„Wortbruch“ und eine „Atombombe“

Die zehn gemeinsten Sticheleien in der Ampelkoalition

Keine gute Stimmung: In der Ampelkoalition wird viel gestichelt.

Keine gute Stimmung: In der Ampelkoalition wird viel gestichelt.

Berlin. Wenn Koalitionäre ihr Leid klagen, tun sie das in der Regel in vertraulichen Gesprächen. In parteiinternen Runden oder Hintergrund­gesprächen mit Medien fallen bisweilen deutliche Worte. Wenn diese aber öffentlich geäußert werden, steht es schlecht um eine Koalition.

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Nach diesem Maßstab bewegt sich die Zusammen­arbeit von SPD, Grünen und FDP schon länger auf eine gewaltige Zerreiß­probe zu. Seit einigen Monaten ledern Ampel­mitglieder gegeneinander. Eine Übersicht über die gemeinsten Sticheleien der vergangenen Monate:

Hier ist der Gesetz­entwurf an die ‚Bild‘-Zeitung – und ich muss also unterstellen – bewusst geleakt worden, um dem Vertrauen in der Regierung zu schaden. Und insofern sind die Gespräche (…) wahrscheinlich mit Absicht zerstört worden, des billigen taktischen Vorteils wegen.

Robert Habeck (Grüne), Wirtschaftsminister,

über das Gebäudeenergiegesetz

Das mittlerweile oft als „Heizhammer“ titulierte Gebäude­energie­gesetz (GEG) ist einer der großen Zankäpfel der Koalition. Das liegt auch daran, dass die Debatte frühzeitig in die Öffentlichkeit gezogen wurde, statt sie in und zwischen Parteien und Ministerien zu führen. Wirtschafts­minister Robert Habeck sprach im März in den „Tagesthemen“ von einem Leak. Wer das Papier öffentlich machte, ist bis heute nicht klar – jeder Koalitions­partner hat seine eigenen Theorien.

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Ich nehme zur Kenntnis, dass die FDP sich nicht an das gegebene Wort hält.

Robert Habeck (Grüne), Wirtschaftsminister,

über den Koalitionsausschuss

Einen Koalitions­ausschuss später war die Debatte um das Gesetz im Mai immer noch nicht beendet. Eigentlich, so sah es zumindest Habeck, sei vereinbart worden, das GEG rechtzeitig vor der parlamentarischen Sommerpause in den Bundestag einzubringen. Dass das nicht geschehen ist, kam bei den Grünen nicht gut an. Nicht nur Habeck warf der FDP Wortbruch vor. Auch die Grünen-Partei­vorsitzende Ricarda Lang fand deutliche Worte: „Es ist ein Problem, wenn man hier vor allem gerade mit Unzuverlässigkeit arbeitet.“

Der Heizhammer ist eine Atombombe für unser Land.

Frank Schäffler (FDP), Bundestagsabgeordneter,

über das Gebäudeenergiegesetz

Die FDP schießt ihrerseits gerne gegen das GEG des grünen Wirtschafts­ministers. An die Spitze der Bewegung hat sich ein einfacher Abgeordneter gestellt: Frank Schäffler. Er machte sich in der Vergangenheit schon als Euro-Rebell einen Namen und tritt auch jetzt wieder wie ein Oppositions­politiker in der Koalition auf. Nicht nur mit seiner Rhetorik, auch mit einem Fragen­katalog zum „Heizhammer“ nervte er Robert Habeck.

Die ungezügelte Ausgabensucht von SPD und Grünen stoppen wir und helfen jetzt beim kalten Entzug. Manchmal muss man dem Alkoholkranken die Flasche Schnaps vom Mund schlagen.

Christoph Meyer (FDP), stellvertretender Fraktionsvorsitzender,

über die Finanzen der Regierung

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Auch bei anderen Themen liegt die FDP mit ihren Koalitions­partnern über Kreuz. Im März, kurz vor dem 30-Stunden-Koalitions­ausschuss, beschwerte sich der stellvertretende Fraktions­vorsitzende Christoph Meyer über ausufernde Finanzpläne. SPD und Grüne mit Suchtkranken zu vergleichen brachte ihm viel Kritik ein.

Was treibt die FDP?

Heizung, Haushalt, Verkehr: Die FDP agiert wie eine „Dagegenpartei“ in der Regierung. Nach dem Trauma verloren gegangener Wahlen versuchen die Liberalen, ihr Profil zu schärfen, und nehmen dabei Krach mit Koalitions­kollegen in Kauf. Parteichef Lindner lässt es zu, ganz bewusst.

Putin und Habeck haben eine ähnliche Überzeugung davon, dass der Staat, der Führer, der Auserwählte, besser weiß als die Menschen, was für sie gut ist.

