Ideologien als Feindbild

Vernunft ist da, wo ich bin: Thilo Sarrazin stellt sein neues Buch vor

Thilo Sarrazin beim Pressetermin zur Präsentation von seinem neuen Buch „Die Vernunft und ihre Feinde. Irrtümer und Illusionen ideologischen Denkens“.

Thilo Sarrazin beim Pressetermin zur Präsentation von seinem neuen Buch „Die Vernunft und ihre Feinde. Irrtümer und Illusionen ideologischen Denkens“.

Berlin. Es dürfte selten vorkommen, dass bei der Vorstellung eines Buchs, das in den nächsten Tagen ganz sicher die deutschen Sachbuch-Bestsellerlisten stürmen wird, das Personal aus dem Personenregister gleich mit im Saal sitzt. Als der erfolgreichste deutsche Sachbuchautor der Nachkriegszeit – so sind die Fakten – an diesem Montag in Berlin jedoch sein neues Werk vorstellte, war es so: Thilo Sarrazin thematisierte „Die Vernunft und ihre Feinde“ (so der Titel), und zugegen waren neben der übrigen Presse und einigen Sarrazin-Fans auch der preisgekrönte Romancier Uwe Tellkamp als glühender Laudator, der frühere CDU-Bundestagsrechtsaußen Arnold Vaatz als interessierter Zuhörer und der vom Berliner „Tagesspiegel“ wegen eines umstrittenen Textes über Impfgegner zur „Welt“ gewechselte Harald Martenstein als Journalist.

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Sie alle – und noch viele mehr – tauchen in Sarrazins neuem Buch auf, weil sie in Debatten geraten waren, die der Autor als ideologisch empfindet. Denn darum geht es in seinem neuesten Wurf: Die Politik der Gegenwart sei zu oft geprägt von Ideologien und treffe deshalb keine faktenbasierten Entscheidungen mehr, sondern emotionale, opportunistische – jedenfalls falsche.

„Keine rationale Einsicht“ bei Impfgegnern und Corona-Leugnern

Nicht alle Beispiele, die Sarrazin dann anführte, dürften die Zustimmung des Registerpersonals gefunden haben. So sieht der 77-Jährige die ideologische Verbohrtheit als die Wurzel von Übeln wie der Impfgegner- und Corona-Leugner-Bewegung, die zuletzt „die Expertise der Virologen und Ärzte beiseite wischte und keine rationale Einsicht mehr zuließ“, so Sarrazin im Buch.

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Auch Wladimir Putin und die AfD sind für ihn gefährliche Ideologen, wobei er ihnen „völkische Ideologien“ vorwirft, deren Kern „in der Fixierung auf Abstammung, Tradition und Herkunft“ bestehe und die „zu einem undifferenzierten Hass auf das Unbekannte, das Fremde oder das kulturell Andersartige führen“, wie der Autor und Ex-Politiker in Berlin sagte.

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Das war insofern überraschend, als Sarrazin doch vor allem wegen seines Debüts „Deutschland schafft sich ab“ von 2010, das vor allem Thesen zu muslimischen Einwanderern ausbreitet und als rassistisch kritisiert wurde, nicht nur millionenfach verkaufter Bestsellerautor wurde – sondern vor zwei Jahren nach langem Hin und Her auch aus der SPD ausgeschlossen wurde, gegen seinen Willen.

Ironie der Zeitenwende: Die erste Aussage, die Sarrazin Ärger von Links einbrachte, war 2008 sein Tipp, gegen zu hohe Heizkosten helfe doch ein dicker Pulli: „Wenn die Energiekosten so hoch sind wie die Mieten, werden sich die Menschen überlegen, ob sie mit einem dicken Pullover nicht auch bei 15 oder 16 Grad Zimmertemperatur vernünftig leben können“, hatte er damals als Berliner Finanzsenator in einem Interview gesagt. Inzwischen gibt es ähnliche Empfehlungen von SPD und Grünen und den Ärger von Rechts.

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Zudem sollten Gebäude und Denkmäler nachts nicht mehr angestrahlt und Werbeanlagen nicht beleuchtet werden.

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Sarrazin will seine Tipps von damals heute keineswegs auf die Gesamtbevölkerung ausweiten, vielmehr wirft er der SPD vor, deren verfehlte Energiepolitik der letzten Jahre schade nun vor allem Menschen mit kleinem Einkommen – was ein Verrat an der sozialdemokratischen Kernklientel sei.

Grünen-Politiker laut Sarrazin am fähigsten

Lob verteilt Sarrazin dagegen an die Grünen: Dort fände man die derzeit fähigsten Politiker Deutschlands, erklärt Sarrazin. Das habe allerdings den Nachteil, dass deren Ideologien – allen voran die vom Atomausstieg – nun umgesetzt würden und Deutschland in die Energiekrise stürzten.

Als ähnlich problematisch habe sich die Ideologie des Pazifismus herausgestellt, die allerdings bis zum Kriegsbeginn vor einem halben Jahr neben den Grünen auch SPD und Union erfasst hatte, führte er weiter aus: „Die falsche Annahme war: Nur weil wir zu allen freundlich sind, heißt das nicht, dass alle freundlich zu uns sind“, sagte Sarrazin – und verwies auf Putin, der in Deutschland nun eine verteidigungsunfähige Bundeswehr und eine Energieabhängigkeit von russischem Gas sehe. Dass die Ampelregierung dann auch noch dachte, sie könne sich mit der Lieferung von 5000 Helmen an die Ukraine aus dem Krieg heraushalten, sei der Gipfel der pazifistischen Verwirrung gewesen.

Auch diese Ausführungen dürfte bei zahlreichen Sarrazin-Fans nicht auf Begeisterung stoßen. Doch der Autor wähnt sich auf der Seite der Vernunft: Sicher sei auch er von Denkschulen und Ideologien geprägt, wie er im Buch ausführlich beschreibe. Er aber sei in der Lage, sie kritisch mit Fakten zu überprüfen und gegebenenfalls zu revidieren.

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