Der KI-Boom hilft der Supermacht

Die unterschätzten Staaten von Amerika

Große Mächte, kleine Chips: Der Wettbewerb um die globale Führungsrolle wird sich auf dem Feld von Informationstechnik und künstlicher Intelligenz entscheiden.

Große Mächte, kleine Chips: Der Wettbewerb um die globale Führungsrolle wird sich auf dem Feld von Informationstechnik und künstlicher Intelligenz entscheiden.

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Washington hat es wieder mal spannend gemacht. Erst in der Nacht zu Freitag, nach langem Ringen nahe dem Abgrund, gab der Senat grünes Licht für die dringende Anhebung der Schuldengrenze. Schon eine bloße Verzögerung um ein paar Tage hätte die vorübergehende Zahlungsunfähigkeit der USA bewirkt – was katastrophale Turbulenzen an den globalen Finanzmärkten hätte auslösen können.

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Nun aber passierte das Gegenteil. Weltweit wuchs in der Wirtschaft wieder die Zuversicht, die Kurse stiegen – alles just in time. Frankfurt sah den Dax sogar über die Marke von 16.000 klettern, in London machten die Aktien den größten Sprung seit März.

Kopfschüttelnd blicken viele jetzt auf die USA: Kein anderes westliches Land würde sich einen so halsbrecherischen finanzpolitischen Unfug leisten wie die alle paar Jahre wiederkehrenden Last-minute-Entscheidungen zur Schuldengrenze. Jeder Staat mit freien Märkten meidet normalerweise schon den Anschein seiner Zahlungsunfähigkeit wie der Teufel das Weihwasser.

Wie kommt es, dass die politischen Akteurinnen und Akteure in den USA sich so gelassen zeigen? Die Antwort lautet, grob gesagt: Sie können es sich leisten.

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339.000 neue Jobs allein im Mai

Amerikas Politik kann, grob gesagt, froh sein über Amerikas Wirtschaft. Die USA ziehen derzeit Investorinnen, Investoren und Talente aus aller Welt an wie selten zuvor. Es geht aufwärts, quer durch die Branchen.

Allein im Monat Mai sind in den USA 339.000 neue Jobs entstanden, mehr als erwartet. Die Arbeitslosenquote liegt bei 3,7 Prozent. Die Inflationsrate, die im Sommer 2022 schon beinahe zweistellig zu werden drohte, sinkt und sinkt und ist jetzt bei 4,9 Prozent angekommen.

Die ökonomische Schwarzmalerei hat nachgelassen. Auch das zur Folklore gewordene Gerede von der bald zu erwartenden Weltherrschaft Chinas ist in jüngster Zeit etwas leiser geworden.

Mit Steuererleichterungen und niedrigen Energiepreisen lockt er derzeit Investorinnen und Investoren aus aller Welt scharenweise in sein Land: US-Präsident Joe Biden, hier bei einer Fernsehrede an die Nation nach der erfolgreichen Beendigung des jüngsten Haushaltsstreits.

Mit Steuererleichterungen und niedrigen Energiepreisen lockt er derzeit Investorinnen und Investoren aus aller Welt scharenweise in sein Land: US-Präsident Joe Biden, hier bei einer Fernsehrede an die Nation nach der erfolgreichen Beendigung des jüngsten Haushaltsstreits.

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„Amerika“, notiert der britische „Economist“, „bleibt die reichste, produktivste und innovativste große Volkswirtschaft der Welt.“ Mehr noch: Durch eine beeindruckende Anzahl von Maßnahmen lasse das Land seine Konkurrenten sogar tendenziell immer weiter hinter sich.

Mit anderen Worten: Amerika lag vorn – und hat dann Gas gegeben.

Bidens Inflation Reduction Act lockt weiterhin Investorinnen und Investoren aus aller Welt an, Tag für Tag. Niedrige Steuern und niedrige Energiepreise führen in europäischen Unternehmen, nicht zuletzt in Deutschland, gleich reihenweise zu immer neuen Standortentscheidungen zugunsten der USA.

Dort scheint der Boom inzwischen auch die Abgehängten zu erreichen. Sogar in Mississippi, dem ärmsten Staat Amerikas, rechnet die „New York Times“ vor, liegen die sogenannten bereinigten Einkommen inzwischen „höher als in Emmanuel Macrons Frankreich“.

Der Respekt vor China lässt nach

Geht es Amerika zu gut? Manche Beobachterinnen und Beobachter sind inzwischen überzeugt: Der ökonomische Erfolg beflügelt fahrlässige politische Machtkämpfe. „In Washington ist die anhaltende Stärke des Landes zu einem Freibrief für Verantwortungslosigkeit geworden“, schimpfte am vorigen Sonntag der CNN-Politikanalyst Fareed Zakaria in seiner Sendung „Global Public Square“.

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Wachsende Zufriedenheit indessen ist bei vielen Kommentatorinnen und Kommentatoren mit Blick auf China zu spüren. Für Diktator Xi Jinping, lautet die neue herrschende Meinung, wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Verwiesen wird auf die alternde Gesellschaft Chinas, auf „einst unvorstellbare Rezessionsquartale“ und auf Krisen im Immobiliensektor. Zudem sei die Faszination des weltumspannenden Seidenstraßenprojekts verflogen, seit Peking den beteiligten Dritte-Welt-Staaten auf den Füßen steht und auf erste Rückzahlungen von Krediten pocht.

