Kommentar

Heißer Frühling in Sicht: Ein Streik kommt selten allein

Teilnehmer eines Streiks: Am Montag steht in Deutschland vieles still.

Teilnehmer eines Streiks: Am Montag steht in Deutschland vieles still.

Wer sich mental auf den kommenden Streikmontag einstellen möchte, sollte einmal kurz die Augen schließen und sich an die Hochphase von Corona erinnern. Wie war das damals, als man mit Kita- oder Schulkindern im Homeoffice saß und zwischen Hausaufgabenhilfe, Kleinkindbetreuung und Videomeeting wechseln musste? Am Montag wollen die Gewerkschaften Verdi und EVG in einem großen Warnstreik weite Teile des öffentlichen Nahverkehrs lahmlegen und damit auch weite Teile des Alltags vieler Menschen.

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An diesem Tag können die Gewerkschaften noch mit Verständnis in der Bevölkerung rechnen. Die Beschäftigten bei der Bahn und in der Dienstleistungsbranche müssen in der Regel mit kleinen oder mittleren Einkommen klarkommen. Die hohe Inflation ist für diese Gruppen eine besondere, teils existenzielle Herausforderung.

Französische Verhältnisse machen auch nicht glücklich

Der Arbeitskampf wird zunächst Akzeptanz finden. Die Betonung liegt auf „zunächst“. Die Erfahrung zeigt: Je länger die Streiks andauern, desto mehr schwindet auch der Rückhalt in der Bevölkerung. Der Langmut von Pendlerinnen und Pendlern, von Eltern mit kleinen Kindern, von Krankenhauspatientinnen und ‑patienten, Fluggästen und anderen könnte in den kommenden Wochen noch auf eine harte Probe gestellt werden. Ein Streik kommt selten allein.

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Nimmt man die bisherige Eskalation von Verdi mit bereits großen überraschenden Warnstreiks und die Verbalattacken der Arbeitgeber mit ihrer Forderung nach einem verschärften Streikrecht zum Maßstab, dann droht uns ein heißer Frühling. Man mag beiden Seiten zurufen: Französische Verhältnisse machen auch nicht glücklich.

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Die Auseinandersetzung in den Tarifrunden 2023 wird härter als in früheren Jahren, weil es um mehr geht. Für die Arbeitnehmerseite geht es nicht um mehr Wohlstand, sondern um das Verhindern von Wohlstandsverlust. Dass sich die Arbeitgeber wiederum bislang wenig bewegen, liegt auch an dem Druck, dem sie selbst durch Inflation und insbesondere die hohen Energiepreise ausgesetzt sind.

Nicht die Löhne heizen die Inflation an

Bundeskanzler Scholz hatte im Sommer vergangenen Jahres die Spitzen von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften sowie Ökonomen in einer konzertierten Aktion zusammengetrommelt. Diese Gespräche nun ausgerechnet dann auszusetzen, wenn die Tarifparteien hart aufeinanderprallen, ist ein Fehler. Wann, wenn nicht in einer solchen Lage, in der es in beiden Lagern Not gibt, soll eine konzertierte Aktion sinnvoll sein?

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Hamburger Hafen wegen Streik für große Schiffe gesperrt
22.03.2023, Hamburg: Kaum Schiffsverkehr ist auf der Elbe im Hamburger Hafen vor der Elbphilharmonie (M) zu sehen. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi ruft Besatzung von Lotsenbooten im Hamburger Hafen zu einem Warnstreik auf. Die HPA (Hamburg Port Authority) hat die Elbe für große Schiffe bereits gesperrt. Foto: Daniel Reinhardt/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Wegen des angekündigten Verdi-Warnstreiks hat die Hafenverwaltung entschieden, dass lotsenpflichtige Schiffe vorerst weder ein- noch auslaufen dürfen.

Nun wird der Konflikt auf der Straße und zum Leidwesen der Bürgerinnen und Bürger ausgetragen. Die drohenden großen Streiks treffen auf eine Gesellschaft, in der nach den Corona-Jahren inmitten von Inflation und Krieg in Europa ohnehin die Nerven blank liegen. Die bereits angekündigten und die noch zu erwartenden Streiks werden vielfach die Bürgerinnen und Bürger härter treffen als die Arbeitgeber.

Am Ende dieser Tarifauseinandersetzung werden zwar nicht die Forderungen stehen, die Verdi und EVG auf den Tisch gelegt haben, es wird aber einen ordentlichen Lohnsprung geben. In den weiteren Verhandlungsrunden wird es darum gehen, was sich Kommunen, Kliniken und Verkehrsbetriebe leisten können, ohne selbst in Turbulenzen zu geraten.

Das Argument, wonach die Lohnsteigerungen nicht so hoch sein dürfen, um keine die Inflation weiter treibende Lohn-Preis-Spirale in Gang zu setzen, ist eher schwach. Diesem Argument fehlt mindestens so lange die Substanz, wie der Staat nicht in der Lage ist, die übermäßigen Gewinne der Strom- und Gaswirtschaft abzuschöpfen und dadurch die Preise für die Verbraucherinnen und Verbraucher sowie für Industrie und Handwerk zu senken. Denn es sind ja ursächlich nicht die Löhne, sondern die hohen Energiepreise, die die Inflation anheizen.

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