Unbequeme Fragen an Erdogan

Türkei geht gegen kritische Erdbebenberichte vor

Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei, spricht während einer Pressekonferenz.

Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei, spricht während einer Pressekonferenz.

Ankara. Die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG), die sich weltweit für die Meinungs- und Pressefreiheit einsetzt, äußert „Empörung“: Nach der Erdbebenkatastrophe in der Südosttürkei dokumentiert ROG zunehmend Angriffe, Festnahmen und Einschüchterungen gegen Medienschaffende.

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Damit will die Regierung offenbar eine unabhängige Berichterstattung über die Probleme bei den Rettungsarbeiten und Versäumnissen des Staates im Vorfeld der Katastrophe unterbinden. Journalistinnen und Journalisten würden beschuldigt, „die Polizei oder den Staat zu diffamieren“, berichtet ROG. Diese Verletzungen der Pressefreiheit seien „alarmierend“, stellt Reporter ohne Grenzen fest.

Beschränkungen für heimische und ausländische Reporter

Über 90 Prozent der türkischen TV-Sender und Printmedien werden von Erdogan-nahen Unternehmern kontrolliert und berichten regierungskonform. Polizei und Justiz nehmen jetzt vor allem die wenigen verbliebenen unabhängigen Medien ins Visier. So wurden wenige Tage nach dem Beben in der Gemeinde Birecik Mahmut Altindas, ein Reporter der kurdischen Nachrichtenagentur Mezopotamya, und Sema Caglak, eine Reporterin der Frauen-Nachrichtenseite Jinnews unter dem Vorwand festgenommen, dass sie keine offiziellen Presseausweise hätten. Ein anderer Mezopotamya-Reporter, Mehmet Güles, kam in Polizeigewahrsam, weil er „Hass geschürt“ habe. Ferit Demir, ein Reporter des regierungskritischen Senders Halk-TV, wurde von Polizisten mit Fußtritten traktiert.

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Auch die Beschränkungen für ausländische Medien seien verschärft worden, berichtet ROG. Dem Reporter Guillaume Perrier von der französischen Wochenzeitung Le Point verweigerte die Grenzpolizei die Einreise in die Türkei. Begründung: Seine Berichterstattung sei eine „Bedrohung der nationalen Sicherheit“. Auch kritische Kommentare in den sozialen Medien lässt die Regierung verfolgen. Die Staatssicherheitspolizei leitete bisher 293 Ermittlungen wegen „provozierender“ Posts ein. 78 Nutzer wurden festgenommen, gegen 20 ergingen Haftbefehle.

Türkischer Katastrophenschutz soll Hilfslieferungen beschlagnahmt haben

Auch private Hilfsinitiativen sind offenbar unerwünscht. So berichtete die pro-kurdische Oppositionspartei HDP, die staatliche Katastrophenschutzorganisation AFAD habe Hilfslieferungen beschlagnahmt. Die HDP wollte 85 Öfen, Brennholz und Kohle ins Katastrophengebiet liefern. Die AFAD habe die Lieferung von einem Lastwagen geholt und in eigene Depots gebracht, teilte die HDP auf Twitter mit.

In der Provinz Kahramanmaras habe die paramilitärische Gendarmerie auf Befehl des örtlichen Gouverneurs ein Krisenzentrum der HDP übernommen und alle Hilfsgüter konfisziert. Seit Beginn der Bebenkatastrophe wird immer wieder der Vorwurf laut, die Regierung lasse Lieferungen privater Organisationen beschlagnahmen, um sie als eigene Hilfe zu etikettieren.

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Erdogan in der Bredouille: Scharfe Bauvorschriften in „Erdbebenrisikogebiet“ aufgehoben

Unterdessen ist Staatschef Erdogan mit neuen unbequemen Fragen konfrontiert. Am Freitag veröffentlichten regierungskritische Medien ein Dekret vom 5. Februar 2022, mit dem Erdogan einen Beschluss des Ministerrats von 2013 annulliert, der bestimmte Bezirke der Provinz Hatay zu „Erdbebenrisikogebieten“ erklärte. Damit waren verschärfte Bauvorschriften verbunden.

Hatay wurde am stärksten von der Erbebenserie getroffen. Allein hier sind 10.911 Gebäude eingestürzt oder so stark beschädigt, dass sie abgerissen werden müssen. Warum Erdogan die Risikoklassifizierung vor einem Jahr aufhob, ist unklar. Seit Langem wird in der Türkei über die engen Verbindungen des Staatschefs zu großen Bauunternehmern spekuliert, die bei der Vergabe von Staatsaufträgen besonders häufig zum Zuge kommen.

Bereits 2018 hatte Erdogan vor den damaligen Wahlen eine Amnestie für Schwarzbauten verkündet. Damals wurden im ganzen Land 438.000 Gebäude gegen Zahlung einer geringen Gebühr nachträglich legalisiert, obwohl sie ohne Baugenehmigung errichtet wurden. Allein in den jetzt von der Bebenkatastrophe betroffenen Region wurden rund 75.000 Gebäude nachträglich genehmigt. Tausende davon stürzten jetzt ein.

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