SPD-Kanzlerkandidatur: Parteichefs Esken und Walter-Borjans sagen ab
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Norbert Walter-Borjans, Bundesvorsitzender der SPD, und Saskia Esken, Bundesvorsitzende der SPD, stehen in ihrem Büro im Willy-Brandt-Haus.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Berlin. Einer der größten Erfolge Willy Brandts war es, etwas einzuräumen, was ohnehin alle wussten: dass die deutschen Ostgebiete verloren waren.
Wenn man so will, verfolgen Brandts Urenkel an der Parteispitze gerade eine ganz ähnliche Strategie. Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans haben nun etwas zu Protokoll gegeben, was auch vorher jedem klar war: Keiner der beiden will die SPD als Kanzlerkandidat in die nächste Bundestagswahl führen.
“Wir sind angetreten, um die SPD als erkennbar und glaubwürdig sozialdemokratische, gestaltende Kraft in diesem Land sichtbar und stark zu machen. Diese Aufgabe ist groß genug, und ich habe keine darüber hinausgehenden Ambitionen”, sagte Esken dem Portal t-online.de. “Ich strebe die Kanzlerkandidatur derzeit nicht an”, ergänzte Walter-Borjans. Für alle Zeiten dürfe man zwar nichts ausschließen.“ “Aber ich bin ebenso wie Saskia Esken nicht Parteichef geworden, um in weitere Ämter zu kommen.”
Esken und Walter-Borjans nehmen sich aus der Schusslinie
Was bei CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer noch als Begründung für einen Rücktritt gereicht hatte, führt in der SPD allenfalls zu Achselzucken. Lediglich der Zeitpunkt kommt überraschend: Esken und Walter-Borjans erklären ihren Verzicht pünktlich zum Ende ihrer ersten 100 Tage im Amt.
Es ist ein kluger Schritt. Die beiden Parteichefs nehmen sich aus dem Spiel, ehe auffällt, dass sie ohnehin nicht auf dem Platz standen. Als etwa Altkanzler Gerhard Schröder am vergangenen Wochenende seine fünf Favoriten für die SPD-Kanzlerkandidatur benannte, hielt er nicht einmal eine Begründung für nötig, warum er der aktuellen Parteispitze die Führung des Landes nicht zutraut.
Esken und Walter-Borjans haben sich nun aus der Schusslinie genommen, ihr Hauptproblem aber bleibt bestehen: Sie haben in ihren Reihen keinen geeigneten Kandidaten.
Wenn es nach Regierungserfahrung, Beliebtheit und politischem Gewicht ginge, würde kein Weg an Vizekanzler Olaf Scholz vorbeiführen. Aus Sicht Eskens und Walter-Borjans’ allerdings wäre der Mann aus Hamburg der schlechteste Kandidat, haben sie sich doch im Kampf um die Parteispitze stets als Anti-Scholz-Team präsentiert, und in ihrer Anhängerschaft ist Scholz regelrecht verhasst. Ausgerechnet ihn auf den Schild zu heben würde Walter-Borjans und Esken einen Glaubwürdigkeitsverlust bescheren, von dem sie sich kaum erholen könnten.
Öffentliche Äußerungen deuten darauf hin, dass sie dieses Problem erkannt haben. Walter-Borjans sagt neuerdings regelmäßig, dass Kandidat, Programm und Zeit zusammenpassen müssen. Zu deutsch: Scholz passt weder zum linken Kurs noch zu der ausgerufenen Erneuerung der SPD.
Ein unbekanntes Gesicht?
Aber wer dann? Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig kämpft mit einer Krebserkrankung und muss 2021 eine Landtagswahl bestehen. Niedersachsens Landeschef Stephan Weil lässt keine Bereitschaft für einen Wechsel nach Berlin erkennen, außerdem ist sein Satz unvergessen, dass sich ihm bei einigen Äußerungen Eskens “die Nackenhaare sträuben”. Familienministerin Franziska Giffey will die Berliner SPD in die nächste Abgeordnetenhauswahl führen, Fraktionschef Rolf Mützenich lässt keinerlei Ambitionen erkennen, Arbeitsminister Hubertus Heil gilt als Intimfeind des Spitzenduos.
Bleibt Generalsekretär Lars Klingbeil. Der Mann aus dem Heidekreis hat den Vorteil, dass er in alle Richtungen anschlussfähig ist. Außerdem ist er jung genug, der SPD einen frischen Anstrich zu geben. Klingbeils Unverbrauchtheit ist allerdings gleichzeitig sein Problem: Er verfügt über keine Regierungserfahrung, auch sind seine Positionen abseits der Digital- und Verteidigungspolitik ausbaufähig.
Womöglich läuft es auch auf ein unbekanntes Gesicht hinaus. Walter-Borjans hat bereits angekündigt, dass Kandidat oder Kandidatin nicht zwingend aus der ersten Reihe stammen müssten. Landtagsabgeordnete oder Oberbürgermeister gehen aus Sicht des SPD-Chefs auch. “Die SPD hat viele Talente”, sagt er.
Das verspricht, spannend zu werden.