Flüchtlinge an der US-Grenze

Notstand am Rio Grande

Hunderte Migranten am Rio Grande.

Hunderte Migranten am Rio Grande.

Washington. Die Mahnung klang ebenso eindringlich wie hilflos. „Die Grenze ist nicht offen“, betonte Karine Jean-Pierre, die Sprecherin des Weißen Hauses, und insistierte: „Es wäre falsch anzunehmen, dass die Grenze offen ist.“ Sie wolle das ganz klar sagen, wiederholte Jean-Pierre am Montag in der Pressekonferenz des Weißen Hauses schließlich ein drittes Mal: „Die Grenze ist nicht offen, und wir machen den Job der Menschenhändler, wenn wir Falschinformationen verbreiten.“

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Formal ist die Aussage der Regierungssprecherin korrekt. Entlang der amerikanischen Südgrenze zu Mexiko stellt sich die Lage gleichwohl deutlich komplexer dar. Dort hat der demokratische Bürgermeister von El Paso vor ein paar Tagen den Notstand ausgerufen. Rund 2500 Migranten versuchen alleine in seiner Region derzeit täglich den Rio Grande zu überqueren. Schon in wenigen Tagen könnte sich die Zahl nach Einschätzung von Experten vervielfachen. Es drohe „ein totales Chaos“, warnt der republikanische Gouverneur von Texas, Greg Abbott. Solche Stimmungsmache liegt Bürgermeister Oscar Leeser fern. Aber auch er mahnt: „Dieses Problem ist größer als El Paso.“

Mehr als 2,4 Millionen Migranten wurden abgewiesen

Auslöser der aktuellen Krise an der Grenze ist die bevorstehende Aufhebung einer Regelung mit dem harmlos klingenden Namen „Titel 42″. Diese 80 Jahre alte gesetzliche Bestimmung soll die USA bei Gefahren für die öffentliche Gesundheit schützen. Ex-Präsident Donald Trump hatte sie während der Corona-Pandemie im März 2020 aktiviert und für seine restriktive Einwanderungspolitik genutzt. Seither können Migranten und Asylsuchende ohne Rechtsprüfung an der Grenze zurückgeschickt werden. Mehr als 2,4 Millionen Flüchtlinge wurden in den vergangenen zweieinhalb Jahren auf dieser Basis abgewiesen.

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Bürgerrechtsanwälte kritisieren diese Praxis scharf. Präsident Joe Biden versprach im Wahlkampf eine humanitärere Einwanderungspolitik. Im April befand die Gesundheitsbehörde CDC, die pauschalen Pandemie-Einreiseverbote seien nicht mehr gerechtfertigt. Nach einem längeren Rechtsstreit entschied dann im November ein Bundesrichter in Washington, dass das Gesetz am 21. Dezember – also an diesem Mittwoch – außer Kraft gesetzt wird. Durch eine formale Intervention des Obersten Gerichtshofs wird sich das Datum nun um ein paar Tage verschieben. An dem Problem ändert das aber nichts.

Leben auf der Straße

In Erwartung der vermeintlichen Grenzöffnung warten nämlich in den mexikanischen Grenzstädten seit Monaten Zehntausende Menschen, die vor Verfolgung, Gewalt, Not und Hunger in ihrer Heimat geflohen sind. Sie kommen aus Venezuela, Nicaragua, Kuba oder Haiti. In Mexiko leben sie bei inzwischen eisigen nächtlichen Temperaturen unter menschenunwürdigen Bedingungen in überfüllten Lagern oder auf der Straße. Doch auch auf der US-amerikanischen Seite sind viele Notunterkünfte belegt. Behörden und Helfer wären mit dem drohenden Ansturm und der Versorgung überfordert.

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Diese reale Herausforderung stößt in den USA auf ein extrem polarisiertes Meinungsklima. Kaum ein Thema ist so vergiftet wie die Einwanderungspolitik, die längst auf beiden Seiten zum Kulturkampf genutzt wird. Seit Jahrzehnten können sich Republikaner und Demokraten nicht auf dringend erforderliche Reformen des komplexen Systems einigen. So stehen auch jetzt die Chancen schlecht, dass es nach dem offensichtlichen Missbrauch der pandemiebedingten Restriktionen zu einer realistischen Politik kommt.

Längst nutzen die Republikaner die Krise an der Grenze zu einer populistischen Kampagne gegen die Biden-Regierung, in der sie den „kompletten Kontrollverlust“ des Staates beklagen, die Amtsenthebung von Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas fordern und die Migranten für den boomenden Drogenschmuggel verantwortlich machen. Umgekehrt hat Präsident Biden lange versucht, das heikle Migrationsthema zu meiden. Er ist bis heute nicht an die Grenze gereist. Parteiintern steht er von zwei Seiten unter Druck: Während der linke Flügel auf liberale Regelungen dringt, haben demokratische Abgeordnete und Senatoren aus Texas und Arizona gegen eine Aufhebung des Artikels 42 protestiert.

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Aktuell will das Weiße Haus nun zunächst einmal die Grenzpolizei verstärken und hat beim Kongress 3,5 Milliarden Dollar zusätzliche Hilfsmittel beantragt. Mittelfristig strebt die Regierung eine Reform an, nach der Asylsuchende für die Dauer ihres Verfahrens ein Bleiberecht in den USA online aus der Heimat beantragen können. Wer hingegen illegal statt über den offiziellen Grenzübergang ins Land kommt, soll schneller abgeschoben werden.

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