Sicherheitsbedenken gegen die Hoffnung der EU-Atomfreunde
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Dampf steigt aus den Kühltürmen des Atomkraftwerks Grohnde in Niedersachsen auf. Das Atomkraftwerk Grohnde ist vor kurzem abgeschaltet worden. In anderen Staaten Europas soll diese Technik jedoch weiter eingesetzt werden.
© Quelle: Julian Stratenschulte/dpa
Berlin. Frankreich hat ein Problem: Einerseits kommen rund 70 Prozent des im Lande erzeugten Stroms aus Atomkraftwerken, an denen der Staat zudem in großem Maße beteiligt ist. Andererseits ist der französische Kernkraftwerksbestand überaltert und reparaturbedürftig, die staatlich dominierte Elektrizitätsgesellschaft Électricité de France (EDF) jedoch hochverschuldet und deshalb inzwischen etwa ein Drittel der AKW-Leistung nicht am Netz, weil in Sicherheitssystemen kritische Schäden festgestellt worden waren.
Entsprechend groß sind die Hoffnungen, die der französische Staat sich gegenüber zwei Neuerungen macht: die Klimafördergelder der Europäischen Union und eine neue Generation von Kernreaktoren. Denn es waren diese neuen Modelle namens „Europäischer Druckwasserreaktor“ (EPR), die seit einigen Jahren Interesse bei energiehungrigen Nationen in aller Welt wecken – nicht zuletzt, weil sie als besonders sicher galten. Verweise auf die Super-GAUs von Tschernobyl und Fukushima würden dann nicht mehr gelten, weil der neue EPR die Atomkraft mit einem ganz anderen „Design“ erzeuge, also neuer Bauweise.
Wenn Frankreich nun noch erreicht, dass privatwirtschaftliche Investitionen in neue Kernkraftwerke von der EU als klimafreundlich eingestuft und gezielt gefördert werden, könnte es seinen teils maroden AKW-Park modernisieren und seine – den Franzosen sehr wichtige – Eigenständigkeit bei der Energieversorgung wahren.
Neuartiger Reaktor macht bereits Probleme
Doch die Sache hat einen Haken: Inzwischen sind die ersten der neuartigen Reaktoren gebaut oder sogar in Betrieb – und schon gibt es auch mit ihnen Sicherheitsprobleme. So musste der erste je errichtete EPR-Reaktor im chinesischen Taishan kurz nach seinem Start im Sommer nach Austritten von Gas und kleinen Mengen Radioaktivität abgeschaltet werden.
Internationale Fachleute, aber auch das französische Unternehmen Framatome, eine EDF-Tochter, reagierten besorgt. Framatome hatte das Pilotprojekt gemeinsam mit der chinesischen Firma CGN gebaut. „Die Situation stellt eine unmittelbare radiologische Bedrohung für den Standort und die Öffentlichkeit dar“, schrieben die Franzosen im Sommer an US-Behörden, um die Erlaubnis zu erhalten, den Chinesen trotz Handelsauflagen helfen zu dürfen.
Waren die Betreiber zunächst von einem Betriebsfehler ausgegangen, verdunkelt sich inzwischen das Bild für den Hoffnungsträger EPR. Ende November veröffentlichte die französische Vereinigung Criirad die Ursache: An den Brennelementen festgestellte Beschädigungen seien auf „abnormale Vibrationen“ zurückzuführen, die „mit einem Konstruktionsfehler des EPR-Druckbehälters in Verbindung stehen“, schreiben die Atomexperten unter Berufung auf interne Informationen. Die EDF konnte das nicht ausschließen und verwies auf laufende Prüfungen.
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Auch andere Länder in Europa kämpfen mit den Reaktoren
Die französische Atomaufsicht reagiert bereits alarmiert: Wenn der Gasaustritt aus einem Konstruktionsfehler des Reaktordruckbehälters rührt, dürfe der im französischen Flamanville in dieser Form nicht wie geplant 2023 ans Netz gehen.
Das sind auch schlechte Nachrichten für andere EU-Staaten, die – ganz oder zumindest an einigen Standorten – ebenfalls auf den neuen EPR-Reaktor setzen wollen, darunter etwa Polen, das sich dringend vom Kohlestrom lösen muss, und Großbritannien, wo ein EPR-Reaktor im Südwesten Englands entsteht.
Das Projekt Hinkley Point C mit einer Leistung von 3200 Megawatt war 2016 beschlossen und damals mit Kosten von 21,5 Milliarden Euro beziffert worden. Inzwischen geht man von 27 Milliarden Euro und einer Fertigstellung nicht vor 2026 aus.
Grünen-Politiker: „Atomkraft ist weder zuverlässig noch nachhaltig“
Auch in Flamanville hatte sich die Inbetriebnahme des EPR-Pionierwerks schon ohne die neuen Hiobsbotschaften seit Jahren verzögert und verteuert. Die Kosten versechsfachten sich von 3,1 auf 19 Milliarden Euro, der ursprünglich für 2013 vorgesehene Start ist nun für 2023 geplant. Die neuen Prüfungen könnten zusätzliche Verzögerungen bringen.
Die Grünen fühlen sich in ihrer Ablehnung neuer Atomkraftwerke bestätigt und fordern Aufklärung. „Die Berichte über Konstruktionsfehler in den neuesten, angeblich sicheren EPR-Reaktoren müssen die europäischen Atomaufsichten alarmieren“, sagte ihr umweltpolitischer Sprecher, Stefan Wenzel, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
„Die Fehler zeigen, wie unbeherrschbar diese Technologie ist“, so der frühere Umweltminister Niedersachsens. „Nicht ohne Grund gibt es keine Versicherung auf der Welt, die diese angeblich besten Reaktoren versichern würde. Atomkraft ist weder zuverlässig noch nachhaltig.“
Das müsse auch Konsequenzen für die laufenden Taxonomieverhandlungen der EU haben, forderte der Grüne: „Mangelhafte Atomreaktoren durch die Taxonomie mit einem grünen Siegel auch noch zu fördern, ist fahrlässig und unverantwortbar.“ Die Bundesregierung müsse ihre Ablehnung der Kernkraft deutlich machen, forderte er. „Wir müssen außerdem darauf drängen, dass Atomkraftwerke wie jede andere Industrieanlage auch für die von ihr verursachten Kosten selbst aufkommt und keine Sonderbehandlung genießt.“