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In der vergangenen Woche berichteten US-Fernsehsender über die Jugendarbeitslosigkeit in China, die mittlerweile die Rekordmarke von 20,4 Prozent erreicht hat. Unter amerikanischen Jugendlichen sind nur 6,4 Prozent arbeitslos. Yao Lu, Professorin für Soziologie an der Columbia University in New York, erläuterte im Sender CNBC die Hintergründe: In China platze gerade „die College-Blase“. Die Regierung in Peking habe die Zahl der Hochschulabsolventinnen und ‑absolventen massiv ausgeweitet, „aber jetzt besteht ein Missverhältnis zwischen Nachfrage und Angebot, denn Chinas Wirtschaft hat nicht Schritt gehalten“.

Zurück zum Alltag mit Maske: Kundinnen in einem Einkaufszentrum in Peking am 30. Mai 2023.

Zurück zum Alltag mit Maske: Kundinnen in einem Einkaufszentrum in Peking am 30. Mai 2023.

Der neuerdings etwas nachlassende Respekt vor China hat viele Gründe. In den jüngsten Debatten tauchen neben ökonomischen und technologischen auch militärische Aspekte auf:

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  • Künstliche Intelligenz: Bei dieser Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts haben die USA die Nase vorn. Der laufende Technologiewettbewerb sei jedenfalls gewinnbar, schreibt Paul Scharre in einem Aufsatz für „Foreign Affairs“. Von den 15 weltweit führenden Institutionen, die Deep-Learning-Forschung veröffentlichen, seien 13 amerikanische Universitäten oder Unternehmenslabore – „nur eine, die Tsinghua-Universität, ist chinesisch“. Scharre ist Militärexperte und Autor der Bücher „Four Battlegrounds: Power in the Age of Artificial Intelligence“ und „Army of None: Autonomous Weapons and the Future of War“.
  • Politische Stabilität: Beobachterinnen und Beobachter in den USA sehen trotz des politischen Prunks rund um Xi Jinping Hinweise auf eine innere Unsicherheit des Regimes in Peking. So seien dem chaotischen Ende von Pekings strenger Null-Covid-Politik bemerkenswerte öffentliche Unruhen vorausgegangen. Inzwischen drohe das andere Extrem: Weil eine neue Corona-Welle mit der XBB-Variante auf eine zu niedrige Impfquote treffe, sei im Juni in China mit 65 Millionen neuen Covid-19-Fällen pro Woche zu rechnen. Zu neuer Unruhe könnten auch die nicht endenden Konflikte Pekings mit der muslimischen Minderheit im Land führen. So versuchten am vorigen Wochenende laut „Washington Post“ Hui-Muslime im Südwesten Chinas, den Abriss der dortigen Najiaying-Moschee zu stoppen.
  • Militärische Verbündete: China, sagt CNN-Analyst Zakaria, hole unbestritten zu den Vereinigten Staaten auf – „aber der Vorsprung der USA bleibt in vielen Dimensionen der Kriegsführung enorm“. In der Ukraine fügten die USA derzeit der russischen Armee durch Waffenlieferungen an die Ukraine verheerenden Schaden zu – „mit minimalen Kosten und ohne amerikanische Truppen einzusetzen“. Der große „Multiplikator der Macht der USA“ blieben ihre Allianzen. An dieser Stelle wird Zakaria geradezu höhnisch: Die Vereinigten Staaten hätten weltweit mehr als 50 militärische Verbündete – China habe nur einen: Nordkorea. „Und es gibt etwa 750 amerikanische Militärstützpunkte auf der ganzen Welt; China hat einen – in Dschibuti.“


Ein globales „role model“ aus Taiwan

Während der Respekt vor China nachlässt, wird in diesen Tagen ausgerechnet ein aus Taiwan stammender Einwanderer von vielen Amerikanern bejubelt: Jensen Huang, CEO und Mitgründer des kalifornischen Chipherstellers Nvidia, ist der aktuell erfolgreichste amerikanische Wirtschaftslenker.

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Der coole 60-Jährige, vorzugsweise mit Lederjacke und Sneakers unterwegs, kam als Kind taiwanischer Eltern in die USA – und wurde mittlerweile zum 30-fachen Milliardär. Seine Karriere als Konzernmanager in Kalifornien war anfangs durchwachsen. Derzeit aber katapultiert der von Huang schon vor vielen Jahren vorausempfundene KI-Boom die Firma durch die Decke: Der Börsenwert von Nvidia liegt seit Dienstag, 30. Mai 2023, erstmals bei mehr als einer Billion Dollar. Damit stößt Nvidia vor in die Gewichtsklasse von Amazon, Google und Apple.

Jungen Leuten empfiehlt er, „in Richtung KI zu rennen, nicht zu gehen“: Jensen Huang, CEO und Mitgründer von Nvidia, am 1. Juni bei der Messe Computex 2023 in Taipeh.

Jungen Leuten empfiehlt er, „in Richtung KI zu rennen, nicht zu gehen“: Jensen Huang, CEO und Mitgründer von Nvidia, am 1. Juni bei der Messe Computex 2023 in Taipeh.

In Taiwan lässt Huang schon seit Jahrzehnten die von Nvidia entwickelten Chips und Grafikkarten produzieren. Und in Taiwan hielt er soeben auch eine weltweit beachtete öffentliche Rede: Huangs Auftritt bei der Computex 2023 in Taipeh ist ein sehenswertes Dokument, das allen, die an KI interessiert sind, Aufschluss gibt über den Stand der Debatte und über den Stand der Technik.

In einer weiteren Rede in Taipeh rief Huang die Absolventinnen und Absolventen der National Taiwan University dazu auf, „in Richtung KI zu rennen, nicht zu gehen“. Die Ära der künstlichen Intelligenz sei nichts Geringeres als die „Wiedergeburt der Computerindustrie“. Das junge Publikum feierte den Mann in der Lederjacke wie einen Rockstar. Ihre Vorbilder finden die jungen Taiwanerinnen und Taiwaner nicht im nahen China, sondern im 10.000 Kilometer entfernten Kalifornien.

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