Neues LGBTIQ-Gesetz, neue Angst: Russland verschärft die Gangart gegen Minderheiten
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Ein LGBT-Aktivist protestiert 2015 mit einer Regenbogenfahne in St. Petersburg. Inzwischen gibt es fast gar keine Kundgebungen mehr.
© Quelle: picture alliance / AP Photo | Dmitry Lovetsky
Russland verschärft das Gesetz gegen „LGBTIQ-Propaganda“ und stellt in Zukunft alle nicht-negativen Äußerungen über queere Menschen unter Strafe. In der ersten Lesung hat das russische Unterhaus das Gesetz bereits durchgewunken. Die zweite und dritte Lesung der Duma gelten ebenso wie die Unterschrift von Präsident Wladimir Putin noch in diesem Monat als reine Formsache. LGBTIQ sei ein „Werkzeug des hybriden Krieges“, sagt der Duma-Abgeordneten Alexander Hinschtejn, der das Gesetz mitverfasst hat. „In diesem hybriden Krieg müssen wir unsere Werte verteidigen.“
Das Gesetz zum Verbot von „LGBTIQ-Propaganda“ gegenüber Minderjährigen war 2013 in Kraft getreten und sieht hohe Geldstrafen vor, wenn man sich im Beisein von Kindern und Jugendlichen positiv über Homosexuelle äußert. Jetzt soll das Gesetz für alle Bereiche des Lebens gelten, unabhängig des Alters. „Der Interpretationsspielraum der Behörden ist hierbei sehr groß“, sagt der Osteuropa- und Russlandexperte Alexander Dubowy im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Rein rechtlich ist das eine große Einschränkung, im Alltag existiert die Diskriminierung aber längst.“ Das Gesetz sei gar nicht vorstellbar gewesen, wenn die Grundstimmung in der Bevölkerung eine andere wäre. Es stellt nicht-negative Äußerungen über LGBTIQ jetzt gleich mit Propaganda für Selbstmord, Drogen, Extremismus und kriminelles Verhalten.
Laut Experte Dubowy soll das Gesetz die homophobe Grundstimmung in der Bevölkerung widerspiegeln und verstärken. Die Strategie hinter diesem Gesetz sei eine reine Propagandamaßnahme. „Die Bevölkerung soll von den wahren Problemen abgelenkt und die queere Community zum angeblichen Feind der russischen Gesellschaft abgestempelt werden.“ Dadurch wolle Putin das Gemeinschaftsgefühl stärken und sein Land vom Westen und angeblicher westlicher Lebensführung abgrenzen.
Experten beobachten in Russland schon länger eine Verschärfung des autoritären Kurses. „Seit der Annexion der Krim 2014 hat Putin das Vorgehen gegen jedwede Formen politischer Opposition sowie Minderheiten nochmals verschärft“, sagt Dubowy dem RND.
Queere Community aus Polen und der Ukraine marschiert gemeinsam für Frieden
Sowohl in Polen als auch in der Ukraine ist eine konservative Haltung gegenüber der sexuellen Orientierung weit verbreitet.
© Quelle: Reuters
In der Vergangenheit führte das LGBTIQ-Gesetz zwar nur zu wenigen Prozessen und Verurteilungen. Doch die Paragraphen wurden herangezogen, um jegliche öffentliche Kundgebungen im Voraus zu untersagen. Viele queere Personen wurden festgenommen, sagt die Moskauer Aktivistin Valentina Likhoshva dem RND. Politik und Staatsmedien haben das Gesetz zur Stimmungsmache gegen die LGBTIQ-Community genutzt. Nach der Verabschiedung des ersten Gesetzes 2013 beobachteten Aktivisten einen starken Anstieg schwerer Gewalttaten gegenüber Homo- und Transsexuellen in Russland. Der russische Geheimdienst FSB verfolgt seit 2019 systematisch LGBTIQ-Aktivitäten im Internet.
„Putin benutzt uns als Feindbild“, sagt Likhoshva. Auch für queere Frauen in Russland werde das Leben durch das Gesetz schwieriger, fürchtet sie. Viele haben Kinder und haben Angst, dass man ihnen nun ihr Kind wegnimmt. „Es würde mich nicht überraschen, wenn es morgen Pläne für Konzentrationslagern für queere Menschen geben würde“, schildert sie die Stimmung.
Russlands größte LGBTIQ-Stiftung Sphere spricht vom „gefährlichsten Gesetzentwurf“ der Duma. „Er führt zu einer Massenblockade aller Webseiten im Internet, die nicht schlecht über LGBTIQ berichten“, sagt Alexander Belik. Die Verschärfung betrifft darüber hinaus auch das Verbot aller „nicht-traditioneller Lebensführung“ in Literatur und Medien. „Filme, die nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen beinhalten, werden keine Zulassung bekommen“, warnte die Duma. Die Moskauer Aktivistin Valentina will trotz der Gefahren weiter kämpfen. „Wir werden nicht schweigen und aufgeben.“