Sawsan Chebli zum Twitter-Bußgeldverfahren: „Staat kann zeigen, dass er nicht zahnlos ist“
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Die Berliner SPD-Politikerin Sawsan Chebli wünscht sich mehr Zivilcourage im Kampf gegen Hasskommentare im Netz.
© Quelle: Christophe Gateau/dpa
Berlin. Zum ersten Mal geht eine Behörde in Deutschland gegen Twitter wegen Hassinhalten vor. Gegen die Twitter International Unlimited Company läuft zurzeit ein Bußgeldverfahren, wie das Bundesamt für Justiz (BFJ) am Dienstag mitteilte. Anlass sind offenbar zahlreiche hasserfüllte Tweets. Konkret gehe es um „nicht gerechtfertigte, ehrverletzende Meinungsäußerungen, die sich sämtlich gegen dieselbe Person richten“, sie erfüllten nach Einschätzung des Bundesamtes den Tatbestand der Beleidigung.
Hintergrund ist das im Jahr 2017 eingeführte Netzwerk-Durchsetzungsgesetz. Damit versucht die Bundesregierung, Hass, Hetze und andere strafbare Inhalte im Netz einzudämmen. Plattformen wie Twitter müssen seitdem ein wirksames Beschwerdemanagement haben, das sich um solche Inhalte kümmert. Verstöße gegen diese Pflichten können mit Bußgeldern gegen das Unternehmen und die Verantwortlichen geahndet werden. Wenn ein anderer Internetnutzender die eigenen Persönlichkeitsrechte verletzt, können die Betroffenen auch per gerichtlicher Anordnung die Identität des Nutzers erfahren.
Sawsan Chebli: „Die meisten Anzeigen laufen ins Leere“
Die Autorin und Ex‑Staatssekretärin Swasan Chebli ist selbst immer wieder Ziel von Hass und Hetze im Netz. „Die meisten Anzeigen laufen ins Leere, entweder, weil Täter nicht ermittelbar sind, oder, weil Gerichte entscheiden, dass öffentliche Personen mit Beleidigungen leben müssen“, berichtet sie von ihren Erfahrungen. „Teilweise wird entschieden, dass übelste Beleidigungen von der Meinungsfreiheit gedeckt sind“, kritisiert sie. Die Plattformen selbst würden kaum etwas tun. „Mehr noch: Sie setzen auf Emotionen, diese produzieren Traffic und das führt wiederum zu Gewinnen.“ Gefühlt jeder und jede könne seinem Hass freien Lauf lassen, ohne dass es Konsequenzen gebe.
Mit der Übernahme von Twitter durch Multimilliardär Elon Musk verschlimmerte sich die Lage noch mal, wie eine Recherche der „New York Times“ zeigt. Die Zeitung hat Zahlen unter anderem der Nichtregierungsorganisation Center for Countering Digital Hate und der Menschenrechtsorganisation Anti-Defamation League ausgewertet. Demnach tauchten Beleidigungen gegen schwarze US‑Amerikanerinnen und ‑Amerikaner im Durchschnitt 1282-mal pro Tag auf dem Social-Media-Dienst auf, bevor Elon Musk Twitter kaufte. Seitdem Musk Eigentümer ist, gibt es durchschnittlich 3876 Beleidigungen gegen schwarze Amerikaner pro Tag. Verunglimpfungen von schwulen Männern erschienen auf Twitter durchschnittlich 2506-mal pro Tag, bevor Musk die Leitung übernahm. Danach stiegen sie auf täglich 3964 an.
„Digitale Gewalt wird als Nischenthema behandelt“
Sozialdemokratin Chebli beklagt die Entwicklung Twitters seit der Musk-Übernahme. „Das ist tragisch, zumal diese Plattform für Politik und Medien eine wichtige Rolle einnimmt und damit relevant ist für unser aller Leben.“ Digitale Gewalt würde noch immer als Nischenthema behandelt. „Obwohl wir gesehen haben, dass Hass im Netz tötet“, sagt Chebli, die dieses Jahr ihr Buch „Laut“ über Hass im Netz veröffentlicht hat.
Eine mögliche Ursache für den plötzlichen Anstieg von Hass und Hetze auf Twitter: „Der Dienst hat die Sparte, die sich um Hate Speech kümmert, leider massiv abgebaut“, kritisiert Robin Mesarosch, SPD-Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Ausschuss für Digitales. „Es kann nicht sein, dass Dienste wie Twitter auf der einen Seite massiv Geld scheffeln, aber auf der anderen Seite zu wenig tun, um Propaganda, Beleidigungen oder Rechtsbeschneidungen auf ihren Plattformen zu verhindern“, betont er.
Würde das Bußgeld jetzt tatsächlich verhängt werden, hätte dies eine große Signalwirkung auch für andere Plattformen.
Sawsan Chebli,
Autorin und Ex-Staatssekretärin
Das Bußgeldverfahren gegen Twitter sei ein erster Schritt. Mit dem Digital Services Act soll es erstmals ein Gesetz gegen Hate Speech im Netz auf EU‑Ebene geben. Damit würden alle EU‑Länder ihr gemeinsames Gewicht in die Waagschale legen. „Ich glaube nicht, dass das die Lösung für alle Probleme ist, aber es kann einen entscheidenden Unterschied machen“, sagt der Sozialdemokrat.
Auch Chebli begrüßt das. „Würde das Bußgeld jetzt tatsächlich verhängt werden, hätte dies eine große Signalwirkung auch für andere Plattformen, die ihrer Verantwortung beim Löschen beziehungsweise Sperren von rechtswidrigen Inhalten aus meiner Sicht bisher nicht ausreichend nachkommen.“ Der Staat könne hier zeigen, dass er eben nicht zahnlos sei gegenüber den US‑Giganten und dass das Netz kein rechtsfreier Raum sei.