Wolfgang Kubicki (FDP), Bundestagsvizepräsident und Vizeparteichef,

über den Freiheitsbegriff von Robert Habeck

Einen gewagten Vergleich zog auch FDP-Lautsprecher Wolfgang Kubicki. In der Talksendung „Veto“ auf der Plattform Massen­geschmack-TV setzte er den Freiheits­begriff des Vizekanzlers mit dem des russischen Präsidenten gleich. Die Grünen-Fraktions­vorsitzende Katharina Dröge riet dem Bundestags­vizepräsidenten daraufhin „der Würde seines Amtes etwas gerechter“ zu werden. Kubicki entschuldigte sich schließlich und sprach selbst von „völligem Quatsch“ und einer „Entgleisung“. Dabei war es nicht das erste Foul an Habeck: Nach der Wahl in Berlin im Februar sagte Kubicki: „Wenn es keinen Straßenbau mehr geben soll, dann gibt es auch keine neuen Stromleitungen mehr. Da kann sich der Robert gehackt legen. Die Zeit des Appeasements ist vorbei.“

Habeck hat anscheinend in seiner eigenen Partei ein bisschen Druck auf dem Kessel. (…) Man sollte mit dem Druck nicht so umgehen, dass man jetzt einfach in alle Richtungen deswegen koffert.

Kevin Kühnert (SPD), Generalsekretär,

über den Umgang in der Koalition

Habeck teilt aus und muss viel einstecken – auch von der SPD. Kevin Kühnert kofferte im Streit um das Gebäude­energie­gesetz gegen das Koffern des Wirtschafts­ministers. Kühnert betonte, er könne zwar verstehen, dass es für Habeck bei diesem großen Thema der Ampel um viel gehe. Besseren Stil wünschte er sich dann trotzdem.

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Ich weiß, was ich als Parteivorsitzender machen würde, wenn aus meiner Partei andauernd solche Querschüsse kommen. Da würde ich mit den entsprechenden Leuten mal reden. Das wirft ja auch kein gutes Licht auf die eigene Parteiführung, wenn da andauernd welche so unterwegs sind.

Lars Klingbeil (SPD), Parteivorsitzender,

über seine Amtskollegen bei Grünen und FDP

Zu einem Tipp in Stilfragen fühlte sich auch SPD-Chef Klingbeil berufen. Mit der Aussage richtete er sich an Christian Lindner einerseits sowie an Ricarda Lang und Omid Nouripour andererseits. In der Debatte um Panzer­lieferungen an die Ukraine waren immer wieder Politiker aus der zweiten Reihe der Partei vorgeprescht: vor allem Anton Hofreiter bei den Grünen und Marie-Agnes Strack-Zimmermann bei der FDP.

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Denn sie hat sich ja sehr, aus Sicht Chinas, undifferenziert auf diese Situation eingelassen.

Rolf Mützenich (SPD), Fraktionsvorsitzender,

über die Reise von Außenministerin Annalena Baerbock nach China

Ein fortdauerndes Scharmützel der Koalition spielt sich zwischen Annalena Baerbock und der SPD ab. Im vergangenen Jahr hatte sie Bundeskanzler Olaf Scholz vor dessen China-Reise Ratschläge gegeben. Der SPD-Fraktions­vorsitzende Rolf Mützenich bewertete das als „unhöflich und undiszipliniert“. Im Februar hatte Baerbock dann versehentlich von einem „Krieg gegen Russland“ gesprochen, was Mützenich als Vorlage nutze: „Dass die Außen­ministerin einen solchen Satz geprägt hat, nutzt eigentlich nur der Propaganda in Moskau“, urteilte er. Als die Außen­ministerin sich im April dann selbst auf den Weg nach China machte, unkte Mützenich, Baerbock wisse ja, dass sie wegen ihrer Äußerungen mit einer gewissen Skepsis in Peking empfangen werde.

Wir sollten uns keine Illusionen mehr über die SPD machen. (…) Sie werden uns an die Wand drücken.

Christian Kühn (Grüne), Staatssekretär im Umweltministerium,

über die Machtverhältnisse in der Koalition

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Die Aussage des Staatssekretärs fiel zwar in einer internen Runde der Partei, drang aber – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – nach außen. Wehklagen darüber, dass man nur das dritte Rad am Wagen der Koalition sei, gibt es immer wieder. Besonders oft kommen sie von den Grünen, manchmal aber auch von der FDP. Für Bundes­kanzler Scholz ist es eine große Herausforderung, den Erwartungen beider kleinen Koalitionspartner gerecht zu werden.

In der aktuellen Debatte um Migration wirkt die Ministerin wie eine Getriebene. Sie hat das Thema über einen langen Zeitraum hinweg fatalerweise unterschätzt und nötige Reformen bei der Einwanderungspolitik nicht angepackt.

Bijan Djir-Sarai (FDP), Generalsekretär,

über Innen­ministerin Nancy Faeser

Das Thema Migration ist – wie auch der EU-Asylkompromiss in dieser Woche zeigt – Streitthema in der Koalition. Der FDP-General­sekretär wünschte sich schon im Februar mehr Einsatz von Innen­ministerin Nancy Faeser. Die fortwährende Kritik an der SPD-Politikerin dürfte aber auch Wahlkampf­taktik sein: Faeser tritt bei der Landtagswahl in Hessen als Spitzen­kandidatin an. Noch mehr als ihre Doppelrolle könnte das Wahlergebnis im Oktober für neuen Zündstoff in der Ampel sorgen.

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