Angst vor der Fünfprozenthürde

Wahlrechtsreform: Warum die CSU in der Klemme steckt

Alexander Dobrindt, CSU-Landesgruppenchef, will gegen die Reform klagen.

Alexander Dobrindt, CSU-Landesgruppenchef, will gegen die Reform klagen.

Artikel anhören • 6 Minuten

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hat Beweise mitgebracht. Beweise dafür, dass die Ampel aus seiner Sicht mit der Wahlrechtsreform vor allem der CSU schaden will. Empört liest der CSU-Politiker während eines Pressegesprächs einen Satz aus einem Brief von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich vor. Der Brief, der auch dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND) vorliegt, ging am Montag an alle SPD-Bundestags­abgeordneten. „Heute haben wir die Möglichkeit, den entscheidenden Schritt zu machen, ohne von den Interessen einer Partei aufgehalten zu werden, die nur in einem Bundesland zur Wahl steht“, zitiert Dobrindt aus dem Schreiben. Und er kommentiert dann, das zeige ja geradezu die „Respektlosigkeit“ gegenüber der Opposition und gegenüber dem Föderalismus.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Es sind harte Vorwürfe, die die CSU seit Tagen der Ampel macht. Nach Plänen von SPD, FDP und Grünen soll die Zahl der Abgeordneten von aktuell 736 auf 630 gedeckelt werden, indem Überhang- und Ausgleichsmandate abgeschafft werden. Gestrichen werden soll darüber hinaus die Grundmandatsklausel: Durch sie können Parteien bislang in Fraktionsstärke in den Bundestag einziehen, obwohl sie die Fünfprozenthürde unterschreiten – wenn sie mindestens drei Direktmandate gewinnen. Laut Ampelplänen müssen Direktmandate zudem künftig durch die Zweitstimme gedeckt werden. Gewinnt eine Partei also mehr Direktmandate, als sie Zweitstimmen bekommt, sollen die schwächsten Direktmandate nicht zugeteilt werden. Dann werden diese Wahlkreise von den Listenkandidaten repräsentiert – oder gar nicht. Letzteres soll nach Ampelangaben aber nur selten vorkommen.

CSU will nicht mit CDU gemeinsam antreten

Problematisch ist es für die CSU dennoch: Sie gewinnt traditionell viele Direktmandate und profitiert von den sogenannten Überhangmandaten, mit denen bislang Wahlkreissieger auch dann einziehen, wenn ihre Partei eigentlich nicht ausreichend Sitze gewonnen hat. Setzt die Ampel ihren Gesetzentwurf Ende dieser Woche durch, werden die Christsozialen also künftig Direktmandate verlieren, wenn die Zweitstimmen­deckung nicht gegeben ist. Ein Problem, das zwar auch SPD und CDU in anderen Teilen des Landes haben, bei der CSU kommt aber noch eine weitere Herausforderung hinzu: Durch die Abschaffung der Grundmandats­klausel muss die Partei sogar zittern, ob sie überhaupt in den Bundestag einziehen darf. Bei der vergangenen Bundestagswahl erreichte die CSU bundesweit nur 5,2 Prozent. Landet sie bei der nächsten Wahl unter der Fünfprozenthürde, wäre sie nicht mehr Teil des Parlaments.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Dobrindt ist dementsprechend empört: Es sei nicht erklärbar, dass man zu einer Wahl aufrufe, der Gewinner aber am Ende nicht in den Bundestag einziehe. Ein Streichen der Grundmandats­klausel sei eine Missachtung des Föderalismusprinzips. Die Entgegnung der Ampel, die CSU könne ja gemeinsam mit der CDU antreten, um die Fünfprozenthürde definitiv zu erreichen, lehnt er ab.

Hauptstadt-Radar

Persönliche Eindrücke und Hintergründe aus dem Regierungsviertel. Immer dienstags, donnerstags und samstags.

Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.

