Extremismusexperte zur „Reichsbürger“-Gruppe

„Realistisch, dass sie Terror und extrem brutale Angriffe verüben“

Terrorismusexperte Peter Neumann warnt davor zu glauben, dass die mutmaßliche Terrorzelle mit der Razzia gänzlich zerschlagen ist.

Terrorismusexperte Peter Neumann warnt davor zu glauben, dass die mutmaßliche Terrorzelle mit der Razzia gänzlich zerschlagen ist.

Peter R. Neumann ist Terrorismus- und Extremismusexperte und Professor am King‘s College London. Dort hat er das International Centre for the Study of Radicalisation (ICSR) gegründet.

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Hat Sie die großangelegte Razzia gegen „Reichsbürger“ überrascht, Herr Neumann?

Nein, es hat sich schon seit zwei Jahren immer deutlicher abgezeichnet, dass sich aus den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung eine extremistische Bewegung bildet. Jetzt sehen wir, dass sich diese Bewegung radikalisiert hat und dass es ihr gelungen ist, sich auszubreiten und neue Allianzen zu schließen.

Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, die von dieser Gruppe ausging?

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Die Gefahr war groß, dass diese „Reichsbürger“-Gruppe Anschläge gegen Amtsträger und staatliche Institutionen verübt. Es ist auch realistisch, dass sie Terror und extrem brutale Angriffe verüben, auch auf die kritische Infrastruktur, um eine Krise in Deutschland auszulösen. Es ging von ihnen aber nicht nur eine Gefahr durch terroristische Angriffe aus, sondern auch durch die Zersetzung des Staates. Denn Teile der Gruppe waren aktive und ehemalige Beschäftigte aus Polizei, Bundeswehr und Justiz. Dabei sollten sie die staatliche Ordnung eigentlich am stärksten verteidigen.

07.12.2022, Baden-Württemberg, Karlsruhe: Eine Person (2.v.r.) wird von Polizisten aus einem Hubschrauber gebracht. Die Bundesanwaltschaft hat am Mittwochmorgen mehrere Menschen aus der sogenannten "Reichsbürgerszene" im Zuge einer Razzia festnehmen lassen. Zahlreiche Beamte waren in mehreren Bundesländern im Einsatz, sagte eine Sprecherin der Karlsruher Behörde. Beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe sollen die Haftprüfungen stattfinden. Foto: Uli Deck/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Von früheren KSK-Soldaten bis zum Survival-Experten: Das sind die Köpfe der Reichsbürger-Gruppe

Sie planten einen Umsturz: Gegen eine mutmaßliche Terrorgruppe aus der Reichsbürgerszene sind am Mittwoch mehrere Tausend Polizisten vorgegangen. Was ist über die 25 Festgenommenen bisher bekannt? Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) gibt einen Überblick.

Waren denn auch die Umsturzpläne realistisch?

Nein, ich glaube nicht, dass es der Gruppe gelungen wäre, einen Staatsstreich durchzuführen. Dafür sind hundert oder zweihundert Personen einfach zu wenig, selbst wenn ehemalige Soldaten und Polizisten unter ihnen sind. Es ist eine Wahnvorstellung zu glauben, Millionen von Menschen würden sich einem solchen Umsturzversuch anschließen. Diese verrückten Pläne zeigen, in welcher Fantasiewelt diese Menschen leben.

Sind das überhaupt die „Reichsbürger“, wie es sie vor einigen Jahren schon gab?

Durch die Mobilisierung gegen die Corona-Maßnahmen ist eine extreme Bewegung entstanden. „Reichsbürger“ haben dadurch die Möglichkeit bekommen, sich mit anderen Gruppen zu vernetzen, so etwa „Querdenker“, AfD-Anhänger und andere Rechtsextreme, und aus diesen Gruppen auch Zulauf bekommen. Alle diese Gruppen haben die Corona-Maßnahmen als gemeinsamen Feind ausgemacht, in den vergangenen Jahren und Monaten Netzwerke gebildet und sich auch deutlich radikalisiert.

