Schäuble-Vorstoß: Warum wir kein Notparlament brauchen
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Eine Szene aus der letzten Bundestagssitzung: Linken-Chefin Katja Kipping mit Mundschutz.
© Quelle: imago images/Christian Thiel
Man kann das schon verstehen: Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble – 77 Jahre alt und seit 1972 (!) Mitglied des Parlaments – fürchtet, dass am Ende seiner Karriere das bisher Undenkbare geschieht. Er fürchtet, dass der Bundestag nicht unter dem Druck übermächtiger Verfassungsfeinde, sondern unter dem Druck eines unsichtbaren Virus nicht mehr handlungsfähig sein und die parlamentarische Demokratie so außer Gefecht gesetzt werden könnte.
Darum bringt der CDU-Politiker erneut eine Änderung der Verfassung ins Spiel. Er will analog zum Verteidigungsfall ein Notparlament schaffen oder Sitzungen wo nötig online abhalten. So nachvollziehbar Schäubles Sorge ist, so falsch ist sein Vorstoß.
Zunächst einmal hat der Bundestag in seiner bisher letzten Sitzung demonstriert, dass er selbst unter diesen besonderen Bedingungen handlungsfähig ist. Dabei hat er zugleich das Quorum für seine Beschlussfähigkeit gesenkt und damit faktisch bereits eine Art Notstandsklausel geschaffen. Um Gesetze zu verabschieden, muss bis auf Weiteres nur noch ein Viertel der 709 Abgeordneten zusammentreten. Bislang lag das Quorum bei der Hälfte.
Notstandsanmutung eindämmen
Hinzu kommt, dass zwei Drittel aller gewählten Abgeordneten zu einer solchen Grundgesetzänderung Ja sagen müssten, was logisch voraussetzt, dass sie dann auch alle erscheinen müssten. Doch genau das ist derzeit ja kaum möglich.
Das stärkste Argument gegen Schäubles Idee ist aber, dass das Grundgesetz im Zuge der Krise längst vielfach außer Kraft gesetzt wurde. Dies ist fatal genug und könnte noch gefährlich werden. Man sollte diese Notstandsanmutung nicht weiter treiben als unbedingt nötig und die Herzkammer der zweiten deutschen Demokratie, den Bundestag, darum außen vor lassen. Vielleicht hat ja auch Wolfgang Schäuble hier nach bald 50-jähriger Parlamentszugehörigkeit ein Einsehen.