Die CDU könnte einen bayerischen Landesverband gründen

Auch der Staatsrechtler Philipp Austermann von der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, der als Sachverständiger der Union bereits zum Thema aussagte, hält das für unmöglich. „Die Aufstellung und Einreichung mehrerer Parteien – Listenverbindung – ist bei Bundestagswahlen unzulässig“, sagt der Rechtswissenschaftler dem RND. „Das hat der Gesetzgeber im Jahr 2008 ausdrücklich geregelt.“ Eine Möglichkeit wäre nach Ansicht von Austermann, dass die CDU einen bayerischen Landesverband gründet und dann dort eine Landesliste einreicht. „Die Kandidaten müssten ebenfalls CDU-Mitglied oder parteilos sein“, erläutert er. „Aber das will in der Union ja aus verständlichen Gründen niemand.“

Übersetzt bedeutet das: Würde sich die CSU absichern wollen, müsste sie nicht nur in der Fraktion eine Gemeinschaft mit der CDU eingehen, sondern bereits zur Wahl auf den CDU-Wahllisten antreten – oder sich gleich selbst abschaffen. Das würde für die CSU einen Machtverlust innerhalb der Union bedeuten, und wäre ein starker Eingriff in die Parteien­geschichte, zu dem die Ampel sie zwingen würde.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
Philipp Amthor (CDU) spricht während der Aktuellen Stunde des Bundestages zur Klimastiftung MV.

Beim Streit um die Klimastiftung MV macht Philipp Amthor keine gute Figur

Dass es bei der Klimastiftung MV nicht nur mit rechten Dingen zugegangen ist, lässt sich inzwischen kaum noch leugnen. Doch eine Aktuelle Stunde im Bundestag, bei der die CDU Licht ins Dunkel bringen wollte, wurde zum Bumerang. Und der traf vor allem Philipp Amthor.

„Der Speck ist nicht ganz so dick“

Dobrindt will am liebsten gar nicht auf diese Debatte eingehen: Das Nichterreichen von 5 Prozent sei ja nur eine theoretische Möglichkeit. Bisher habe die CSU bundesweit immer darüber gelegen. Das stimmt auch, doch wird es für die CSU nun besonders wichtig, weit über 25 Prozent mit der CDU zu erreichen.

Dobrindt unterstreicht allerdings, dass die Reform vom Bundesverfassungs­gericht geprüft werden müsse. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU im Bundestag, Stefan Müller, rechnet fest mit einer Klage gegen die Wahlrechtsreform der Ampel. „An den Äußerungen aus der Ampel wird deutlich, dass die Koalition vor allem eine Anti-CSU-Reform und keine Wahlrechtsreform will“, sagt der CSU-Politiker dem RND. „Dagegen wird die bayerische Landesregierung vor dem Bundesverfassungs­gericht klagen.“ Müller kritisiert, dass Wahlkreisgewinner dem Ampelvorschlag zufolge das Direktmandat nicht sicher erhalten. „Das Ampelwahlrecht ist schlicht absurd: Wahlkreise werden zugeteilt und nicht gewählt. Kandidaten, die eine Wahl gewinnen, bekommen möglicherweise kein Mandat. Einige Regionen bleiben ohne Vertreter in Berlin.“

Nach RND-Informationen ist die CDU-Spitze aber nicht so überzeugt von der Verfassungswidrigkeit. Für ein sogenanntes Normenkontroll­verfahren ist zahlentechnisch fast die komplette Unionsfraktion nötig. Hier droht es aber knapp zu werden, wenn einige Abgeordnete nicht an Bord sind – oder wie es der Unionsfraktions­manager Thorsten Frei ausdrückt: „Der Speck ist nicht ganz so dick.“ Bei der Fraktionssitzung am Dienstag hat sich CDU-Chef Friedrich Merz dem Vernehmen nach deutlich an die Seite der CSU gestellt. Die Frage einer Klage seitens der Fraktion soll aber erst nach dem Beschluss beantwortet werden.

Eine weitere Möglichkeit ist, dass die bayerische Landesregierung die Klage einreicht. Das hatte der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder bereits angedeutet. Darauf setzt im Zweifel auch Dobrindt. Vorher will er aber mit SPD-Fraktionschef Mützenich noch einmal persönlich über dessen Brief sprechen.

Mehr aus Politik

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken