Rechtsradikale Partei Fratelli d‘Italia von Giorgia Meloni stärkste Kraft
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Giorgia Meloni gewinnt mit ihrer Partei Fratelli d‘Italia die Parlamentswahl in Italien.
© Quelle: IMAGO/ZUMA Press
Italien hat am Sonntag ein neues Parlament gewählt. Stärkste Kraft wurde laut ersten Prognosen des TV-Senders La7 von 23 Uhr die rechtsradikale Partei Fratelli d‘Italia mit ihrer Vorsitzenden Giorgia Meloni. Sie erhielt 25 Prozent (23 bis 27 Prozent) der Stimmen. Die Römerin sowie der von ihr angeführte Rechtsblock liegen damit deutlich vorne. Zu ihrer Allianz gehören noch die rechtspopulistische Lega von Matteo Salvini (9,5 bis 13,5 Prozent) und die konservative Forza Italia von Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi (6 bis 8 Prozent). Nach dem Rücktritt des bisherigen Regierungschefs Mario Draghi steht das Land damit vor einem harten Ruck nach rechts.
Mitte-rechts-Bündnis liegt klar vorne - Mehrheit wahrscheinlich
Das Mitte-rechts-Bündnis der drei Parteien kommt damit laut dem Bericht von La7 auf 41 bis 46 Prozent. Weil ein Drittel der Parlamentssitze im Mehrheitswahlrecht vergeben wird, wird dies laut den Prognosen sowohl in der Abgeordnetenkammer als auch im Senat für eine komfortable Mehrheit reichen. Damit wird Italien wohl zum ersten Mal eine weibliche Ministerpräsidentin erhalten: die 45-jährige Römerin Giorgia Meloni.
Laut La7 war die sozialdemokratische Partei Partito Democratico (PD) zweitstärkste Kraft mit Prognosen zwischen 17 und 21 Prozent. Ihr Bündnis mit linken Parteien und Grünen kam laut dpa den Prognosen zufolge auf 25,5 bis 29,5 Prozent. Die Fünf-Sterne-Bewegung landete bei 13,5 bis 17,5 Prozent der Stimmen. Die Zentrumsallianz lag abgeschlagen bei 6,5 bis 8,5 Prozent.
Gewählt wurden erstmals nur noch 400 Abgeordnete und 200 Senatoren und Senatorinnen: Das sind insgesamt 345 Parlamentarier und Parlamentarierinnen weniger als bei den letzten Wahlen im Frühjahr 2018, weil in der Zwischenzeit die Sitzzahl im Parlament um ein Drittel verkleinert wurde.
Nun wird Staatspräsident Sergio Mattarella seine üblichen Konsultationen mit den Parteiführenden durchführen. Das Staatsoberhaupt hat die alleinige Kompetenz, die Ministerriege und den Regierungschef oder – in diesem Fall zum ersten Mal – die Regierungschefin zu ernennen. Angesichts der sich abzeichnenden klaren Mehrheitsverhältnisse im Parlament und des Umstands, dass Melonis Fratelli d‘Italia mehr Stimmen erzielt hat als ihre Bündnispartner zusammengenommen, bleibt Mattarella freilich kaum Spielraum: Wenn nicht noch ein Wunder passiert, wird er Giorgia Meloni voraussichtlich etwa Mitte Oktober die Ernennungsurkunde überreichen und ihr den Amtseid abnehmen.
Konsumenten- und Gewerbeverbände haben errechnet, dass jede dritte italienische Familie wegen der explodierenden Energiepreise in den verbleibenden Monaten des Jahres nicht mehr in der Lage sein wird, die Strom- und Gasrechnungen zu begleichen. Die allgemeine Teuerung, die zuletzt auf 9 Prozent gestiegen ist, erodiert die Kaufkraft zusätzlich. Wie in den meisten anderen europäischen Ländern wächst der soziale Unmut; auch in Italien droht ein heißer Herbst und – für viele Familien – ein kalter Winter, unabhängig von den drohenden Gas- und Stromrationierungen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Regierung des parteilosen Mario Draghi mit ihren bisherigen Hilfspaketen gegen die Auswirkungen der gestiegenen Energiepreise die Maßnahmen weitgehend ausgereizt hat, die ohne massive Neuverschuldung noch möglich waren.
Der Schuldenberg Italiens hat ohnehin horrende Ausmaße angenommen. Er betrug schon vor der Pandemie rund 130 Prozent des Bruttoinlandprodukts, nach sechs Corona-Hilfspaketen und einem massiven Wirtschaftseinbruch liegt er nun bei 150 Prozent – und schränkt die Gestaltungsmöglichkeiten der Politik erheblich ein. Die steigenden Zinsen und die Einstellung der Anleihenkäufe durch die Europäische Zentralbank schweben wie ein gigantisches Damoklesschwert über Italien – ein Anstieg der Zinsen um ein einziges Prozent erhöht die Ausgaben Italiens für den Schuldendienst um 30 Milliarden Euro.
Nach dem Sturz von Ministerpräsident Draghi, der als Garant für eine seriöse Finanzpolitik galt, haben die Risikozuschläge für italienische Staatsanleihen bereits markant angezogen. Sie bekomme „Herzklopfen“, wenn sie an die Herausforderungen denke, die auf sie als neue Regierungschefin warten könnten, räumte die Wahlfavoritin Giorgia Meloni im Wahlkampf unumwunden ein.
Beste Chancen für rechtsextreme Partei Fratelli d’Italia
Die Postfaschistin Meloni könnte mit ihrem Block aus rechten Parteien die erste Ministerpräsidentin Italiens werden.
© Quelle: Reuters
Schwierig dürfte es für die neue Regierung auch werden, einen Konsens bezüglich des Kriegs in der Ukraine zu finden – ebenfalls unabhängig von ihrer politischen Couleur. Giorgia Meloni und ihre postfaschistische Fratelli d‘Italia stehen zwar relativ glaubwürdig zur Nato, zu den Waffenlieferungen an Kiew und zu den Sanktionen gegen Moskau. Ihre beiden Bündnispartner Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega und Silvio Berlusconi dagegen sind Putin-Verehrer und haben nie einen Hehl aus ihrer Ablehnung gegen die Waffenlieferungen und die Sanktionen gemacht. Berlusconi verstieg sich vor drei Tagen sogar noch zur Aussage, Putin habe den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj lediglich durch einen „anständigen Menschen“ ersetzen wollen. Er löste damit im In- und Ausland einen Proteststurm aus. Aber auch eine Mitte-links-Regierung hätte größte Mühe, sich auf eine gemeinsame Linie zu einigen: Sie wäre auf die Unterstützung der Fünf-Sterne-Bewegung und die radikale Linke angewiesen, die ebenfalls strikt gegen Waffenlieferungen sind.
Ein Problem der künftigen Regierung ist auch die Politikverdrossenheit großer Bevölkerungsteile. Die Wahlbeteiligung ist auch bei dieser Wahl äußerst niedrig. Das Vertrauen der Italienerinnen und Italiener in ihre Parteien und Politiker ist durch den Sturz Draghis im Juli zusätzlich erschüttert worden: Dass die Fünf-Sterne-Protestbewegung, die Lega und die Forza Italia von Berlusconi dem beliebten Mario Draghi ohne ersichtlichen sachlichen Grund das Vertrauen entzogen und damit die vorgezogenen Neuwahlen provoziert haben, ist bei sehr vielen Bürgerinnen und Bürgern auf Unverständnis gestoßen und hat in ihnen den Eindruck verstärkt, dass es den Politikern nicht um das Gemeinwohl und um das Land, sondern einzig um ihre eigenen Parteiinteressen geht.
Dennoch kam es am Sonntag vor manchen Wahllokalen zu Schlangen, was teilweise für Empörung sorgte. Dies lag auch daran, dass von den zwei ausgefüllten Stimmzetteln – je einen für das Abgeordnetenhaus und einen für den Senat – ein Streifen sorgfältig abgerissen werden musste, bevor sie in die Wahlurne kamen. Dieses zusätzliche Prozedere zur Bekämpfung von Wahlbetrug verzögerte den Vorgang. „Ich habe noch nie so eine Schlange gesehen“, sagte Forza-Italia-Chef Berlusconi.
In Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten sorgen sich viele vor einer Regierung mit Fratelli und Meloni an der Spitze. Die „Brüder Italien“ sind Nachfolger einer von Faschisten gegründeten Partei. Meloni hat den Faschismus außerdem nie gänzlich verurteilt. Daneben äußert sich die Parteichefin immer wieder kritisch zur EU und lehnt progressive Rechte wie jenes zur Adoption für homosexuelle Partner ab.
mit dpa