US-Präsident verstärkt Corona-Verunsicherung mit Rede an die Nation
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/HFAVMCWNIZCI7IQQIMTUW6VRXE.jpeg)
Grenzen dicht: Donald Trumps bevorzugtes Mittel gegen Corona.
© Quelle: Evan Vucci/AP/dpa
Washington. Reisen oder nicht reisen, das ist die Frage, die Dirk (23) seit Tagen beschäftigt. Der in den USA aufgewachsene Student aus Deutschland hatte seinen Flug so gebucht, dass er pünktlich zum Semesterbeginn wieder an seiner Universität sein kann. Er hörte die Einschätzung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die nüchtern ausführte, wie weit sich das Virus im schlimmsten Fall ausbreiten könnte. Am Mittwochabend verfolgte er dann Donald Trumps Rede an die Nation, in der dieser alle Reisen aus Europa für 30 Tage aussetzte.
In seiner Rede aus dem „Oval Office“ schlug der Präsident einen betont nationalistischen Ton an. Ein „ausländischer Virus“ verbreite sich in den USA, „der aus China kommt und sich nun in der ganzen Welt verbreitet“. Keine andere Nation sei „so sehr vorbereitet und widerstandsfähiger als die Vereinigten Staaten“. Um die Amerikaner zu schützen, werde ab Freitag ein 30-tägiges Einreiseverbot für Personen in Kraft treten, die sich in den vergangenen zwei Wochen in der Europäischen Union aufgehalten haben. Davon ausgenommen seien Briten und Iren sowie Staatsbürger und Personen mit unbefristetem Aufenthalt.
Die US-Regierung erwägt, alle EU-Staaten die Risiko-Kategorie III zuzuordnen, die bisher für Staaten wie Italien, China und Südkorea gilt. Das Außenministerium riet allen Amerikanern, Reisen wegen des COVID-19-Virus „in alle Länder“ zu überdenken. Das ist das zweitstärkste Warnniveau nach der Empfehlung „nicht zu reisen“.
Weitere Verunsicherung statt Beruhigung
Binnen Minuten nach seiner Ansprache korrigierte Trump via Twitter eine missverständliche Passage der Rede, die den Eindruck erweckte, die USA würden den massiven Handel mit Europa bis auf Weiteres einstellen. „Die Restriktionen stoppen Menschen nicht Güter.“
Statt die Amerikaner zu beruhigen und einen glaubwürdigen Kurs auszugeben, trug der Präsident mit seiner Ansprache zur weiteren Verunsicherung bei. Die „Futures“ an den Börsen kündigten an, was am nächsten Tag passieren würde. Ein weiterer Absturz des Dow-Jones-Index um mehr als 7 Prozent zum Handelsbeginn.
Dirk war nach der Rede selber völlig verunsichert. „Wem soll ich glauben?“, fragt der Student, der noch im Ohr hat, wie Trump in den vergangenen Tagen die Gefahr durch das COVID-19-Virus heruntergespielt hat und unbesorgt Hände schüttelte, während die Gesundheitsbehörde CDC genau davor gewarnt hatte. Er neigt dazu, zu fliegen, weil er Sorge hat, Trump könnte irgendwann auch Reisen nach Europa verbieten. „Das macht überhaupt keinen Sinn“, findet der Student, dem verlässliche Informationen lieber sind, „als Schönfärberei, die Menschen gefährdet“.
Trump spielte Corona-Gefahr runter
Zumal die Bundesstaaten und amerikanische Zivilgesellschaft längst anderes reagieren, als die Trump-Regierung, die nach den ersten Diagnosen in China wertvolle Zeit verlor. Statt aggressiv Test-Kits für das Virus zu verbreiten und eine Strategie der „sozialen Distanzierung“ zu empfehlen, spielten der Präsident und seine Minister die Gefahr herunter.
Der Gouverneur des besonders stark betroffenen Bundesstaats Washington, Jay Inslee, verglich die erwarteten Konsequenzen der am Mittwoch von der Weltgesundheitsorganisation WHO zu einer „Pandemie“ erklärten globalen Virus-Krise mit einem Erdbeben. Es sei „völlig inakzeptabel“ jetzt noch in Bars und Restaurants zu gehen. „Wir erwarten einen großflächigen Ausbruch, und das wird sehr schwierig werden.“
Der Gouverneur von Kentucky, Andy Beshear, forderte die Kirchen in dem Bundesstaat auf, bis auf Weiteres keine Gottesdienste mehr abzuhalten. In schneller Folge sagten die Veranstalter von Großevents Konzerte und Kongresse ab. In vielen Bundesstaaten sind nun Versammlungen von mehr als 1.000 Personen untersagt. Eine große Anzahl von Universitäten, darunter so renommierte Institutionen wie Harvard, stellen auf Online-Unterricht um. Dasselbe gilt für immer mehr Schulen.
Als Dirk Anfang der Woche erfuhr, dass er seine Großmutter in ihrem Pflegeheim nicht mehr besuchen durfte, und nicht einmal deren Mann die Einrichtung betreten durften ahnte er, dass die tatsächliche Lage ganz anderes war. Der zuständige Fachverband hatte USA-weit diese beispiellose Vorsichtsmaßnahme ergriffen.
Vor diesem Hintergrund klangen Trumps Worte ein wenig hohl, der wider aller sichtbarer Veränderungen im Alltag von „einer kurzen Zeit sprach, die wir als Nation und als Welt überwinden werden.“ Der Präsident kündigte eine Reihe an Maßnahmen an, die vor allem den 27 Millionen Amerikanern ohne Krankenversicherung helfen sollen, für medizinische Behandlungen zu bezahlen.
Experten befürchten, dass eine weite Verbreitung des Corona-Virus massive ökonomische Probleme bringen wird, da rund acht von zehn Arbeitnehmern von Lohntüte zu Lohntüte leben und 40 Prozent nicht genügend Ersparnisse haben, eine unerwartete Rechnung über 400 Dollar zu bezahlen. Zumal nun auch die ersten Amerikaner ihre Arbeitsplätze verlieren. Als Erste traf es Hafenarbeiter in Los Angeles, die wegen ausbleibender Container China nichts mehr zu tun. Betroffen sind zunehmend auch Mitarbeiter des Reise-, Unterhaltungs- und Gaststättengewerbes.
Notstand in Washington D.C.
Während Trump sich aus dem „Oval Office“ an die Nation wandte, rief die Bürgermeisterin des Districts of Columbia, in dem das Weiße Haus steht, Muriel E. Bowser, den Notstand aus. Vergangenes Wochenende hatte Washington den Pastor einer gut vernetzten Episkopal-Kirche als „Patient Nummer Eins“ mit dem COVID-19-Virus diagnostiziert. Mehrere Abgeordnete und Senatoren sind aus Vorsicht in Selbstquarantäne gegangen.
Am Donnerstag bestätigte auch der US-Kongress seinen ersten Fall. Bei einem Mitarbeiter im Senat konnte der Virus nachgewiesen werden. Seine Chefin, die Senatorin von Washington State, Maria Cantwell, nahm das zum Anlass, einen Appell an Trump zu richten. „Wir testen nicht genug in meinem Staat und in der Nation“, flehte sie den Präsidenten um Hilfe an. „Testen sie mehr und schneller und stellen sie die Informationen bereit, damit wir etwas dagegen tun können.“