„Seehofer soll Ergebnisse liefern“
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„Die SPD muss es schaffen, dass wir in Deutschland nicht ausschließlich über Themen debattieren, die vielleicht die CSU, aber nicht die Mehrheit der Menschen besonders wichtig finden“: SPD-Chefin Andrea Nahles.
© Quelle: Thomas Imo/photothek.ne
Frau Nahles, seit dieser Woche sind Sie 100 Tage Parteichefin, die SPD dümpelt unterhalb von 20 Prozent in den Umfragen. Hätten Sie sich mehr gewünscht?
Natürlich wünsche ich mir bessere Werte in den Umfragen. Aber wir sind als Partei geschlossener und selbstbewusster als vor einigen Monaten. Ich bin zuversichtlich, dass wir so mit unseren Inhalten auch besser überzeugen können.
Fürchten Sie, dass die SPD wie in den vergangenen Jahren in der Koalition gut arbeitet, aber nicht profitiert?
Nein. Die Union fällt nur mit internem Streit auf. Die SPD muss es schaffen, dass wir in Deutschland nicht ausschließlich über Themen debattieren, die vielleicht die CSU, aber nicht die Mehrheit der Menschen besonders wichtig finden. Wir müssen darüber reden, was den Leuten wirklich unter den Nägeln brennt. Damit meine ich zum Beispiel das Thema Mieten.
Die Mietpreisbremse funktioniert nicht. Was wollen Sie tun?
Wir wollen Vermieter bestrafen, wenn sie über Modernisierungen die Mieter aus ihren Wohnungen treiben wollen. Es wird eine Obergrenze dafür geben, was an Kosten auf die Mieter umgelegt wird. Das hat es noch nicht gegeben. Jeder Meter ist mit der Union umstritten und wird sicher noch für Ärger sorgen. Aber wir können auch steuerpolitische Anreize für Wohnungsbau setzen.
Angleichung von Lebensverhältnissen stärken
Was meinen Sie genau?
Wohnraum sollte kein Spekulationsobjekt sein. Wir müssen daher möglichst unwirtschaftlich machen, dass Leute mit baureifen Grundstücken lieber spekulieren als wirklich darauf zu bauen. Das geht, indem wir dort bei der Grundsteuer stärker besteuern. Damit lohnt es sich weniger, einfach die Wertsteigerung abzuwarten, während rundherum Wohnungsnot herrscht. Und ich will die Mieter besser davor schützen, dass ihre Wohnung in Eigentum umgewandelt wird und der neue Eigentümer die Mieter vor die Tür setzt. Da gibt es bereits Umwandlungsverbote, aber immer noch zu viele Ausnahmen zulasten der Mieter. Weiterhin müssen wir klarer regeln, wann Eigentümer Eigenbedarf anmelden dürfen. Das wird viel zu oft missbraucht und der Eigenbedarf nur vorgeschoben. Hier brauchen wir klare Regeln und Kontrollen.
Neue Statistiken zeigen, dass die Einkommen in West und Ost auch fast 30 Jahre nach der Wende auseinandergehen. Was wollen Sie tun?
Die Gründe für die Einkommensunterschiede sind vielfältig. Über die Angleichung der Lebensverhältnisse, die wir im Koalitionsvertrag verabredet haben, wollen wir unter anderem die Wirtschaftskraft in schwächeren Regionen stärken. Gleichzeitig wollen wir die Tarifbindung verbreitern. Im Osten ist sie deutlich niedriger als im Westen. Beides bringt für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Ergebnis höhere Löhne.
Hat die Arbeit mit der Union nach der Regierungskrise noch Zukunft?
Die Zusammenarbeit war zuletzt ungewöhnlich schlecht. Wir waren in den vergangenen Wochen Zeugen einer zerrütteten Ehe zwischen CDU und CSU. Das hat viele genervt, auch uns. Wir wollen nämlich in der Regierung einen guten Job machen. Und das tun wir auch: Arbeitsminister Hubertus Heil hat zum Beispiel ein Rentenkonzept vorgelegt, mit dem wir das Kernversprechen des Sozialstaates erneuern. Die Rente wird wieder verlässlich für Jung und Alt.
Was macht eigentlich Frau Karliczek?
Können Sie sich vorstellen, dass die Koalition an einem weiteren Streit um die Flüchtlingspolitik zerbricht?
Nach den Erfahrungen der letzten Monate kann ich das nicht ausschließen. Das war ernst. Der Streit ging auch nicht um die Sache, das war ein unionsinterner Machtkampf.
Hätten Sie sich eine andere Reaktion von Horst Seehofer nach seinem Wortwitz über 69 Abschiebungen gewünscht?
