Kommentar

Sozialdemokratische Außenpolitik: Schluss mit der Willy-Brandt-Folklore

Lars Klingbeil, SPD-Bundesvorsitzender, spricht beim SPD-Debattenkonvent, dem kleinen Parteitag seiner Partei, zu den Delegierten.

Lars Klingbeil, SPD-Bundesvorsitzender, spricht beim SPD-Debattenkonvent, dem kleinen Parteitag seiner Partei, zu den Delegierten.

Berlin. Es soll ja Zeiten gegeben haben, in denen Außenpolitik in Deutschland nicht besonders interessierte. Das war ein Nischenthema mit einer überschaubaren Anzahl von Experten, selbst im Deutschen Bundestag. Der SPD-Debattenkonvent am Wochenende bewies einmal mehr, dass diese Zeiten der Vergangenheit angehören. Auch in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands haben sie die Welt nun fest im Visier.

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Dabei fiel wieder auf, dass der Parteivorsitzende Lars Klingbeil einen unverstellten Blick auf die Wirklichkeit hat – und dass er Willy Brandt zwar schätzt, aber nicht bereit ist, bei der Willy-Brandt-Folklore der SPD weiter mitzumachen. „Wir haben unsere Beziehungen zu Russland viel zu stark auf Wandel durch Handel reduziert“, sagte Klingbeil. Und: „Wir haben viele Fehlentwicklungen in Russland nicht gesehen oder nicht sehen wollen.“ Damit müsse Schluss sein.

So eine schnörkellose Selbstkritik hört man in allen Parteien selten – obwohl sie häufiger guttun würde. Bei Klingbeil hat sie gewiss auch mit dem Alter zu tun. Der Niedersachse wurde 1978 geboren. Da war Brandt schon seit vier Jahren nicht mehr Kanzler.

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Wiedersprüche in der SPD

Freilich fielen bei dem Konvent ebenso gewisse Widersprüche auf. Zunächst ist da Klingbeils Widerspruch zu Teilen seiner Partei. Denn es war ja kein Zufall, dass es bei der Veranstaltung zwei Foren zur Außen- und Sicherheitspolitik gab – ein analoges mit Klingbeil und ein digitales mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich. Hätten beide auf derselben Bühne gesessen, wäre der Konflikt offen zutage getreten.

Das zeigte sich spätestens, als das Forum mit Mützenich beendet war. Dort rieb er sich aufs Neue an der Ukraine, warb für Verhandlungen mit Russland und warf Grünen und Liberalen eine Diskriminierung seiner Position vor. Die Aufrichtigkeit des Kölners ist aller Ehren wert. Nur mischt sie sich leider längst mit einem tragischen Realitätsverlust.

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Überdies ist Klingbeils Analyse das eine. Die Außenpolitik des sozialdemokratischen Kanzlers Olaf Scholz ist etwas ganz anderes. Die Politikwissenschaftlerin Jana Puglierin legte da am Samstag recht ungeniert ihre Finger in die Wunden der Partei. So sei die Wahrnehmung der deutschen Russland-Politik im Rest Europas lange gewesen, „Deutschland first“, sagte sie. Der Fehler wiederhole sich bei der China-Politik. Da hätten die näheren und ferneren Nachbarn wieder das Nachsehen. Das war natürlich auf Scholz gemünzt, der soeben aus Peking zurückgekehrt war und dessen Reise nicht zuletzt auf das Missvergnügen Frankreichs stieß. „Deutschland muss in der Außenpolitik europäischer werden“, mahnte Puglierin. Derzeit geschieht eher das Gegenteil, obwohl geschlossenes Auftreten wichtiger wäre denn je.

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Deutschland muss mehr auf seine Partner hören

Damit wäre auch die Kernaufgabe sozialdemokratischer Außenpolitik berührt. Es geht einerseits darum, Führung zu übernehmen, wie Klingbeil sie versteht, andere in der SPD aber nicht: nämlich für die eigenen Werte entsprechend den eigenen Fähigkeiten einzustehen. Denn die sind schließlich größer als die Fähigkeiten anderer Länder. Die USA stehen als Schutzmacht nicht mehr lange zur Verfügung.

Andererseits muss Deutschland mehr auf die Partner in EU und Nato hören, statt sie wie zuletzt zu überfahren. Der Kanzler überhört augenscheinlich, dass sich vielerorts antideutsche Ressentiments breit machen – in Frankreich und Polen, aber nicht nur dort. Er hat zu wenig Sinn für den Nationalismus, der sich in Europa entwickelt und zunehmend verselbständigt.

Ja, die Zeiten, in denen Außenpolitik wichtig ist, haben gerade erst begonnen. Und die neue deutsche Außenpolitik auszubuchstabieren, wird noch viel Zeit brauchen.

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