Steigende Corona-Zahlen: Es muss ja gar nicht schlimm werden
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Masken schützen.
© Quelle: imago images/Alexander Pohl
Berlin. Die Corona-Pandemie geht mit einer sonderbaren, fast widersprüchlichen Erfahrung einher. Das von Virologen und auch Politikern vielfach Vorausgesagte tritt ein – und dennoch reagieren viele Menschen darauf überrascht, nicht selten auch verschreckt. Uninformiertheit dürfte die schlechteste Erklärung dafür liefern.
Wahrscheinlicher ist, dass wir – den Fakten zum Trotz – hoffen, von rasant steigenden Infektionszahlen, finanziellen Einbußen und persönlicher Erkrankung verschont zu bleiben. Eine allzu menschliche, verständliche Hoffnung.
Sie wird von den jetzt vielfach gezeigten Europakarten zum Infektionsgeschehen genährt. Deutschland erstrahlt hell darauf, umgeben von roten und tiefroten Risikogebieten. Doch diese Karten sind ein Abbild der Vergangenheit.
Die sich aus ihnen speisende Hoffnung ist trügerisch. Die Fallzahlen steigen, die Todeszahlen auch, und ein Corona-Impfstoff ist noch nicht in Sicht: Die Meldungen der zurückliegenden Tage lassen darauf schließen, dass allen schwierige Monate bevorstehen.
Dies anzuerkennen und auszusprechen ist keine Panikmache, sondern ein Gebot der Vorsicht und Verantwortung. Vor allem darauf kommt es jetzt, in diesem zu früh begonnenen Corona-Winter, an.
Es gilt, die Fehler aus dem Frühjahr zu vermeiden – im Großen wie im Kleinen. So muss Europas Führungspersonal jetzt einen kühlen Kopf bewahren und Grenzschließungen verhindern. Ja, die Entwicklung auf dem Kontinent ist mitunter dramatisch: In Belgien müssen inzwischen selbst infizierte Pfleger zum Dienst erscheinen, aus den Niederlanden werden jetzt wieder Patienten zur Behandlung nach Deutschland gebracht, in Tschechien gelten strenge Ausgangsbeschränkungen – und das sind nur Schlaglichter in die unmittelbare Nachbarschaft Deutschlands.
Nationale Abschottung innerhalb eines bereits mit dem Virus durchsetzten Kontinents schafft jedoch nur neue Probleme, statt alte zu lösen. Die sich kilometerweit stauenden Lkws an der deutsch-polnischen Grenze sollten da eine mahnende Erinnerung sein.
Auch in Kliniken und Heimen kommt es jetzt darauf an, die Lehren aus der ersten Phase der Pandemie zu beherzigen. Die gute Nachricht ist: Mit dem Wissen von heute lassen sich viele Härten von damals vermeiden. Vielerorts legen Alten- und Pflegeheime Hygienekonzepte vor, die den Besuch geliebter Menschen ermöglichen.
Das Personal ist wachsam. In Kliniken stehen Intensivpflegebetten und Beatmungsgeräte bereit; es gibt Erfahrungen bei der Versorgung von Covid-19-Patienten. Und neuerliche Schulschließungen will niemand – jetzt, da darüber Konsens herrscht, folgen auch Konzepte.
Gewiss gibt es Mängel im Umgang mit der Pandemie. Aber inzwischen ist auch klar: Corona ist kein Schicksal. Das Virus breitet sich nicht von allein aus – es braucht dafür den Menschen. Sein Leichtsinn macht es dem Virus leicht.
Dass nun mit Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ausgerechnet der Mann an dem Corona-Virus erkrankt ist, der so oft wie kaum ein anderer die AHA-Regeln aufsagt und gewiss auch um deren Einhaltung bemüht ist, ist kein Beleg für die Unwirksamkeit der Anti-Corona-Maßnahmen. Diese erfordern ein Maß an Disziplin, wie es mit den Erfordernissen oder auch Annehmlichkeiten des Alltags schwer in Einklang zu bringen ist.
Nun muss sich allerdings nicht das Virus unserem Alltag fügen. Im Gegenteil. Unser Alltag hat sich dem Virus anzupassen – und das bedeutet im Kern: Verzicht. Verzicht auf Begegnungen, auf Reisen, auf Feiern, auf Freiheiten. Die Folge ist Frust. Er entlädt sich in der Bahn, wenn das Gegenüber die Maske unter der Nase hängen hat. Im Beruf, wenn die Arbeit ausfallender Kollegen miterledigt werden muss. Oder zu Hause, wo Paare und Familien vielleicht mehr Zeit miteinander verbringen müssen, als ihnen lieb ist.
Doch mit Corona zu leben lernen bedeutet auch, mit dem dadurch bedingten Frust umgehen zu können. Das ist nicht nur im Privaten wichtig, sondern auch im Politischen. Die Auseinandersetzungen um richtige und falsche Maßnahmen gewinnen an Schärfe. Gut so, Streit ist wichtig. Nur sollte er nicht bis zur Unversöhnlichkeit geführt werden. Denn der Sieg gegen das Virus setzt Zusammenhalt voraus.