Riskiert Erdogan den Bruch mit den USA?
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/J6XQQRW5IULUTCSBSTQUFBBO7A.jpg)
Die Situation zwischen Ankara und Washington spitzt sich weiter zu. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan spricht von einer „Verschwörung“.
© Quelle: AP
Ankara. Jahrzehntelang war die Türkei ein unverzichtbarer Verbündeter der Vereinigten Staaten, der wichtigste Brückenkopf der Nato im Nahen Osten. Unter Präsident Recep Tayyip Erdogan beginnt sich das zu ändern.
In Syrien droht jetzt eine gefährliche Konfrontation: Erdogan plant eine Militäroperation gegen die Kurdenmilizen in Nordsyrien, mit deren Beteiligung die USA eine 30.000 Mann starke Grenzschutztruppe gegen den Islamischen Staat (IS) formieren wollen. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu warnt vor „irreparablen Schäden“ im Verhältnis der beiden Bündnispartner. Erdogan geht noch einen Schritt weiter und fordert militärischen Beistand der Nato gegen die von den USA trainierte Truppe.
Brisante Transaktionen
Vor allem seit dem Putschversuch vom Juli 2016 ist zwischen Ankara und Washington nichts mehr wie es war. Die Türkei fordert von den USA die Auslieferung des in Pennsylvania lebenden Exil-Predigers Fethullah Gülen – bisher vergeblich. Erdogan vermutet seinen Erzfeind Gülen nicht nur hinter den Putsch-Plänen. Er sieht ihn auch als Initiator des Prozess gegen den türkischen Staatsbanker Hakan Atilla, dem in den USA jetzt eine jahrzehntelange Haftstrafe droht, weil er die US-Sanktionen gegen den Iran unterlaufen haben soll.
Erdogan sieht in dem Verfahren eine „Verschwörung“ gegen die Türkei. Der Prozess gegen den Banker hat allerdings für Erdogan auch persönlich große Brisanz. Er soll als Regierungschef nicht nur von den illegalen Iran-Transaktionen gewusst, sondern sie ausdrücklich gebilligt haben, berichteten Zeugen. Damit kommt auch die eng mit den Iran-Geschäften verbundene Korruptionsaffäre wieder hoch, die Ende 2013 Erdogans Regierung erschütterte. Nachdem auch sein Sohn ins Fadenkreuz der Fahnder geraten war, ließ Erdogan die Untersuchungen niederschlagen. Hunderte ermittelnde Polizisten, Staatsanwälte und Richter wurden abgesetzt.
Visa-Sperren und Prügelorgien
Die Liste der Konflikte zwischen Ankara und Washington wird ständig länger: Prügelorgien der Erdogan-Leibwächter in Washington, Streit um türkische Pläne zur Beschaffung russischer Luftwahrraketen, Tauziehen um einen von der Türkei festgehaltenen amerikanischen Pastor, Schlagabtausch mit Reisewarnungen und Visa-Sperren, Erdogans Drohung, bilaterale Abkommen aufzukündigen und nun auch noch sein Vorwurf, die USA seien dabei, in Syrien eine „Terrorarmee“ aufzubauen.
Wie so oft bei Erdogan, ist nicht klar, was Rhetorik und was Politik ist. Die Attacken gegen Washington dürften auch innenpolitisch motiviert sein. Seit Jahren zeichnet Erdogan das Bild einer von Feinden und Verschwörern umgebenen Türkei. Jetzt instrumentalisiert er die tief sitzenden anti-amerikanische Ressentiments, die es traditionell in der Türkei nicht nur unter seiner konservativ-islamischen Kernklientel sondern auch in Kreisen linker Intellektueller gibt. So versucht Erdogan, seine Anhänger um sich zu scharen und vor allem im Lager der türkischen Nationalisten Stimmen zu gewinnen. Diese Strategie geht auf. Das zeigt der Schulterschluss des ultra-rechten Oppositionspolitikers Devlet Bahceli mit Erdogan.
Gefährliche Eigendynamik
Westliche Diplomaten in Ankara bezweifeln, dass Erdogan einen völligen Bruch mit Washington wagt. Das würde nicht nur die Beziehungen zur Nato belasten sondern auch eine neue Krise im Verhältnis zur EU auslösen, dem wichtigsten Wirtschaftspartner des Landes. Die Türkei käme damit in eine noch größere Abhängigkeit von Moskau. Das kann auch Erdogan nicht wollen. Der türkische Präsident scheint darauf zu spekulieren, dass die USA vor Sanktionen gegenüber Ankara zurückschrecken und letztlich einlenken, um die Türkei nicht noch mehr zu destabilisieren.
Aber vor allem die Entwicklung in Syrien beginnt eine gefährliche Eigendynamik zu entwickeln. Sollte Erdogan seine Armee tatsächlich gegen die Kurdenmilizen in Marsch setzen, riskiert er eine direkte militärische Konfrontation mit den USA. Kommt es dazu, wären die Folgen unabsehbar.
Von Gerd Höhler