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Die Corona-Maßnahmen sind jetzt aber weitgehend aufgehoben. Entzieht die Regierung den „Reichsbürgern“ dadurch nicht ihre Grundlage?

Ganz bestimmt nicht. Wir haben bereits häufiger gesehen, dass große radikale Bewegungen sehr viele Menschen in Deutschland mobilisiert haben und ihnen dann ihr eigentliches Thema verloren geht. Die Bewegung verliert dann den Großteil ihrer Anhänger, aber ein harter Kern bleibt, radikalisiert sich und sucht sich neue Themen. Wir dürfen uns auch nicht vormachen, dass bloß, weil nicht mehr 100. 000 Menschen gegen Corona-Maßnahmen demonstrieren, sich die Bewegung der Corona-Gegner aufgelöst hätte. Das ist ein gefährlicher Trugschluss, denn die Bewegung existiert weiter. Das Brisante ist die Breite der Gruppe.

Verdächtige nach Reichsbürger-Razzia beim Bundesanwalt vorgeführt

Nach einer europaweiten Razzia unter Führung deutscher Behörden waren 25 Personen festgenommen worden.

Inwiefern?

Dass eine frühere AfD-Abgeordnete unter den festgenommenen Personen ist, deutet darauf hin, dass die „Reichsbürger“ auch in politische Parteien eindringen. Wir haben in der Vergangenheit bereits gesehen, dass auch aktive AfD-Abgeordnete und ihre Mitarbeiter mit der Ideologie der „Reichsbürger“ sympathisieren. Diese Leute haben Bundestagsausweise und Zugriff auf vertrauliche Unterlagen und sympathisieren mit einer Gruppe, die das Reichstagsgebäude stürmen wollte. Das ist eine große Gefahr.

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Auffällig ist, dass unter den Festgenommenen viele mit adligem Namen sind.

Sie erkennen den Staat nicht an und wollen zurück zu einem Deutschland zu Bismarcks Zeiten. Das ist für viele Personen, die aus der damaligen Aristokratie kommen, vielleicht eine attraktive Verlockung. Sie spekulieren darauf, eine Gelegenheit zu bekommen, ihre Macht zurückzuerhalten.

Heinrich XIII. P. R. bei Razzia gegen „Reichsbürger“ festgenommen

Der 71-Jährige steht im Verdacht, eine führende Rolle bei den Umsturzplänen der Gruppierung zu spielen.

Gehen Sie davon aus, dass die festgenommenen Personen nur die Spitze des Eisbergs sind?

Der innerste Zirkel der Bewegung mag vielleicht festgenommen worden sein. Aber die Gruppe der radikalen „Reichsbürger“ ist deutlich größer und es gibt noch viele, gegen die unsere Sicherheitsbehörden womöglich einfach nicht genug in der Hand hatten. Es ist aber ein großer Erfolg der Behörden, dass sie dieses Netzwerk ausgehoben haben, bevor es Anschläge gegen den Staat verüben konnte. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten mehr solcher Verhaftungen sehen.

Geht von den Netzwerken in der Reichsbürgerszene zurzeit die größte Bedrohung für die Sicherheit in Deutschland aus?

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Der Rechtsextremismus stellt meiner Einschätzung nach diegrößte terroristische Bedrohung in Deutschland dar und innerhalb dieser Szene sind die Reichsbürger aktuell die aggressivsten. Von ihnen geht die größte Gefahr terroristischerGewalt aus. Sie sind fähig und willig, schwere Terroranschläge gegen den Staat zu verüben. Ihre Entschlossenheit zu solchen Taten ist durch die Corona-Pandemie so stark gewachsen wie bei keiner anderen Gruppe. Sie formulieren am deutlichsten Widerstandsnarrative und behaupten, Recht und Legitimation zu besitzen, um gegen den Staat bewaffneten Widerstand zu leisten. Und leider besitzen viele von ihnen auch Waffen oder wurden an ihnen trainiert.

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