Symbolpolitik mit Kindern: Die Misere der europäischen Flüchtlingspolitik

Gestrandet im überfüllten Flüchtlingslager: Tausende Migranten sitzen auf der griechischen Insel Lesbos fest. (Archivbild)

Gestrandet im überfüllten Flüchtlingslager: Tausende Migranten sitzen auf der griechischen Insel Lesbos fest. (Archivbild)

Athen. Endlich bewegt sich etwas! Nachdem am Mittwoch zwölf Migrantenkinder aus den griechischen Elendslagern nach Luxemburg geflogen wurden, sind an diesem Samstag rund 50 weitere Kinder und Jugendliche auf dem Flughafen Hannover gelandet.

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Es hat viel zu lange gedauert. Seit über einem Jahr beratschlagen die Länder der Europäischen Union, wie den alleinreisenden Minderjährigen in den griechischen Migrantenlagern geholfen werden kann. Immer gab es neue Ausreden, die Umsiedlungen zu verschleppen: bürokratische Bedenken, das Warten auf eine gesamteuropäische Lösung, die es bis heute nicht gibt, und zuletzt den Verweis auf die Corona-Pandemie.

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Die Zahlen sind überschaubar

Die Zahlen, um die es geht, sind überschaubar: Von den fast 5200 unbegleiteten minderjährigen Migranten in Griechenland werden bisher dort nur 1836 in geeigneten Unterkünften betreut. Über 3000 leben unter meist katastrophalen Bedingungen in überfüllten Lagern auf den Inseln und dem Festland. Sie zu befreien, ist die dringlichste Aufgabe überhaupt. Was kann daran so schwer sein? In der Corona-Krise bewältigen Regierungen und Behörden derzeit weitaus größere logistische und finanzielle Herausforderungen.

Das erbärmliche Tauziehen um diese Kinder zeigt die ganze Misere der europäischen Migrationspolitik. Mit humanitären Gesten, so wichtig sie auch in jedem einzelnen Fall sind, ist es nicht getan. Während unter großem Medienrummel nun endlich die ersten Minderjährigen ausgeflogen werden, bahnt sich auf den griechischen Inseln bereits die nächste Krise an. Im März scheiterte der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan mit seinem Versuch, “Millionen” Migranten über die griechische Landgrenze nach Europa zu schleusen. Jetzt lässt er die Menschen in Bussen zur Ägäisküste bringen. Von dort sollen sie auf die griechischen Inseln übersetzen. Erdogan trägt sein machtpolitisches Spiel auf dem Rücken schutzbedürftiger Menschen aus. Er lässt den Menschenschmugglern freie Hand und setzt Migranten als Druckmittel ein, um von der EU Finanzhilfen zu erpressen. So wie er in früheren Jahren deutsche Journalisten in Geiselhaft nahm, um Berlin gefügig zu machen. Das funktionierte sogar.

Die EU muss geschlossen gegenüber der Türkei auftreten

Dabei ist die EU gegenüber Erdogan keineswegs so machtlos, wie oft behauptet wird. Sie könnte die Visa-Anforderungen für türkische Staatsbürger verschärfen, statt über eine Lockerung zu verhandeln. Sie könnte alle im Flüchtlingspakt zugesagten Zahlungen stoppen, solange die Türkei mit der inszenierten Belagerung der griechischen Grenzen gegen das Abkommen verstößt. Und sie könnte die Zollunion mit der Türkei aussetzen, statt über deren Erweiterung zu verhandeln, wie es Kanzlerin Angela Merkel jetzt anbot, um Erdogan milde zu stimmen.

Allerdings kann die EU gegenüber der Türkei nur dann stark auftreten, wenn sie geschlossen ist. Dazu gehört, dass sie endlich ihre Migrations- und Asylpolitik neu ordnet. Seit fünf Jahren wird darüber debattiert, geschehen ist bisher aber so gut wie nichts. Die EU zeigt zu viel Nachsicht gegenüber einigen osteuropäischen Ländern, die sich der gemeinsamen Verantwortung bei der Aufnahme von Flüchtlingen entziehen. Auch der Ausbau der Agentur Frontex zu einer schlagkräftigen europäischen Grenzschutzarmee kommt zu langsam voran. Vor allem aber muss die EU endlich eine aktivere Rolle bei der Lösung jener Konflikte übernehmen, die Flüchtlings- und Migrationswellen auslösen. Syrien hatten die EU-Außenpolitiker lange nicht auf dem Schirm. Erst als die syrischen Flüchtlinge von der Türkei über die Ägäis kamen, begann man sich für die Ursachen zu interessieren.

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Deutschland hat die Chance, diese Defizite aufzuarbeiten

Deutschland hat im Rahmen seiner EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr die Chance, einige dieser Defizite aufzuarbeiten. Am dringlichsten ist die Neuordnung der europäischen Asylverfahren, um Erstankunftsländer wie Griechenland zu entlasten und nicht schutzbedürftige Wirtschaftsmigranten zügig abschieben zu können. Solange diese Reform aussteht, ist die Umsiedlung von einigen Dutzend Flüchtlingskindern nicht viel mehr als Symbolpolitik zur Beruhigung des eigenen Gewissens.

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