfen.
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Nicht weniger als 45 Gebietseinheiten bilden das Land Niedersachsen: 37 Landkreise und acht kreisfreie Städte. Schon lange wird darüber diskutiert, ob diese Konstruktion aus den Siebzigerjahren noch zeitgemäß ist oder ob Minikreise wie Lüchow-Dannenberg nicht mit anderen Kreisen zu größeren Einheiten verschmelzen sollten. Größere Landkreise hätten genügend Einwohner und damit ausreichend Steuereinnahmen, mit denen eine leistungsfähige Verwaltung bezahlt werden kann.
Doch das Thema Gebietsreform enthält viel politischen Sprengstoff. Kritiker halten größere Gebietseinheiten für nicht bürgerfreundlich genug, vom Kampf der Beteiligten um Einfluss und Posten ganz zu schweigen. So tasten sich die Landesregierungen seit Jahren nur vorsichtig an das Thema heran. Zu Zeiten der CDU/FDP-Koalition wurde 2009 ein sogenannter Zukunftsvertrag geschlossen: Wenn Kommunen kräftig sparen oder sich zur Fusion entscheiden, um die Verwaltung effektiver zu machen, dann übernimmt das Land einen großen Teil ihrer Schulden. Viele Gemeinden, Städte und Samtgemeinden haben dieses Angebot genutzt, aber nur zwei Landkreise: Das starke Göttingen und das schwache Osterode wollen bis zur Kommunalwahl im Herbst 2016 zu einem Kreis verschmelzen. Das ist vermutlich die erste freiwillige Kreisfusion in der Republik – aber Schule macht das Beispiel bislang nicht. Dabei wird in unterschiedlichen Regionen diskutiert:
Lüchow-Dannenberg: Der Kreistag sperrt sich vehement gegen Fusionsgespräche mit den Nachbarn Uelzen und Lüneburg, obwohl selbst der Landrat in Lüchow sich zwischenzeitlich dazu bereit erklärt hatte. Die Sorge ist, dass in einem größeren Kreis die Wünsche der Lüchow-Dannenberger (etwa der Widerstand gegen die Gorlebener Atomanlagen) überstimmt werden könnten. Erst hatten sich die Kreise Uelzen und Lüneburg beim Land entschuldet: Sie vereinbarten ein hartes Sparprogramm, um im Gegenzug 75 Prozent ihrer alten Schulden vom Land erstattet zu bekommen. Der Kreis Lüchow-Dannenberg wollte das auch. Das Innenministerium in Hannover, erst CDU-gesteuert, seit 2013 in SPD-Regie, sperrte sich lange. Doch schließlich gab es auch grünes Licht für Lüchow-Dannenberg. Das Problem ist aber: Die teuren Strukturen bleiben – in dem kleinen Kreis gibt es 27 Gemeinden, die alle einen Haushalt benötigen. Und ob die versprochenen Sparauflagen tatsächlich eingehalten werden, wird von vielen Beobachtern stark bezweifelt.
Wolfenbüttel und Helmstedt: Helmstedt gilt als einer der ärmsten Kreise in Niedersachsen, die Schuldenlast ist gewaltig. Erst wurde über eine Fusion mit der Stadt Wolfsburg verhandelt. Das hätte aber bedeutet, dass Wolfsburg als östliche Großstadt mehr Fläche und mehr Einwohner erhält – was auf Widerspruch im benachbarten und einflussreichen Braunschweig stieß. So kam die Fusion wieder vom Tisch. Ob aber das ebenfalls schwache Wolfenbüttel dem schwachen Helmstedt helfen kann? Gespräche wurden geführt, doch man kam bisher nicht auf einen gemeinsamen Nenner. Jetzt blüht die Verbindung Helmstedt-Wolfsburg wieder auf – allerdings in veränderter Form. Die bisher selbstständige Stadt Wolfsburg könnte in einem solchen Gebilde einen Sonderstatus bekommen, was die Sorgen der Braunschweiger aber nicht lindert.
Peine und Hildesheim: Beide Kreistage verhandeln und geben als Ziel für die Fusion November 2016 an, aber auch hier gibt es skeptische Blicke aus Braunschweig. Wenn künftig nur noch ein Kreis Hildesheim-Peine bestünde, müssten wohl auch die Parteien ihre Organisationsstrukturen anpassen. Bisher gehört der SPD-Unterbezirk Hildesheim zum SPD-Bezirk Hannover, der SPD-Unterbezirk Peine aber zum SPD-Bezirk Braunschweig. Würde der vereinte Kreis bei Hannover landen, wäre das eine politische Schwächung der Braunschweiger. Das wollen einflussreiche Sozialdemokraten verhindern. Wie es heißt, haben die Unterhändler in beiden Kreisen Sorge, dass das Land Niedersachsen das geplante Bündnis torpedieren könnte – weil damit Fakten geschaffen würden, die alle anderen Entwicklungen in Ost-Niedersachsen vorbestimmen könnten.
Salzgitter und Goslar, Holzminden und Hameln-Pyrmont, Wilhelmshaven und Friesland: In allen Fällen wurde vor zwei Jahren noch heftig diskutiert, inzwischen aber ist wieder weitgehend Ruhe eingekehrt. Der Handlungsdruck ist gesunken, denn die Kreisfinanzen wurden durch Bundeshilfen und durch Steuereinnahmen wegen der guten Konjunktur aufgebessert. Außerdem bewirken die niedrigen Zinsen, dass die Schuldenlast derzeit nicht so schmerzt. Andererseits tickt aber die Zeitbombe – denn der Bevölkerungsschwund in vielen ländlichen Gegenden setzt sich unvermindert fort. Im Raum Braunschweig erhitzt noch eine andere Debatte die Gemüter: Der die Landkreise und kreisfreien Städte übergreifende Zweckverband könnte mit Kompetenzen gestärkt werden – zulasten der Kreise. Ob damit also ein "Dachverband" entsteht, der Aufgaben der schwachen Kreise übernimmt? Dann wäre ein Ausweg für die eigentlich nötige Kreisreform geebnet.
Cuxhaven: Die Stadt Cuxhaven im gleichnamigen Landkreis ist die mit Abstand am höchsten verschuldete Stadt im ganzen Land, Spötter sprechen vom Griechenland Niedersachsens. Ein Entschuldungsprogramm dürfte kaum greifen, weil es nicht realistisch erscheint, dass Cuxhaven in kurzer Zeit den Etat ausgleichen und ohne nennenswerte neue Kredite wirtschaften kann. Für dieses Sorgenkind hat die Landesregierung noch keine Lösung. Eine Fusion mit Nachbarkommunen ist wohl nicht die Antwort: Die Stadt ist in drei Himmelsrichtungen nur vom Meer umgeben.
Wie geht es nun weiter? Die oppositionelle CDU hat im Landtag eine Enquetekommission beantragt, um den Problemen – zumindest im Süden Niedersachsens – auf den Grund zu gehen. Wie es scheint, will sich die rot-grüne Mehrheit im Parlament darauf einlassen. Das ist wohl die sicherste Garantie dafür, dass erst einmal nichts weiter geschieht: Wenn man ein Thema auf die lange Bank schieben will, ist die Gründung einer Kommission dafür der richtige Weg.