Der Innenminister soll Ergebnisse liefern statt Pseudo-Debatten über von ihm so genannte Mickey-Mouse-Probleme zu führen. Es gibt genügend zu tun: Einwanderungsgesetz, Integration, Wohnungsbau – alles wichtige Aufgaben für ihn. Statt in Bierzeltreden über angebliche Medienkampagnen gegen ihn zu lamentieren, sollte er sich an seinen Schreibtisch setzen und die zahlreichen Probleme in seinem Zuständigkeitsbereich lösen.
Kann die SPD mit dieser CSU eine Koalition bilden?
Jedenfalls ist es so, dass die CSU nach der Bayernwahl mindestens einen Koalitionspartner brauchen wird. Dass haben die sich redlich verdient mit ihrer schäbigen, auf die schwächsten der Gesellschaft abzielenden Politik. Wir haben zig Konstellationen in den Ländern – es ist guter Brauch, von Berlin aus keine Ratschläge für Koalitionen zu geben.
Aber gerade mit Markus Söder hätten Sie ein Glaubwürdigkeitsproblem?
Dieses Problem haben alle, die mit ihm koalieren wollen. Er diskreditiert sich, wo er kann.
Wünschen Sie sich allgemein mehr Konzentration auf das Wesentliche bei der Union?
Ich frage ganz simpel: Was macht eigentlich Frau Karliczek? Nehmen wir das Thema Digitalisierung der Schulen: Da hinken wir hinterher. Aber die Lehrer wissen gar nicht, wie sie an die vorhandenen Mittel herankommen sollen. Wir hätten genügend Geld, um jedes Klassenzimmer in Deutschland zu digitalisieren. Aber die Bildungsministerin hat kein Konzept und keine Idee. Frau Karliczek hat kein Profil entwickelt. Mir reicht das jetzt. Der Welpenschutz ist vorbei. Sonst hätten wir die Finanzmittel auch anders verteilen können.
Keine Verwechslungsgefahr zwischen SPD und Grünen
Trotz der Kritik bleibt die Frage, wie die SPD wieder gegenüber der Union gewinnen will. Haben Sie eine Lösung?
Die SPD war immer stark, wenn sie es geschafft hat, neben den Arbeitern auch für Intellektuelle und Kulturschaffende interessant zu sein. Da müssen wir wieder hin, das sehe ich als eine meiner wichtigen Aufgaben. Da haben wir es zuletzt an Konsequenz vermissen lassen.
Haben Sie den Eindruck, dass die SPD die Grünen imitiert?
Ich finde gar nicht, dass die SPD die Grünen imitiert und sehe darin auch keine Gefahr. Ich meinte mit der Aussage speziell die Flüchtlingspolitik und die Frage sicherer Herkunftsstaaten. Seien Sie sicher: Solange ich Vorsitzende bin, wird keine Verwechselungsgefahr zwischen der SPD und den Grünen bestehen.
Wie antwortet die SPD auf den Wunsch vieler Menschen nach neuen Parteien?
Wir erneuern uns, öffnen Türen und Fenster. Aber es geht uns auch um einen Dialog. Wir haben bereits 4000 Rückmeldungen von Parteimitgliedern erhalten auf unseren Aufruf, ihre Vorstellungen an uns zu schicken. Die Leute wollen mitmachen, und da kommen richtig gute Vorschläge. Das wird eine sehr interessante Debatte.
Nicht noch einmal unvorbereitet in die Wahlen stolpern
Würde es Ihnen Sorgen machen, wenn Emmanuel Macrons Bewegung „En Marche“ auch in Deutschland antritt?
Eine weitere Zersplitterung der Parteienlandschaft würde mir Sorgen machen. Es sieht aber nicht danach aus. Die SPD ist die Europapartei in Deutschland, das gilt von den Ortsvereinen bis zur Parteispitze.
Wollen Sie noch immer den Kanzlerkandidaten früher bestimmen als bei den letzten Wahlen?
Ja. Ich möchte den nächsten Kanzlerkandidaten frühzeitig festgelegt haben. Wir dürfen nicht noch einmal so unvorbereitet in Wahlen stolpern wie in den vergangenen Jahren. Die Auswahl eines Kandidaten wird keine einsame Entscheidung sein, sondern auf mehreren Schultern verteilt werden.
Halten Sie eine Urwahl für denkbar?
Ich habe meiner Partei versprochen, dass wir darüber diskutieren. Es gibt viele Befürworter und Skeptiker. Eine Urwahl beim Kanzlerkandidaten kann ich mir eher vorstellen als beim Parteivorsitzenden. Der Parteivorsitzende wird vom Parteitag bestimmt. Daran werde ich nichts ändern.
Von Gordon Repinski / RND