„Setzt keine neuen Impulse“: Wie erfolgreich sind die radikalen Klimademos wirklich?
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/VXNDT74T4ZFERCJEX7FRH2OLTM.png)
Aus der Sicht von Protestforscher Sebastian Haunss haben die Aktionen der Gruppe „Aufstand der letzten Generation“ nicht das Potenzial dazu, vielzählige Unterstützer zu finden.
© Quelle: Christian Charisius/dpa und Universität Bremen
Sebastian Haunss (55) ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bremen und Vorstandsmitglied des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung in Berlin. In seinen wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt sich Haunss mit unterschiedlichen Protestbewegungen, unter anderem mit denen zum Klimaschutz.
Herr Haunss, die Gruppe „Aufstand der letzten Generation“ fordert ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung. Zuletzt haben die Aktivisten immer wieder Straßen blockiert, unter anderem Autobahnauffahrten in Berlin, Hamburg und München sowie die Hamburger Köhlbrandbrücke. Hat die Gruppe damit ihr Ziel erreicht?
Erst einmal geht es denen, die sich da auf die Straße setzen, um Aufmerksamkeit. Und das gelingt ihnen sehr gut. Sie setzten ihre körperliche Unversehrtheit aufs Spiel, sie meinen es also ernst. Die Frage ist: Gelingt es ihnen auch, Aufmerksamkeit für ihr Anliegen zu bekommen und nicht nur für ihre Handlung? Und da wäre ich sehr skeptisch. Man denkt zunächst, die Aktion richte sich gegen Verkehr. So hatte ich das auch anfangs erst einmal wahrgenommen. Aber darum geht es ihnen ja gar nicht, sondern um Lebensmittel.
Wie sähe denn ein Protest aus, bei dem das Ziel sofort erkennbar ist?
Bei anderen Blockadeaktionen, die man aus der Geschichte der Proteste kennt, kann man die Aktion kaum missinterpretieren. Zum Beispiel die Blockaden der Castor-Transporte. Die Aktion war ganz nah dran an dem, worum es eigentlich ging. Bei den Blockaden der Gruppe „Aufstand der letzten Generation“ braucht man sehr viel Erklärung, um zu verstehen, wozu sie dienen sollen. Eine Aktion bei einer großen Supermarktauslieferung wäre beispielsweise viel unmittelbarer, als wenn man sich auf die Köhlbrandbrücke setzt.
Wie Sie eingangs angemerkt haben, gehören der „Letzten Generation“ bisher nur wenige Aktivisten an. Jeder Protest fängt einmal klein an. Hat diese Aktion das Potenzial dazu, größer zu werden?
Die Gruppe „Aufstand der letzten Generation“ zielt ja nicht auf massenhafte Beteiligung. Sie beschränkt die Blockadeaktion auf einen sehr engen, untereinander abgestimmten Kreis. Deshalb würde ich nicht damit rechnen, dass die Aktion in dem Umfang größer wird, wie es etwa bei Fridays for Future der Fall war. Deren Ziel war ja von Anfang an, viele Menschen auf die Straße zu bringen.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/PLH3N57EYRGPLDRPYKGSIOELYI.jpeg)
Klimaaktivisten der Aktion „Aufstand der letzten Generation“ haben zuletzt immer wieder Straßen blockiert – wie hier eine Kreuzung am Zollamt Waltershof zur Köhlbrandbrücke und zur Autobahn A7 in Hamburg.
© Quelle: Christian Charisius/dpa
Aber würde die Gruppe nicht mehr erreichen, wenn sie größer wäre?
Ja, es ist immer besser, wenn es viele Menschen sind. Und das ist auch notwendig. Denn Bewegungen agieren immer aus der strukturellen Position der Schwächeren. Sie können die Dinge, die sie ändern wollen, meistens nicht selbst ändern. Stattdessen brauchen sie andere Akteure, die die Änderungen für sie umsetzen. In der Regel richten sich Forderungen an die Politik und dafür wird Druck aufgebaut. Dieser Druck funktioniert normalerweise über Mehrheiten.
Wenn Mehrheiten nicht das Druckmittel sind, was ist dann die Strategie der Aktivisten?
Die Gruppe „Aufstand der letzten Generation“ hat eine andere Argumentation. Die Aktivisten wollen Druck über die Aktion ausüben, indem sie möglichst störend in den Alltag eingreifen. Zuvor, beim Hungerstreik in Berlin, hatten sie vor allem auf moralischen Druck gesetzt. So etwas kann theoretisch auch mal funktionieren, ist aber eher unwahrscheinlich. Für Politiker und Politikerinnen ist es etwas ganz anderes, dem Druck von wenigen nachzugeben, als dem Druck einer Mehrheit nachzugeben. Denn bei einer Bevölkerungsmehrheit geht es am Ende um die eigenen Wähler.
Gibt es denn Beispiele, in denen eine Minderheit es geschafft hat, mit ihren Protesten etwas zu erreichen?
Konkrete Beispiele für eine so kleine Gruppe, die bei einem so großen Thema erfolgreich gewesen wäre, fallen mir nicht ein. Aber es gibt durchaus Beispiele für Proteste, bei denen Aktionen weniger oder sogar Einzelner eine große Bedeutung für den weiteren Verlauf von Bewegungen hatten. Zum Beispiel im arabischen Frühling, als sich ein Gemüsehändler selbst verbrannt hat. Der hat sein Leben geopfert und damit einen unheimlichen Einfluss auf die weiteren Proteste gehabt. Aber es waren die Massenproteste und nicht seine Aktion, die dazu geführt hat, dass die tunesische Regierung zurückgetreten ist.
Kann also auch die Gruppe „Aufstand der letzten Generation“ etwas Größeres lostreten?
Das denke ich eher nicht. Wir haben es hier mit einer anderen Situation als beim arabischen Frühling zu tun. Hier gibt es bereits eine große Mehrheit für Maßnahmen gegen den Klimawandel und eine gesellschaftliche Debatte. Und es gibt bereits politische Aktivitäten – auch wenn die Aktivisten und Aktivistinnen der Klimabewegung zu Recht sagen, dass diese noch völlig unzureichend sind. Aber es ist nicht eine Situation, in der alles völlig festgefahren ist. Deshalb glaube ich nicht, dass die Intervention der Gruppe „Aufstand der letzten Generation“ neue Impulse setzen kann.
Müsste solch eine Prognose die Gruppe nicht zum Aufhören bewegen?
Die Gruppe folgt ja dem Prinzip: Jede Publicity ist gut, auch schlechte. Während über die Fridays-for-Future-Proteste meist positiv berichtet wurde und wird, überwiegt hier die negative Berichterstattung. Und bei den politischen Akteuren überwiegt die negative Bewertung der Aktion. Die Frage ist, inwieweit die Aktivisten das berücksichtigen. Sehen sie irgendwann, dass sie da vielleicht in eine Sackgasse gehen? Oder sind ihnen ihre Ziele so wichtig, dass ihnen das ganz egal ist.